Wenn Information ein Verbrechen ist, dann sind auch wir Kriminelle: Solidarität mit der Journalistin Veronica Landa!

06.06.2018, Lesezeit 8 Min.
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Die Journalistin der linken Zeitung IzquierdaDiario.es, Verónica Landa, wurde vom Obersten Polizeichef von Katalonien, Sebastián Trapote, angezeigt und für den 2. Juli vor das 32. Amtsgericht in Barcelona geladen. Der Grund für die Beschwerde ist der Vorwurf der "Verleumdung" in einem Artikel, in dem die Journalistin das Klima der Straflosigkeit anprangert, was den verschiedenen Polizeikräften des spanischen Staates Rückendeckung gibt. Das zeigt sich in mehreren Fällen, die in den Schubladen verschwunden sind oder eingestellt wurden, oder mit Begnadigungen von Täter*innen und Tatverdächtigen endeten.

Mehrere alternative Medien sind solidarisch mit der Journalistin von IzquierdaDiario.es, Verónica Landa, und haben den Artikel veröffentlicht, für den sie von einem Polizeichef eine Beschwerde wegen „Verleumdung“ erhalten hat. Auch wir veröffentlichen hier den Artikel unserer Genossin.

Dieser Artikel wurde gleichzeitig in „Kaos en la Red“ (Chaos im Netz), „La Haine“ (Der Hass) und mehreren alternativen Medien veröffentlicht. Wir sind dankbar für die Solidarität und Unterstützung. Alle zusammen für die Meinungsfreiheit. Sie werden uns nicht zum Schweigen bringen!

Heute sind wir zahlreiche Medien, die diesen Artikel spiegeln. Wir tun dies aus Solidarität mit der Genossin, aber auch, um alles zu verurteilen, was in Bezug auf die Meinungsfreiheit geschieht, die de facto abgeschafft wurde. Tag für Tag sehen wir, wie Sänger*innen, Journalist*innen, twitternde Personen, Künstler*innen und alle, die eine kritische Sichtweise an den Tag legen, das nächste Ziel der Regierung, der Sicherheitskräfte und der Justiz sein können, immer unterstützt durch ihre großen Medien. Außerdem teilen wir den Artikel, weil wir davon überzeugt sind, dass, wenn unsere Genossin eine Verbrecherin ist, wir auch Verbrecher*innen sind. Wenn die Information ein Verbrechen ist, erklären wir uns als Verbecher*innen und stolz darauf.

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Straffreiheit für Folterer – neue oder gängige Praxis?

Der Fall Moreno García ist keine Ausnahme. Die Zahl der Begnadigungen durch die PP („Partido Popular“, Volkspartei) und die PSOE („Partido Socialista Obrera de España“, Sozialdemokratische Partei) sowie Berichte von Menschenrechtsorganisationen zeigen, wie häufig Folter im Spanischen Staat straffrei ist.

Héctor Moreno García, der neue Chef der kantabrischen Nationalpolizei, war 1994 wegen Folter und illegaler Inhaftierung verurteilt worden. Im Jahr 1998 wurde er von der Regierung von José María Aznar zusammen mit anderen Polizisten begnadigt, die im selben Fall verurteilt wurden.

Ein weiteres Beispiel ist das von Félix Antolín, im Februar dieses Jahres ernannt zum leitenden Polizeichef in Castilla-La Mancha. Antolín wurde angezeigt wegen Belästigung und Mobbings eines stellvertretenden internen Ermittlers.

Die Ernennung dieser beiden Personen zum Polizeichef obliegt dem Innenministerium und damit dem Minister Juan Ignacio Zoido. Er erklärte am 6. April, dass er „großes Vertrauen“ in Héctor Moreno García habe. Gleichzeitig betonte er das Engagement der Regierung für „Sicherheit und Freiheit“.

Der Minister betonte auch, dass sowohl die Polizei als auch die Guardia Civil zu den von der Gesellschaft „am meisten geschätzten“ Institutionen gehören und dass sie „bei der freien und friedlichen Ausübung der Grundrechte unter strikter Achtung der Legalität handeln“.

Ramón Cossío, Sprecher der Vereinten Polizeigewerkschaft (SUP), ist der Ansicht, dass die Angelegenheit von Moreno García „aufgeblasen“ wurde und dass er im Hinblick auf die Verurteilung von 1994 „jung war und in irgendeine Auseinandersetzung verwickelt gewesen sei“.

Berichte von Einrichtungen wie der „Koordinierungsstelle zur Folterprävention“, die sich aus Anti-Folter- und Pro-Menschenrechtsorganisationen zusammensetzt, sprechen von über 7.500 Fällen von Beschwerden über Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch Beamt*innen.

