Aiwanger muss zurücktreten – und Söder auch!

06.09.2023, Lesezeit 9 Min.
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Quelle: UNWTO / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0

Der bayerische Ministerpräsident Söder will seinen Vize Hubert Aiwanger nicht seines Amtes entheben. Wir denken: Beide müssen zurücktreten.

Aiwanger darf bleiben, entschied Markus Söder (CSU). Auch die Koalition mit den Freien Wählern (FW) will der bayerische Ministerpräsident fortsetzen, nach Möglichkeit über die Landtagswahlen im Oktober hinaus. Er habe Aiwanger aufgetragen, sich mit jüdischen Initiativen auszutauschen, so Söder im ZDF-Sommerinterview. Allzu viel Aufhebens scheint die CSU nicht um den Fall machen zu wollen, Söder müsse als Ministerpräsident schließlich das Land zusammenhalten. Geradezu zynisch erscheint es, dass Söder die Beschäftigung mit Antisemitismus und eine ernsthafte Aufarbeitung holocaustverherrlichender Äußerungen als Störfaktor betrachtet.

Auch Aiwanger selbst scheint nicht zu einer Aufklärung willens, nachdem sich sein Bruder Helmut zur angeblichen Urheberschaft des Flugblattes bekannt hat. Mit geradezu lächerlicher Oberflächlichkeit beantwortete er den Fragenkatalog, den ihm Söder vorgelegt hatte. Er schob angebliche Erinnerungslücken vor, er wisse nicht, ob er in der Schulzeit Verantwortung für das Flugblatt übernommen habe, oder wie Flugblätter in seiner Tasche gelandet seien. Dass er nichts mit ihnen zu tun habe, wisse er jedoch ganz sicher. „Ich bereue es, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe“, so der Vorsitzende der Freien Wähler (FW). Eine glaubhafte Distanzierung von antisemitischen und faschistischen Aussagen sieht anders aus.

Auf der Festwoche Lenggries hielt Aiwanger am Montag eine einstündige Rede, in der er das Flugblatt mit keinem Wort thematisierte. Stattdessen wetterte er gegen die „Versager“ in der Bundesregierung und rief nach schnelleren Abschiebungen und einem Ende der Erbschaftssteuer. Er wolle „Leistung, Eigentum, Heimat und Familie“ stärken, statt „Politik für Minderheiten und schräge Gestalten“ machen. Noch mitten während des Skandals um seine faschistischen Ideen als Jugendlicher kennt Aiwanger keinerlei Zurückhaltung bei rassistischen und queer-feindlichen Aussagen. Am Ende dankte er den 1.300 Zuschauenden für ihr Vertrauen und ihre Unterstützung.

Rückendeckung von Merz

Ausdrückliches Lob für die Entscheidung Söders kam vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der dessen Krisenmanagement bei einem gemeinsamen Auftritt in Gillamoos als „bravourös“ hervorhob. Offensichtlich geht es Merz, der selbst immer wieder durch rassistische Aussagen auffiel, und etwa migrantische Jugendliche nach Silvester als „kleine Paschas“ bezeichnete, nicht um Aufklärung eines Antisemitismus-Skandals. Merz und Söder wollen einen rechten Block gegen die Bundesregierung stärken, dabei sind rassistische Aussagen aus den eigenen Reihen oder von Koalitionspartnern für sie in Ordnung. Sie dienen gar der politischen Profilierung. Witze über Auschwitz sind da zwar zu viel, aber auch verkraftbar, solange sie als Jugendsünde abgetan werden können.

Harsche Kritik wäre von „offiziellen“ jüdischen Institutionen zu erwarten. Doch Josef Schuster vom Zentralrat der Juden in Deutschland bekundete, Söders Entscheidung nachvollziehen zu können. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, nahm Aiwangers persönliche Entschuldigung am Telefon zwar nicht an, jedoch sei Söders Entscheidung, ihn nicht seines Amtes zu entheben „in allen Bereichen“ zu akzeptieren. Es sei politisch richtig, dass Aiwanger sein Amt nicht aufgeben musste. Fünf Wochen vor der Landtagswahl hätte er dies ansonsten ausgenutzt, um sich als Opfer darzustellen und mehr Stimmen zu bekommen, so die Analyse Knoblochs. Dies zeigt, wie wenig die „offiziellen“, staatstragenden und pro-zionistischen Institutionen wie der Zentralrat und die Israelitische Kultusgemeinde München willens sind, sich gegen rechte und antisemitische Inhalte zu stellen. Ihre Verbindungen in die konservativen Zirkel der Politik hat für sie höhere Priorität als der Kampf gegen Rechts.

Wenn Politiker:innen und Parteien am rechten Rand nach Wähler:innen fischen, sollen die Politiker:innen laut Charlotte Knobloch also hofiert werden, damit sie keinen Grund zur Beschwerde haben. Diese sehr defensive und diplomatische Strategie gegen Rechts kann nicht dazu dienen, Antisemitismus, Rassismus oder Frauen- und Queerfeindlichkeit, sowie faschistische Inhalte einzudämmen. Antisemitismus und den Aufstieg der Rechten zu bekämpfen, funktioniert nur gegen diesen Staat, in dem die Rechten wie Aiwanger ihre Karrieren machen.

