57 Tote bei Zugunfall in Griechenland: Privatisierung ist tödlich

06.03.2023, Lesezeit 4 Min.
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Shutterstock.com / Ververidis Vasilis

In der Nacht am Mittwoch, dem 01.03. ereignete sich auf der Strecke zwischen Thessaloniki und Athen das bisher tödlichste Zugunglück Griechenlands, als ein Güterzug und ein Passagierzug in Tempe frontal zusammenstießen. Die meisten der 57 Opfer des Zugunglücks waren Student:innen, die von einem Kurzurlaub an ihren Studienort zurückkehrten.

Schnell fand die Regierung einen Verantwortlichen: Ein Bahnhofsvorsteher, der mit erst 40 Tagen Arbeitserfahrung nach einer dreimonatigen Ausbildung alleine vier Tage lang im Stellwerk des Bahnhofs Larisa im Einsatz war. Zusätzlich gab es durch das verlängerte Feiertagswochenende erhöhten Zugverkehr auf dieser Strecke.
Nun droht dem Bahnhofsvorsteher, einem Bauernopfer der Politik, lebenslange Haft.
Doch die Arbeiter:innen und breite Teile der Bevölkerung erkannten diese Farce und riefen zu Streiks und Demonstrationen auf.

Seit dem Unglück streiken die Eisenbahner:innen und es finden täglich Demonstrationen in Athen statt. Am Sonntag gingen mehr als 12.000 Menschen auf die Straße und forderten, dass die Regierung und das privatisierte Eisenbahnunternehmen für den Tod der 57 Menschen in Verantwortung gezogen werden. Auch jeden weiteren Tag demonstrieren Tausende, um die Verkehrssicherheit zu fordern und die Verantwortung des Staates dafür deutlich zu machen, dass die Bahnstruktur nicht modernisiert wurde, da es keine automatischen Kontrollsysteme gibt, welches den Zusammenstoß der beiden Züge hätte verhindern können. Die Wut wuchs im Laufe der Tage, während die griechische Regierung und das private Eisenbahnunternehmen, menschliches Versagen seitens eines einzelnen Bahnarbeiters verantwortlich machte.

Erst durch die große Demonstration am Sonntag sah sich die Regierung gezwungen, sich zu entschuldigen und der konservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis räumte ein, dass es im Eisenbahnnetz an Sicherheitsmaßnahmen und automatischen Kontrollsystemen fehle.
„Wir können, werden und dürfen uns nicht hinter menschlichem Versagen verstecken,” sagte Mitsotakis auf seinem Facebook-Account und änderte damit den Diskurs, der bisher den angeklagten Bahnhofsvorsteher von Larisa alleine für den Unfall verantwortlich gemacht hatte. Mitsotakis Haltung zielte darauf ab, eine Eskalation der Proteste zu verhindern, die seine konservative Partei „Neue Demokratie” im Vorfeld der für das nächste Frühjahr geplanten Parlamentswahlen weiter schwächen würde.1

Während der Proteste waren Slogans wie „Privatisierung tötet“, „Eure Profite, unsere Toten“ und „Eure Politik kostet Leben“ zu hören und zu lesen, während einige Transparente die Regierung beschuldigten, „Mörder“ zu sein. Am Mittwoch, den 1. und 3. März, veranstaltete die Studierendengewerkschaft in Athen, Thessaloniki und Larissa, Schweigekundgebungen vor den Büros des Unternehmens „Hellenic Train“ und an den Bahnhöfen unter dem Motto „Unsere Toten – ihre Gewinne“. In Athen kam es zu einem Angriff auf die Studierenden durch die Polizei, die erfolglos versuchten, die Versammlung durch den Einsatz von Tränengas und Blendgranaten aufzulösen. Die Studierenden marschierten zum Parlament, während die Staatsgewalt weiterhin versuchte, sie durch den ständigen Einsatz von Repressionsmitteln zu vertreiben. Hier zeigt sich wieder einmal deutlich, wie der Staat fast ausschließlich die Interessen von Unternehmen vertritt und Privateigentum schützt.

Die griechischen Eisenbahnen, Hellenic Train, werden von der italienischen Gesellschaft Ferrovie dello Stato Italiane betrieben, obwohl die Eisenbahninfrastruktur des Landes, einschließlich der Sicherheitssysteme, von der staatlichen Gesellschaft OSE betrieben wird.
Im Rahmen dieser Politik wurden Arbeiter:innen entlassen und Verbleibenden wurden flexible Arbeitsbedingungen und Intensivierung auferlegt, während das italienische Unternehmen stark subventioniert wurde. Auch gab es zahlreiche Warnungen von Arbeiter:innen, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis sich ein schwerer Unfall ereignen würde, die von der Regierung und dem Unternehmen offensichtlich ignoriert wurden.

Griechenland wurde seit 2010 von der sogenannten Troika (bestehend aus der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem IWF) im Gegenzug für ein Rettungspaket für die griechische Wirtschaft, umfangreiche Privatisierungen und ein sogenannter „Strukturanpassungsplan” auferlegt. Auf diese Weise übernahmen verschiedene europäische Unternehmen die Verwaltung von Häfen, Flughäfen, Verkehr und öffentlichen Dienstleistungen in Griechenland. Wie überall auf der Welt handeln diese Unternehmen nach der Logik, möglichst viel Gewinn und Profit im Austausch für möglichst wenig Investitionen zu erzielen. Diese Politik hat dazu geführt, dass die öffentlichen Dienste vollständig aus dem Staatshaushalt gestrichen wurden und die staatlichen Vermögenswerte zu Spottpreisen verkauft werden mussten. Die Eisenbahner:innen haben diese Situation immer wieder angeprangert, ohne dass die verschiedenen Regierungen darauf reagiert hätten. Sicherheitsmaßnahmen und automatisierte Systeme hätten eine Katastrophe wie die der letzten Woche verhindern können. Eine Katastrophe, die ein direktes Produkt dieser Anpassungs- und Privatisierungspolitik ist. 2

Fußnoten

1. Abschnitt übersetzt aus: La Izquierda Diario

2. Abschnitt übersetzt aus: La Izquierda Diario

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