Alltagsrassismus: „Ich wurde über eine Stunde auf dem U-Bahnhof von der Polizei festgehalten“

06.09.2021, Lesezeit 3 Min.
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U-Bahnhof Schönleinstraße, Umut Erol

In diesem Erfahrungsbericht erzählt unser Korrespondent Umut Erol von einer rassistischen Schikane der Berliner Polizei.

Ich kenne das tyrannische Gesicht des deutschen Staates aus dem, was ich gelesen und beobachtet habe, seitdem ich vor zwei Jahren aus der Türkei nach Berlin emigrierte. Aber die erste angespannte Begegnung, die ich persönlich mit der Polizei hatte, fand gestern Abend gegen 22 Uhr am U-Bahnhof Schönleinstraße statt.

Zu dieser Zeit war ich auf dem Weg nach Hause in einer verschwitzten, stickigen und müden Luft, wie jeder weiß, der in der Covid-Zeit U-Bahn fährt. Als ich an der Station in der Nähe meiner Wohnung ankam, musste ich meine Maske auf dem Bahnsteig für eine Sekunde ablegen und tief durchatmen. Ich wollte mich kurz umschauen, um den Bahnhof am richtigen Ausgang zu verlassen. Zu dieser Zeit kamen acht Beamte, sechs Polizisten, zwei von der BVG, auf mich zu und umzingelten mich, bevor ich mich bewegen konnte. „Ausweis“, sagte der Beamte zuerst. In diesem Moment konnte ich nicht herausfinden, ob die Beamten mir mit gewöhnlicher Sympathie gegenüberstanden oder mich feindlich anstarrten. Also nahm ich meinen Universitätsausweis der Freien Universität aus meiner Brieftasche und als das nicht genug war, nahm ich meinen Führerschein und gab ihn dem Beamten. Aber das reichte ihnen ebenfalls nicht aus, weil beide Ausweisdokumente keinen Hinweis auf meine Berliner Adresse enthielten. Ich war in einer Situation, in der ich versuchte, die Polizei mit einer unendlichen Anzahl von Dokumenten zufrieden zu stellen. Nachdem ich meinen Uni-Ausweis und mein Impfzertifikat hervorgekramt hatte, lagen meine Bücher auf dem Boden der U- Bahn-Plattform verstreut. Ich fühlte mich entfremdet. Nach einem Telefonat, das für immer zu gehen schien, wurde beschlossen, mich mit einer Geldstrafe von 50 € zu bestrafen.

„Maske oder so? Warum?“, fragte ich den Polizisten informell diskret. Ich versuchte mich zu verteidigen, indem ich sagte: „Ich hab das Impfzertifikat“, aber der Beamte antwortete: „Hab ich auch“, mit einem geschmacklosen und verächtlichen Lachen im Gesicht. Mir wurde klar, dass ich die Rolle des „normalen Bürgers, der seine Rechte kennt“, die ich seit einer halben Stunde zu spielen gezwungen gewesen war, satt hatte. Es war offensichtlich, dass ich keine große Chance hatte zu verhandeln. Meine Karten waren schwach und ich wollte so schnell wie möglich nach Hause gehen und schlafen. Ich wurde freigelassen, indem ich sagte, sie könnten die Strafe an meine Adresse schicken, und schließlich ging ich. Über eine Stunde wurde ich insgesamt auf dem Bahnhof von der Polizei festgehalten.

Es ist ein kleiner Vorfall im Vergleich dazu, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, um nach Deutschland auszuwandern, oder im Vergleich zu viel grausamerer Polizeigewalt, der Menschen im Alltag ausgesetzt sind. Aber diese und dutzende solcher Ereignisse bilden beispielhafte Beweise für das rassistische und brutale Verhältnis, das der Staat gegenüber seinen Subjekten aufbaut.

Und schließlich, wenn du siehst, wie er aus einer U-Bahn voller müder Menschen und erstickender Hitze kommt, warnst du deinen Bruder, wenn er seine Maske für eine kleine Pause abnimmt, und sagst: “Hier darfst du nicht atmen!”.

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