Abschlüsse im Einzelhandel: Welche Bilanz?

01.02.2014, Lesezeit 7 Min.
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„Streik im Einzelhandel? Hab ich nichts von mitbekommen. Und überhaupt – was geht denn mich das an?“ So oder so ähnlich war womöglich die Reaktion vieler Studierender auf den Appell zur Solidarität mit dem Arbeitskampf im Einzelhandel.

Über die Tatsache hinaus, dass bereits jetzt viele Studierende direkt betroffen sind, da sie sich neben dem Studium im Einzelhandel bei Rewe, H&M und Co. verdingen, ist es wichtig zu begreifen, dass die überragende Mehrheit von uns zukünftig selbst der Klasse der Lohnabhängigen angehören wird und auch in Deutschland unter zunehmend prekären Bedingungen wird leben müssen. So ist der Kampf der Arbeiter*innen automatisch auch ein Kampf für unsere zukünftigen Lebens- und Arbeitsbedingungen – ihr Kampf muss also unser Kampf werden, egal in welchem Sektor.

Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) hatte im Frühjahr 2013 deutschlandweit die Mantel- und Entgelttarifverträge gekündigt, um die Löhne zu senken und die Arbeitszeiten zu flexibilisieren – ein enormer Angriff auf die Arbeiter*innenklasse in Deutschland und ein weiterer Schritt im Prozess der Prekarisierung von Arbeitsbedingungen. Denn der HDE vertritt ca. 400.000 Unternehmen eines Sektors, in dem über 3 Mio. Arbeiter*innen beschäftigt sind. Unter anderem sollten Zuschläge abgebaut und Sonntagsarbeit ausgebaut werden, Schichtpläne noch spontaner gestaltbar sein und eine neue Niedriglohngruppe geschaffen werden. Setzen sich Verschlechterungen dieser Art in diesem wichtigen Sektor durch, ist dies ein Signal für die zukünftige Entwicklungen in anderen Sektoren, denn sobald die Kapitalist*innen sehen, was sie gegen die Interessen der Arbeiter*innen alles durchsetzen können, werden sie kaum auf die Möglichkeit verzichten, ihre Profite zu steigern. Damit hatte dieser Arbeitskampf eindeutig Relevanz für die Arbeits- und Lebensverhältnisse aller Arbeiter*innen in Deutschland und weltweit.

Für Brot und Rosen! Von Bangladesch bis Berlin

Bemerkenswert bei dem Arbeitskampf im Einzelhandel ist auch, wie eng er mit wichtigen anderen Themen und Kämpfen verbunden ist – während in Deutschland die Verkäufer*innen von H&M streikten, gingen in Bangladesch im November erneut über 30.000 Arbeiter*innen für einen Mindestlohn in den Ausstand, also diejenigen, die unter anderem die Kleidung herstellen, die bei H&M verkauft wird. Anfang Januar legten sogar 2/3 der 600.000 Textilarbeiter*innen in Kambodscha die Arbeit nieder, um für eine Erhöhung des Mindestlohns zu kämpfen. Dabei wurden 5 Arbeiter*innen ermordet! Im ostasiatischen Textilgewerbe arbeiten vorrangig Frauen* unter erniedrigenden Bedingungen. Aber auch im deutschen Einzelhandel machen sie über 70% der Beschäftigten aus. Dies ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass Frauen* besonders häufig von Prekarisierung betroffen sind. Der Kampf gegen Prekarisierung im Einzelhandel ist also auch ein feministischer Kampf.

In Berlin wurde dieser Angriff erstmals mit einem Warnstreik von 400 Arbeiter*innen am 14. Juni beantwortet. Seitdem gab es immer wieder Kundgebungen, bei denen sich die Streikenden – oft auch unterstützt von solidarischen Studierenden – vor Kaufhäusern und Geschäften versammelten und ihre nicht streikenden Kolleg*innen und die Kund*innen informierten. Die Beschäftigten und ihre Unterstützer*innen organisierten auch kreativere Aktionen. So fand am 20.12. beispielsweise eine laute, kraftvolle Blockade-Aktion der Blockupy Streik-AG statt, an der wir ebenfalls teilnahmen. Diese zeigte auch eindrucksvoll, wie wir uns als Studierende entschlossen für unsere gemeinsamen Interessen mit den Arbeiter*innen stark machen können.

