AfD streitet in Riesa: Wie faschistisch soll die Partei werden?

15.01.2019, Lesezeit 7 Min.
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Der AfD-Parteitag im sächsischen Riesa ist zu Ende. Er startet mit einen Schock für die Rechten: Mit André Poggenburg ist einer der wichtigsten Führungsfiguren des rechten Lagers „Der Flügel“ aus der Partei ausgetreten. Es folgten weitere Austritte von teilweise wichtigen Figuren sächsischer Ortsverbände. Der Fügelkampf zwischen Nationalkonservativen und dem faschistischen Flügel spitzt sich damit weiter zu. In der Europapolitik konnten die Nationalkonservativen einen kleinen Sieg erringen.

Am vergangenen Wochenende fand im sächsischen Riesa das Bundesdelegiertentreffen der AfD für die Europawahl statt. Neben der Kandidat*innenwahl für die hinteren Listenplätze sollte das Wahlprogramm der AfD für die Europawahl beschlossen werden.

AfD Bundesvorstandsmitglied, Spitzenkandidat für die Europawahl und wichtigste Figur des „liberal“-nationalkonservativen Flügels Jörg Meuthen eröffnete die Bundesdelegiertenkonferenz mit einer Opferrollen-Inszenierung. „Ob mit oder ohne Kantholz,“ kommentiert er die Fake-News, die die AfD über den Angriff auf den AfD-Abgeordneten Frank Magnitz verbreitet hatten, „wie man es auch dreht und wendet, es bleibt ein Attentat.“ Nach einer langen Rede darüber, welch bösen und terroristischen Kräften sich die AfD gegenübersieht, schwenkte er zu seinem Lieblingsthema der letzten Monate über, welches er als Hauptwaffe nutzte, um den faschistischen Flügel zurückzudrängen: der Verfassungsschutz. Kein Wort über den Anlass der Konferenz, kein Wort über den Austritt von Poggenburg.

Inhaltlich spiegeln sich die Fraktionskämpfe im Bezug auf die Europawahlen vor allem in der Frage wieder, ob sich die AfD eine Frist für die Einleitung eines Austrittsverfahrens Deutschlands aus der EU (den „Dexit“) setzt, oder nicht. Am Ende die Position des Europawahl-Spitzenkandidaten Jörg Meuthen, der sich eine flexiblere Haltung zur Europäischen Union wünscht. Der Austritt aus der EU wird nun nicht mehr als oberstes Ziel forciert. Stattdessen möchte sich die AfD für eine Reform der Europäischen Union einsetzen. Der „Dexit“ wird als „Ultima Ratio“ – als letztes Mittel – bezeichnet.

Austritt Poggenburgs

Doch der Austritt Poggenburgs und weiterer, teils einflussreicher AfD-Politiker*innen in Sachsen setzen den nationalkonservativen Flügel stark unter Druck. Im Gegensatz zu den gescheiterten Abspaltungsversuchen von Bernd Lucke oder Frauke Petry kann dieser zumindest den sächsischen Landesverband vor eine wirkliche Zerreißprobe stellen und auch die Kräfteverhältnisse in der Bundes-AfD tiefgehend ändern. PEGIDA-Führer Lutz Bachmann verkündete in seiner „Neujahrsansprache“, dass PEGIDA dieses Jahr in den sächsischen Landtag möchte. „Pegida wird versuchen Mandate zu erreichen um dann auf Augenhöhe mit Leuten von einer Partei sprechen zu können, die uns momentan gar nicht so richtig ernst nehmen und teilweise auch unsere Ziele und unsere Pläne verraten.“ Ob er dies mit oder gegen die AfD machten möchte, ließ er jedoch weiterhin offen: „Wir sollten versuchen im Osten stärkste Kraft zu werden, für die AfD oder für verschiedene rechte Parteien, rechte Bewegungen.“ Bisher versucht der „liberale“ Bundesvorstand um Jörg Meuthen und Beatrix von Storch, dies zu verhindern.

Doch „Der Flügel“ konnte seine Macht im Osten im vergangenen Jahr erheblich ausbauen: Die Unvereinbarkeitsklausel mit PEGIDA wurde gekippt und in Chemnitz die ersten gemeinsamen Aktionen von AfD und PEGIDA auf den Straßen geprobt. Das Ausschlussverfahren gegen Höcke wurde eingestellt und er wurde zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen 2019 gewählt. In Sachsen wird Jörg Urban, ebenfalls Mitglied des „Flügels“ zum Vorsitzenden der AfD und erst letzte Woche wurde Andreas Kalbitz zum Vorsitzenden der Landesverbands Brandenburg. Er konnte sich jedoch nur knapp gegen den Charité-Fakultätspersonalrat und „Zukunft Heimat“-Chef Hans-Christoph Berndt durchsetzen. Die wichtigsten Landesverbände der AfD sind somit in Hand des pro-faschistischen Flügels, doch im Bundesvorstand stellen sie lediglich nur zwei von 13 Mitgliedern.

