Widerstand und Solidarität – ihr Kampf ist unser Kampf!

09.06.2013, Lesezeit 5 Min.
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// Flugblatt zur Solidarität mit den Protesten in der Türkei // Türkisch //

Seit dem 31. Mai stehen Millionen auf den Straßen verschiedener Städte und Provinzen im türkischen Staat. Ausgegangen von einer kleinen Gruppe von AktivistInnen, die gegen den Abriss des Gezi-Parks unmittelbar neben dem symbolischen Taksim-Platz protestierten, hat sich in den letzten Tagen eine massenhafte Bewegung entwickelt, die sich härteste Auseinandersetzungen mit der Polizei liefert. Was bedeuten diese Bewegung und welchen Weg kann und muss sie gehen?

Eine schleichende Islamisierung?

Vorhergegangen sind dem konkreten Auslöser der Proteste – dem Abriss des Parks – Projekte der AKP-Regierung unter Erdoğan, eine repressive, konservative Atmosphäre zu schaffen. Die konservativ-religiöse Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung will, wie viele junge Menschen und säkulare Kräfte in der Türkei meinen, eine islamisierte Gesellschaft mit vielen Rückgriffen auf das alte Osmanische Reich schaffen. So möchte die Regierung den Alkoholausschank einschränken, sie beabsichtigt das Abtreibungsrecht massiv einzuschränken, damit jede Familie nach den Vorstellungen Erdoğans im Sinne der Produktion von Kanonenfutter (mit öffentlichen Anspielungen auf die muslimische Eroberung Anatoliens) mindestens drei Kinder bekommt.

Ein offener Affront

Erdoğan beabsichtigt dabei nicht, irgendwo irgendetwas zu bauen. So soll das geplante Einkaufszentrum nicht nur die Fassade einer Kaserne aus osmanischen Zeiten bekommen, der Taksim-Platz direkt daneben ist auch ein für die ArbeiterInnenbewegung wichtiger und symbolischer Platz, zu der ihr der Zugang seit Jahrzehnten verwehrt wird. Gleichzeitig teilte Erdoğan mit, dass dem Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk gewidmete Kulturzentrum am Platz abzureißen und durch eine Moschee zu ersetzen wollen. Damit ist dieses Bauprojekt ein propagandistisches Projekt sowohl gegen die Linke, als auch gegen die seit Jahrzehnten staatstragende, säkulare Bewegung des Kemalismus.

Was passiert „hinter der Bühne“?

Der Kemalismus und die mit ihm verbundene Partei CHP entstammen der Staatsgründung der modernen Türkei durch Atatürk. Über Jahrzehnte hinweg herrschte in der Türkei ein starker Staatsapparat und eine mit ihm tief verbundene wirtschaftliche Elite. Doch in den letzten Jahrzehnten entstand außerhalb der Zentren an der Westküste eine neue Bourgeoisie, die nicht mehr so stark mit dem Staatsapparat verflochten war und sich somit im herrschenden politischen Regime nicht repräsentiert sah. Politisch suchte sie also nach eigenem Ausdruck in einer konservativen Religiosität und letztlich in der AKP, die seit 2003 die DSP (eine andere kemalistische Partei) von der Regierung verdrängen konnte. Die CHP versucht nun die sich in den Protesten ausdrückende Stimmung gegen Erdoğan und die AKP zu nutzen, um sie im nächsten Jahr parlamentarisch zu kanalisieren und versucht damit einen Regierungswechsel vorzubereiten – im Rahmen des gleichen, herrschenden Systems.

Für die Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse!

Wir sehen also einen Konflikt zwei verschiedener Flügel der herrschenden Klasse. Auch wenn sich der Kemalismus mittels einer Unterstützung der Proteste als Alternative zur AKP anzubieten versucht – auch die CHP wird, einmal an der Regierung, ihren alten repressiven Kurs fortsetzen und Politik für die Herrschenden und Besitzenden machen. Bereits hat der CHP-Bürgermeister von Izmir Verfahren gegen die ArbeiterInnen eingeleitet, die am 5. Juni streikten. Weder in die AKP, die sich zu Beginn ihrer politischen „Karriere“ als demokratische Alternative zum Kemalismus darstellte, noch die CHP, die nun ihrerseits sich als demokratische Alternative zum islamischen Konservatismus präsentiert, können oder werden jemals Politik im Interesse der ArbeiterInnen, Jugend, Frauen, LGBT oder der unterdrückten nationalen und religiösen Gruppen machen. Deswegen ist auch über die Proteste hinweg – die eine Perspektive nur in Verbindung mit der ArbeiterInnenbewegung , die allein den ökonomischen Druck ausüben kann, um eine Regierung zu stürzen, finden können – eine unabhängige Organisierung der ArbeiterInnenklasse notwendig, damit diese sich auf ihren grundlegenden Interessen zusammenschließen kann und gegen die hohlen Versprechen jedweden Flügels der Bourgeoisie die Unterdrückten der verteidigen und anführen kann.

Der Kampf um die Stadt

Der Versuch der kapitalistischen Regierung Erdoğans, den Gezi-Park durch ein Einkaufszentrum zu ersetzen, ist Ausdruck der stetigen Suche des Kapitals nach neuen Verwertungsmöglichkeiten, wodurch Freiräume für die Menschen verschlungen werden oder ihre Lebensgrundlagen zerstört. Nicht umsonst begannen die Proteste mit einem Kern aus Anti-Gentrifizierungs-AktivistInnen. Auch hier in Berlin sind seit Jahren Prozesse der Vertreibung von ArbeiterInnen und MigrantInnen durch Mietsteigerungen im Gange, genau so wie die Kämpfe dagegen – als konkretes Beispiel das Mieter-Camp am Kottbusser Tor, wo im gemeinsamen Kampf die vom Kapital aufgezwungene und reproduzierte nationale Spaltung durchbrochen wird.

Die bürgerliche Instrumentalisierung hierzulande

Mit dem Beginn der Proteste haben sich Regierung und bürgerliche Presse damit beschäftigt, ein Bild eines „bösen Diktators“ in der fernen Türkei zu zeichnen. In ihrer unendlichen Heuchelei haben sie verschwiegen, dass gleichzeitig in Frankfurt ihre eigene Polizei DemonstrantInnen niederprügelte. Sie haben verschwiegen, dass sie für die Massenverelendung in Ländern wie Griechenland verantwortlich sind. Auch hier in Deutschland können wir uns nicht auf die eine oder andere Variante bürgerlicher Politik verlassen – und mag sie auch noch so freundlich und demokratisch klingen. Wir brauchen die Macht der unabhängigen ArbeiterInnenklasse und die internationale Solidarität der Unterdrückten – denn ihr Kampf ist unser Kampf!

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