Obwohl es in neun anderen Bundesländern im Dezember zu Tarifabschlüssen kam, die die Angriffe im großen und ganzen nicht abwehren konnten, lehnte im Dezember die Tarifkommission in Berlin-Brandenburg eine Einigung ab, vor allem auf Grund der Stimmen der Ehrenamtlichen. Doch am 7. Januar 2014 knickte ver.di auch in Berlin-Brandenburg unter dem Druck der Kapitalist*innen ein. Die zentrale Forderung, wegen der bisher weitergekämpft wurde, war die Angleichung der Löhne in Ost- und Westberlin. Diese wurde nun mit einer faulen Absichtserklärung „bis spätestens Juli 2015“ aufgeschoben. Der Manteltarifvertrag konnte zwar erhalten bleiben und es gab, neben 3,1% mehr Lohn rückwirkend zum 01.10.2013 und 2,1% ab dem 01.07.2014, für Azubis 7,6 % mehr Ausbildungsvergütung in Berlin-Brandenburg. Dennoch wurde die Einführung einer Niedriglohngruppe für die Warenverräumung mit extra Tarifvertrag nicht verhindert und es muss nun jeden 2. Samstag gearbeitet werden.

Zu schwache Gegenwehr

In diesem schwachen Ergebnis spiegeln sich die Fehler der Gewerkschaftsbürokratie bei ver.di wieder. Denn obwohl der Angriff der Kapitalist*innen so weitreichend ausfiel und die Beschäftigten mit einer bewundernswerten Ausdauer kämpften, war die Gegenwehr schwach. Es gab keine bundesweit koordinierten Streikaktionen und somit keine einheitliche Antwort auf diesen deutschlandweiten Angriff. Der Grund dafür war zwar einerseits der geringe gewerkschaftliche Organisationsgrad und der geringe Anteil von Vollzeit-Beschäftigten, der dazu führte, dass durch den Streik nur selten der Verkaufsbetrieb eingestellt werden musste. Andererseits spielten aber vor allem die halbherzigen Aufrufe und fadenscheinige Hinderungsgründe gegen eigene Aktionen der Arbeiter*innen seitens der ver.di-Bürokratie eine Rolle dabei, dass es nicht gelang, sich besser zu koordinieren, den Streik den Streikenden selbst in die Hand zu geben und ihn mit anderen (Arbeits-)Kämpfen zusammen zu führen. Letzteres war zwar im Ansatz vorhanden – zum Beispiel gab es eine große gemeinsame Aktion mit den streikenden Lehrer*innen in Berlin am 4. Dezember – doch blieb dies aus unserer Sicht zu vereinzelt und wurde zu wenig vorangetrieben.

Seit dem Beginn des Streiks waren wir von WAFFENDERKRITIK als Unterstützer*innen dabei – um den Druck auf der Straße zu erhöhen, mehr Kolleg*innen für den Streik und die gewerkschaftliche Organisation zu gewinnen und unsere Erfahrungen aus anderen Arbeitskämpfen einzubringen. Neben kreativen Ideen zur Ausweitung des Streiks, schlugen wir immer wieder das Abhalten von demokratischen Streikversammlungen an allen Streiktagen vor, welches wir für eine wichtige Methode halten, damit die Beschäftigten selbst gemeinsam über die Art und Weise der Führung des Arbeitskampfes beraten und entscheiden. Den Streikenden war unsere Unterstützung willkommen, doch stießen wir immer wieder auf den Widerstand der ver.di-Hauptamtlichen, gerade wenn es um unsere Idee der demokratischen Streikversammlungen ging. Die ver.di-Bürokratie schien Angst davor zu haben, den Streik aus den Händen zu geben und so die Kontrolle über ihre Mitglieder zu verlieren. Denn ihre Rolle innerhalb der „Sozialpartnerschaft“ besteht darin, zwischen Arbeiter*innen und Bossen zu vermitteln – das wäre weder nötig noch möglich, wenn die Arbeiter*innen selbstbestimmt kämpfen würden.

Der Basis offenbarte sich in diesem Kampf in ersten Ansätzen der Widerspruch, durch die Gewerkschaftsbürokratie nicht angemessen vertreten zu werden. Denn die Hauptamtlichen bei ver.di vertreten letztendlich die Interessen des Gewerkschaftsapparates, nicht jene der Arbeiter*innenklasse. Lasst uns die Arbeiter*innen darin unterstützen, die Gewerkschaften zurückzuerobern, damit sie ihren Interessen dienen!

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