Poggenburgs Ankündigung – die Gründung einer neuen Partei namens „Aufbruch deutscher Patrioten – Mitteldeutschland“ – ist eine reale Bedrohung für die AfD. Wenn diese nicht den Forderungen des pro-faschistischen Flügels nachkommt, und ihre Listen nicht für PEGIDA und womöglich anderen „Bürgerbewegungen“ öffnet, könnten ihr viele Stimmen bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland verloren gehen. Der Sprecher des „Flügels“ verkündete fast zeitgleich zum Bekanntwerden von Poggenburgs Austritt auf Facebook:

In letzter Zeit verdichten sich die Gerüchte, daß Pegida bei der Landtagswahl in Sachsen mit einer eigenen Partei gegen die AfD antreten wird. Dieser Giftkeim der Spaltung muß sofort abgetötet werden, denn die Auswirkungen wären fatal. Eine Pegida-Partei würde mit einem Ergebnis zwischen 5 und 10% in den Landtag einziehen und die AfD auf den zweiten Platz hinter der CDU verweisen, vielleicht sogar unter 20% drücken. Die Enttäuschung der Wähler wäre groß, die Dynamik der Einigkeit wäre weg. Alle Funktionäre, die Angst davor haben, daß Pegida-Kandidaten auf der AfD-Liste oder als AfD-Kandidaten im Wahlkreis ihnen etwas wegnehmen, sollen wissen: Die Pegida-Direktkandidaten würden dafür sorgen, daß kein einziger Direktwahlkreis mehr an die AfD geht!

Dieser Machtkampf wird wohl bis zum 10. Bundesparteitag der AfD entschieden werden, welcher im Früjahr 2019 stattfinden soll. Schafft es „Der Flügel“ seine Macht auszubauen und eine Fusion mit den „Bürgerbewegungen“ zu erzielen, wird dies die faschistischen Tendenzen weiter vorantreiben und ihre Umwandlung zu einer wirklich faschistischen Partei, mit ihren eigenen Straßenschlägerbanden, möglicherweise vollenden. Setzt sich jedoch der „liberale“ Flügel durch, wird wohl ein Prozess der Zersplitterung der Partei nach rechts einsetzen, während sie von „links“ weiter Einfluss an die CDU verlieren könnte. Aber vorerst scheint der „liberale“ Flügel in der Europa-Frage einen kleinen Sieg errungen zu haben. Zumal die faschistischen Kräfte innerhalb der AfD zerstritten sind. Die frühere Einigkeit von Poggenburg und Höcke ist fort, auch das wurde durch seinen Parteiaustritt und die vorausgegangenen Ereignisse bekannt.

Breite Proteste gegen die AfD

Während in Riesa die AfD-Delegierten tagten, demonstrierten laut Veranstalter*innen 1.500 Menschen unter dem Motto „AfD? Adé!“ gegen das Parteitreffen. Am Abend fand ein antifaschistisches Konzert in Riesa statt. Die Mobilisierungen wurden maßgeblich vom Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ getragen – ein Bündnis von Linkspartei, Gewerkschaften, SPD, Grünen, NGOs bis hin zu Kirchen und einzelnen CDU- und FDP-Politiker*innen. Ver.di Linkspartei, SPD und Grüne richteten auch einen Fonds für Fahrtkosten ein, um ökonomische Barrieren für die Teilnahme an der Demo zu senken. Zu größeren Auseinandersetzungen kam es nicht. Ein Naziprovokateur wurde festgenommen, ebenso zwei Gegendemonstranten. Einer, weil er einen Pappbecher Richtung Polizei warf.

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In Riesa machte eine gefälschte Bildzeitung die Runde, in der über die europafeindlichen Positionen der AfD berichtet wurde. Dort wurde versucht, die EU als „liberales“ Projekt der rassistischen AfD gegenüber zu stellen. Doch die Europäische Union ist kein liberales Projekt, sondern schlicht ein Bündnis des europäischen Kapitals, das aus den beiden Weltkriegen gelernt hatte und mit der EU die verheerenden Folgen der innerimperialistischen Konkurrenz einzudämmen versuchte. Doch dies geht nur zu Lasten der schwächeren Länder und auf Kosten der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Als Projekt der herrschenden Klasse ist die EU für uns keine Antwort auf den Rechtsruck.

Dass sich die Europäische Union und die AfD nicht unversöhnlich gegenüberstehen, sehen wir auch in der kleinen Kurskorrektur ihrer Europapolitik. Ihr Ziel ist es, eine Politik im Interesse des deutschen Kapitals zu machen. Aber weil sich die EU als so ein geeignetes Mittel gezeigt hat, die Interessen des deutschen Kapitals durchzusetzen, ist man in der AfD gerne bereit, den „Dexit“ nur noch als Ultima Ratio anzuerkennen. Als letztes Mittel also, um eine zunehmende Unterwerfung der Europäischen Union unter deutsche Wirtschaftsinteressen zu erzwingen.

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