Dass die rechts-konservativen Politiker:innen Antisemitismus verharmlosen, ist nicht gerade überraschend. Jedoch bekommt es einen besonders bitteren Beigeschmack angesichts dessen, dass in Deutschland jegliche Kritik an Israel als antisemitisch dargestellt wird, palästinensische Demos verboten werden, und palästinensische Aktivist:innen auf Grund von Antisemitismus-Vorwürfen sogar abgeschoben werden sollen. Dies zeigt, dass es dem deutschen Staat gar nicht wirklich um die Bekämpfung von Antisemitismus geht, außer wenn eine Legitimation für seine rassistische Politk gesucht wird. Er dehnt den Begriff aus, wo es passt, um Migrant:innen kriminalisieren und abschieben zu können.

Die bürgerliche „Demokratie“ spült Politiker:innen wie Aiwanger an die Macht

Florian von Brunn, SPD-Vorsitzender in Bayern, ordnet Aiwangers Flugblatt als rechtsradikal ein. Von Brunn sagte ebenfalls, dass die SPD eine CSU-Minderheitsregierung tolerieren würde, wenn dies bedeuten würde, Aiwanger aus dem Amt zu entheben. Damit legitimiert die SPD die rassistische und autoritären Praktiken der CSU unter Markus Söder. Die Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag distanzierte sich von Aiwangers Aussagen, betont jedoch dabei auch, dass es dem Ansehen des Freistaates Bayern schade, als antisemitisch gesehen zu werden. Ob ihnen der Kampf gegen faschistische Ideologien oder der gute Ruf ihres Landes wichtiger sind, bleibt unklar. Adelheid Rupp, die Landessprecherin der LINKEN Bayern, forderte öffentlich Aiwangers Rücktritt, doch ohne jegliche Verbindung zu den sonstigen rechten Machenschaften der CSU und FW zu ziehen.

Der Aiwanger-Skandal ist nicht einfach eine Jugendsünde eines geläuterten Politikers. Mit seiner Politik steht er rechts der CSU mit vielen Überschneidungen zur AfD. Seine gesamte Karriere ist auf rechten Inhalten begründet. Insofern passt Söders Entscheidung ins Bild: Er will die Zusammenarbeit mit seinem rechten Partner fortsetzen. Für Söder ist ein geschwächter Aiwanger, der von seiner Gnade abhängig ist, weniger gefährlich, als wenn er ihn vor die Tür setzt und ihn dadurch nur weiter anstachelt.

Für uns ist klar: Hubert Aiwanger muss zurücktreten. Seine Ausflüchte sind ebenso unglaubwürdig wie die Version der Geschichte seines Bruders. Doch auch Markus Söder hat bewiesen, dass er gar keinen Willen besitzt, die Vorfälle aufzuklären und die Konsequenzen zu ziehen. Auch er muss sein Amt als Ministerpräsident sofort niederlegen.

Aiwanger hatte nicht einfach besonderes Glück, sondern es ist ein Symptom der bürgerlichen Demokratie, besonders in Zeiten der sich vertiefenden Krise, dass Politiker:innen nicht für menschenfeindliches Verhalten Konsequenzen erhalten, sondern ihre Macht erhalten können. Neben unabhängigen Untersuchungskommissionen, die Aiwanger wirklich zur Verantwortung ziehen können, ist es auch notwendig, das politische System, das so jemanden an die Macht bringt, und die Klasseninteressen, die dahinter stehen, zu hinterfragen, wenn wir eine wirksame Kraft gegen Rechts aufbauen wollen. Gegen die Korruption und Unantastbarkeit von untragbaren politischen Funktionär:innen brauchen wir eine jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von Politiker:innen durch die Bevölkerung. Dies würde ermöglichen, rechte Amtsträger:innen schneller abzuwählen, zum Beispiel im Fall von rechten Äußerungen oder Korruption. Es würde bedeuten, nicht den Spitzen der Landesregierungen alleine die Entscheidungsgewalt darüber zu lassen, welcher Skandal ausreicht, um einen Rücktritt zu erzwingen. Zudem fordern wir ein durchschnittliches Arbeiter:innengehalt für alle Politker:innen, damit die materielle Abhängigkeit von Ämtern nicht dazu führt, dass Politiker:innen sich um jeden Preis an der Macht halten wollen und die Politiker:innen sich immer mehr von den Interessen der Arbeiter:innen entfernen.

In wenigen Wochen stehen die Landtagswahlen in Bayern an. Für uns ist klar, dass keine Parteien wählbar sind, die es in Ordnung finden, Aiwanger zu behalten. DIE LINKE oder die SPD zu wählen, bleibt aber ebenso keine Alternative: Auch wenn sie in Bayern in der Opposition sein mögen, setzen sie an der Spitze von Bundes- und Landesregierungen tagtäglich rassistische und antisoziale Politiken um, die den Nährboden für die Rechte nur weiter vergrößern. Stattdessen müssen wir uns selbst organisieren, in den Schulen, Unis und Betrieben: Gegen den Aufstieg der Rechten, die nicht nur rassistische Politiken vorantreiben, sondern wie Aiwanger oder die AfD auch die radikalsten Klimawandelleugner:innen und Vertreter:innen der fossilen Auto- und Energieindustrie sind. Währenddessen hat gerade das antisoziale Heizungsgesetz der Ampelregierung dem Rechtspopulismus à la Aiwanger und AfD weiteren Auftritt gegeben. Daher müssen wir uns auch gegen die Regierung und die Bosse stellen, ebenso wieden Kapitalismus insgesamt, der sowohl einen Nährboden für Unterdrückung, als auch für rechte Ideologien bietet. Dafür brauchen wir eine klassenkämpferische Bewegung der Arbeiter:innen und der Jugend, unabhängig von der Regierung, dem Kapital und den reformistischen Bürokratien.

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