450 Euro zum Leben: Ausbeutung von Pflegekräften aus Vietnam

22.05.2023, Lesezeit 7 Min.
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Bild: Maxi Schulz

Die Ausbildungen von vietnamesischen Pflegekräften werden in Deutschland nicht anerkannt. Daher müssen sie zu Niedriglöhnen ihre Ausbildung erneut machen. Ein Interview mit einer Kollegin.

Laut der Bundesregierung arbeiten über 200.000 Pflegekräfte ohne deutsche Staatsbürgerschaft in deutschen Kliniken und Pflegeeinrichtungen. Die meisten besitzen eine polnische, bosnische, türkische, oder aber wie über 4800 Pflegekräfte, auch die vietnamesische Staatsbürgerschaft. Das erklärte Ziel dabei ist, dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenzutreten.

Die vietnamesischen Pflegekräfte werden durch die Zusammenarbeit von Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und Ministery of Labour Invalids and Social Affairs (MoLISA) in Vietnam angeworben. Das Projekt startete offiziell 2012, jedoch wurden in den letzten Jahren immer mehr Menschen angeworben. Neben staatlichen Vermittlungsfirmen sind auch private Träger in diesem Bereich aktiv.

Die Anwerbeprogramme stehen jedoch unter Kritik, da nicht alle Abschlüsse aus Vietnam anerkannt werden und die angeworbenen Pflegekräfte schlecht bezahlt und unter schlechten Lebensbedingungen arbeiten. Auf der Webseite des Programms steht, dass die Pflegeeinrichtungen dazu angehalten sind, “eine angemessene Ausbildungsvergütung zu gewährleisten, durch die die Auszubildenden ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Unterstützung bestreiten können.”

Wir fragen eine vietnamesische Kollegin, die sich noch in Ausbildung bei Vivantes, einer Berliner Großklinik, befindet, ob diese Bedingungen erfüllt werden und wie die Arbeitsbedingungen aussehen.

Hallo, seit wann lebst du schon in Deutschland?

Kollegin: Seit circa Ende September 2022.

Was hast du gemacht, bevor du hier angekommen bist?

Kollegin: Ich komme aus der Mitte von Vietnam und ich habe dort bereits ein Studium zur medizinischen Krankenpflege an der Universität abgeschlossen. Danach habe ich aber nicht direkt angefangen zu arbeiten, sondern einen Deutschkurs besucht. Und anschließend bin ich nach Deutschland gekommen.

Wie hast du davon mitbekommen, dass die Möglichkeit besteht, in Deutschland zu arbeiten?

Kollegin: Ich kannte bereits Menschen, die in Deutschland arbeiten. Dann habe ich mich bei COLAB (Center for Overseas Labour) in Vietnam gemeldet. Es gab dann ein Interview und das Angebot, einen Deutschkurs zu absolvieren. Von September 2021 bis September 2022 habe ich dann einen solchen Kurs besucht, der zum Glück vom Anwerbeprogramm selbst bezahlt wurde.

Wie kommt es aber, dass Du die Ausbildung in Deutschland nochmal machst, obwohl du bereits ein Studium hinter Dir hast?

Kollegin: Leider werden unsere Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt. Alles, was wir in Vietnam studiert haben, bleibt in Vietnam.

Seit wievielen Jahren kommen Kolleg:innen aus Vietnam nach Deutschland im Rahmen dieses Programms? Wie viele Menschen wären das insgesamt?

Kollegin: Ich kenne 46 Kolleg:innen, die zu meinem Betrieb gekommen sind. Aber es gibt bestimmt viel mehr. Soweit ich weiß kommen seit sechs Jahren kontinuierlich Kolleg:innen zu Vivantes. Also mindestens sechs Jahrgänge. Ich gehöre zum letzten Jahrgang. Ab diesem Jahr sollen keine Pflegekräfte mehr aus Vietnam geholt werden. Zumindest für meinen Betrieb. Es kommen aber auch Pflegekräfte zu anderen Bundesländern.

Was ist die Motivation hinter eurer Entscheidung, in Deutschland zu arbeiten?

Kollegin: Hauptsächlich, um Geld für unsere Familien zu senden, wenn wir die Ausbildung fertig haben und als Fachkräfte arbeiten.

Wie sehen die Ausbildungsbedingungen aus? Wie sind eure Klassen zusammengesetzt?

