Ägypten: Krieg und Blutbäder auf der Sinai-Halbinsel

01.12.2017, Lesezeit 5 Min.
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„Leichen stapelten sich über mir. Auf jeden, bei dem sie sich nicht sicher waren, schossen sie noch einmal.” Hintergründe des Massakers in der Al-Rawda-Moschee, das über 305 Menschenleben forderte.

Wenn der Winter kommt, fällt die Temperatur manchmal so weit unter den Gefrierpunkt, dass sich die Menschen kaum mehr auf die Straßen trauen. Schlimmer als jeder meteorologische ist allerdings der reaktionäre politische Winter im heutigen Ägypten unter dem Diktator Abdel Fattah al-Sissi. Durch einen militärischen Putsch im Jahre 2013 an die Macht gekommen, erstickte er nicht nur endgültig den revolutionären Prozess der Massen, die im Zuge des Arabischen Frühlings auf die Straßen gegangen waren, sondern etablierte ein klassisches bonapartistisches Regime, das seither für Unterdrückung und Repression steht. Das Los der ägyptischen Massen wäre wohl ein leichteres, wenn dieser politische Winter sie nur zu Hause einsperren würde — stattdessen jagt der Terror der islamistischen Gruppen sie bis in die Moscheen hinein und der ägyptische Staat führt einen gnadenlosen Krieg auf der Sinai-Halbinsel.

All das ist Ergebnis der Diktatur des Militärregimes, welches maßgeblich von den imperialistischen Mächten unterstützt wird.

Roter Teppich für al-Sissi…

Noch bevor Emmanuel Macron seine libanesische Marionette, a.k.a. Ministerpräsident Saad Hariri, zu sich in den Elysée-Palast holte, traf er sich etwa einen Monat zuvor schon mit dem ägyptischen Diktator. Es ist nichts neues, wenn ein französischer Staatspräsident einen ägyptischen Diktator empfängt: Das selbe geschah schon mit Husni Mubarak, und auch mit Ghaddafi oder auch Baschar al-Assad. Es ist Merkmal der imperialistischen Staaten, dass sie einen Pakt mit Bluthunden wie al-Sissi schließen, damit ihre Konzerne die besten Bedingungen zur Ausbeutung der lokalen Arbeiter*innenklasse haben. Rund 160 französische Unternehmen sind in Ägypten tätig, die 30.000 Beschäftigte haben.

Etwa doppelt so viele politische Gefangene sitzen in den Gefängnissen des Regimes. Doch das ist kein Grund zur Sorge für die imperialistischen Mächte. Im Gegenteil: Seit der gewaltsamen Etablierung des bonapartistischen Regimes florieren auch die Geschäfte mit den Konzernen des deutschen Imperialismus. 2016 werden sie etwa ein Handelsvolumen von 5,7 Milliarden Euro haben; das sind rund 25 Prozent mehr als vor zwei Jahren.

Diese Wirtschaftsbeziehungen sind teuer erkauft, denn sie finden vor einem Hintergrund statt, wo das Regime jegliche Opposition verboten hat und alle, die nicht mit dem Regime stehen, verfolgt. Das ist Ausdruck der Fragilität, welches charakteristisch ist für Halbkolonien wie Ägypten; noch dazu, wenn wir uns im zehnten Jahr einer Weltwirtschaftskrise befinden. Es ist fast schone eine Schablone der typischen Probleme, mit denen abhängige Halbkolonien zu kämpfen haben: Hohes Haushaltsdefizit, die wachsende Auslandsverschuldung und die galoppierende Inflation sind Kernmerkmale der wirtschaftlichen Probleme Ägyptens. Unter diesen Bedingungen können die nationalen Bourgeoisien nicht anders, als ein bonapartistisches Regime einzuführen,

wo die ökonomisch herrschende Klasse, zu demokratischen Regierungsmethoden nicht mehr imstande [ist], sich im Interesse der Erhaltung ihres Eigentums gezwungen sieht, das unkontrollierte Kommando des Militär- und Polizeiapparats, mit einem „Retter an der Spitze“ über sich zu dulden. (Leo Trotzki)

Doch im Falle Ägyptens ist das nicht genug. Das Militär besitzt auch Produktionsstätten, kaum davon zu sprechen, dass die höherrangigen Militärs ebenso zu den reichsten Menschen des Landes zählen. Für sie bietet das bonapartistische Regime die idealen, wenn auch nicht optimalen Voraussetzungen für die Anhäufung ihrer Reichtümer, während im vorletzten Jahr die Auslandsverschuldung auf fast 70 Milliarden USD explodierte. Doch kein Grund zur Sorge, die imperialistischen Fäden halten die herrschende Klasse aufrecht: Erst im Mai 2017 gewährte der Internationale Währungsfonds weitere 1,25 Milliarden USD im Rahmen eines 12 Milliarden USD schweren Paketes frei.

Diese labile, weil nur temporäre Stabilität zeichnet sich in der imperialistischen Epoche allerdings auch dadurch aus, dass der nationale Diktator al-Sissis undenkbar wäre, ohne die Hilfe aus den Metropolen vornehmlich Washingtons, Berlins und Paris. So ist Ägypten im Nahen Osten nach Israel das Land, welches die meisten Finanzhilfen von den USA bekommt.

…rote Blutbäder für die Bevölkerung

Folge dieser instabilen politischen Situation ist auch, dass islamistische Gruppen wie der IS ein Blutbad inmitten einer Moschee auf der Sinai-Halbinsel ausrichten können, wo über 305 Menschen ermordet werden. Die Terrorangriffe richten sich in der Regel zwar gegen koptische Christ*innen oder auch Tourist*innen, dieses Mal jedoch traf es diejenigen, die in die Moschee wollten, darunter viele Sufis, eine mystische Strömung im Islam, viele Alte und Kinder.

Das passiert in einer Region, die seit 2014 praktisch abgeriegelt ist und immer wieder Ziel von Militäroperationen des Staates ist. Auch dieses Mal versuchte das Regime Härte zu zeigen und flog Luftangriffe auf vermeintliche Stellungen des IS. Allerdings werden dabei auch immer wieder Zivilist*innen Opfer dieser Angriffe. Diese Angriffe, die mit Billigung der imperialistischen Mächte stattfinden, nähren jedoch den Boden, auf dem der Islamismus gedeihen kann, denn sie zerstören jegliche Lebensgrundlagen. Der ägyptische Staat führt damit einen asymmetrischen Krieg gegen Terrorkommandos des IS immer mit dem gleichen Schema: Auf Terroranschläge wird mit Vergeltung geantwortet. Eine Strategie, die schon jetzt gescheitert ist. Die immer wieder kehrenden Terrorangriffe offenbaren auch, dass der ägyptische Staat trotz eines hochgerüsteten Polizei- und Militärapparats nicht in der Lage ist, die Sicherheit zu gewährleisten. Einmal mehr demaskiert sich damit der Charakter dieser Organe, deren Ziel nur die Repression zum Beispiel gegen die LGBTI*-Community ist.

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