Kollegin: In meiner Klasse sind nur Auszubildende aus Vietnam. Die Folge ist natürlich, dass wir wenig Kontakt mit Auszubildenden aus Deutschland haben und daher unter uns vietnamesisch sprechen. Wir wünschen uns aber eigentlich, dass wir mit allen anderen Auszubildenden gemeinsam in Klassen sind und dadurch besser Deutsch lernen.

Und wie hoch ist euer Lohn? 

Kollegin: Unser Ausbildungsvertrag sieht vor, dass wir für die drei Jahre Ausbildung, circa 900 Euro netto monatlich bekommen. Davon müssen wir jedoch 100 Euro im Monat für weitere Sprachkurse zahlen, die Pflicht für alle sind.

Krass, also müsst ihr die Sprachkurse noch extra von eurem Lohn zahlen?

Kollegin: Ja, und zwar 10 Stunden pro Monat, die dann nicht als Arbeitszeit gelten.

Sprachkurse müssten eigentlich als Arbeitszeit gelten und vollständig vom Arbeitgeber übernommen werden! Und was ist mit der Wohnsituation?

Kollegin: Vivantes hat für alle Azubis aus Vietnam Wohnungen gestellt. In unserer Wohnung sind wir vier vietnamesische Azubis, die sich immer zu zweit ein Zimmer teilen. Wir müssen pro Person 350 Euro zahlen, obwohl wir nicht mal unser eigenes Zimmer haben. Das wird direkt neben dem Sprachkurs von unserem Netto-Lohn abgezogen. Am Ende bleibt uns also zum Leben 450 Euro übrig, obwohl wir Vollzeit arbeiten.

Das geht echt überhaupt nicht. Wie kann es sein, dass der Lebensunterhalt dadurch gesichert werden kann? Dazu kommt ja noch Ausgaben, die wir alle als Azubis haben, wie Arbeitsschuhe, Lernmaterial und ähnliches. Außerdem wären das für eine 2-Zimmer Wohnung dann insgesamt 1400 Euro – was super überteuert ist. Wem gehören denn diese Wohnungen?

Kollegin: Die Firma heißt “berlinovo Apartments” Ich habe nur gehört, dass Vivantes für die Wohnungen circa 800 Euro an diese Firma zahlt. Was mit der Differenz passiert, weiß ich nicht. Diese Information konnten wir aber nicht bestätigen. Im Haus sind aber auch Azubis aus anderen Ländern, wie Mexiko oder der Türkei. Sie haben aber bereits die Anerkennung und können auch außerhalb dieser Wohnanlage wohnen.

Wie? Also dürft ihr aus diesen Wohnungen nicht ausziehen? 

Kollegin: Nach der Ausbildung dürfen wir ausziehen. Aber nicht während der Ausbildung, soweit wir wissen. Es ist aber echt schwer drei Jahre zu zweit in einem Zimmer zu wohnen. Wir können uns schwer konzentrieren, wenn wir lernen müssen oder einfach unsere Privatsphäre haben wollen.

Das gibt es doch nicht… Wie schafft ihr es denn finanziell?

Kollegin: Viele von uns gehen neben der Vollzeit-Ausbildung in Minijobs arbeiten.

Ja, in unserer Klasse müssen auch viele neben der Ausbildung weitere Schichten machen, um über die Runden zu kommen. Was passiert, wenn ihr euch entscheiden solltet, die Ausbildung abzubrechen?

Kollegin: Dann müssen wir in der Regel zurück nach Vietnam gehen. Der Arbeitgeber übernimmt auch nur die Hälfte der Flugkosten für die Rückreise, die bis zu 1000 Euro kosten.

Eine letzte Frage: wenn du eine Sache bei der Ausbildung ändern könntest, was wäre das?

Kollegin: Für mich wäre das Wichtigste, ein eigenes Zimmer zu haben. Wir sind alle zwischen 20 und 30 Jahre alt. In diesem Alter ein Zimmer teilen zu müssen, geht meiner Meinung nach nicht. Ich habe gehört, dass in anderen Einrichtungen andere Azubis auch eigene Zimmer haben, aber bei uns ist das nicht der Fall. Ich finde es auch nicht gut, dass der Sprachkurs nur online ist und wir dafür 100 Euro monatlich zahlen müssen. Die Termine müssen wir auch extra zur Arbeitszeit einplanen. Das muss sich ändern.

Danke dir für die ganzen Informationen und das Interview. Ich denke, dass wir gemeinsam als Beschäftigte von Unternehmen für eure Forderungen kämpfen müssen. Auch die gewerkschaftlichen Strukturen sollten sich da mehr informieren und aktiv werden.

Kollegin: Danke auch.

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