Amnesty International ihrerseits meldete Fälle von Polizeimissbrauch, Misshandlung und/oder Folter. Alle von ihnen ohne Konsequenzen für die Posten der Angeklagten.

Begnadigung und Straflosigkeit

Ein weiteres Beispiel für die Begnadigung von Folterern ist Manuel Sánchez Corbi, der 1997 zu vier Jahren Haft und sechs Jahren Arbeitsverbot für die Folter an Kepa Urra im Jahr 1992 verurteilt wurde.

Er wurde 1999 begnadigt und wurde Oberst der Zentralen Operativen Einheit der Guardia Civil. Im Jahr 2012 bezeichnete ihn die SUP als „Nachfolger von General (Enrique) Rodríguez Galindo im Sinne der Verteidigung des militärischen Geistes der Guardia Civil und deren Anerkennung als ein wesentliches Organ des Vaterlandes über allen Institutionen“. Im Jahr 2015 erhielt Corbi die Ehrenlegion des französischen Staates als „Preis“ für seine Tätigkeit gegen die ETA.

Dann ist da noch der Fall von Sebastián Trapote Gutiérrez, Chef der nationalen Polizei in Katalonien, der für den Tod eines Verdächtigen im Jahr 1974 begnadigt wurde. Trapotes Aussage wurde von der Familie des Verstorbenen als unwahrscheinlich angesehen und vor Gericht gestellt. Im Jahr 1977 wies das Provinzgericht Barcelona die Klage ab, da die Tatsachen den Begnadigungen von 1975 und 1977 unterlagen.

Seit 2010 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Spanien acht Mal verurteilt, weil es Folterfälle nicht untersucht hat. Sieben dieser Verurteilungen beziehen sich auf Fälle von Folter und Misshandlung während der Isolationshaft von Personen, die der Mitgliedschaft in bewaffneten Gruppen und des Terrorismus beschuldigt werden. Wir erinnern uns auch an die Fälle von 4F[1] oder Juan Andrés Benítez[2]. In beiden Fällen wurden die beteiligten Polizist*innen freigesprochen oder ihre Strafen reduziert.

Die Regierung stellt fest, dass im Zeitraum 2008-2013 6.903 Beamt*innen der Polizei und der Guardia Civil in Fälle von Misshandlung und Folter verwickelt waren, es aber nur 47 endgültige Verurteilungen gibt, was sie zu der Behauptung veranlasst, dass der Rest falsche Anschuldigungen sind.

In diesem Sinne weist Patricia Goicochea, stellvertretende Direktorin von Rights International Spanien, darauf hin, dass „nur weil eine Beschwerde zu den Akten gelegt wird, dies nicht bedeutet, dass sie falsch ist. Es bedeutet, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage war, seine Seite der Geschichte zu beweisen, so dass die Regierung mit dieser Behauptung falsch liegt. Dies gilt umso mehr angesichts der hohen Zahl von Fällen, in denen nachgewiesen wurde, dass die spanischen Gerichte diese Art von Beschwerden nicht ausreichend untersuchen. Deshalb kann man zumindest sagen, dass in Spanien Menschen gefoltert wurden, weil es entsprechende Gerichtsurteile gibt.“

Die Reaktion der PSOE auf die ganze Polemik zu Moreno García bestand darin, das Erscheinen von Innenminister Zoido und von Ignacio Coisidó, dem Generaldirektor der Polizei, vor dem Kongress zu fordern, um die Kriterien für die Ernennung zu erläutern.

Sie sagen nichts über die Begnadigung von Moreno Garcia. Es wäre ironisch, angesichts der Tatsache, dass die PSOE laut der Tageszeitung die Zeitung „Público“ seit 1991 mindestens 13 Polizisten, Guardia Civil und Mossos d’Esquadra (Polizeieinheit der katalonischen Regierung) begnadigt hat, welche wegen Folter verurteilt wurden.

Wie wir gesehen haben, kann man nicht sagen, dass diese Art von „Vergebung“ oder Straflosigkeit vereinzelt auftritt oder neu ist. Im Gegenteil: Sie ist schon lange üblich und ist weit verbreitet. Die Repressivkräfte des Staates stehen nach wie vor in der ersten Reihe, wenn es kracht, wenn der Staat die Freiheiten von Kämpfer*innen für die Emanzipation einschränken will. Und zu diesem Zweck bekommen sie in ihrem Handeln absolute Rechtmäßigkeit zugesprochen. Der bürgerliche Staat behält das Gewaltmonopol für sich und führt es durch die verschiedenen Organe aus; die Guardia Civil, die nationale Polizei, die autonomen Polizeikräfte usw., die mit einer absoluten Ruhe handeln, wissend, dass ihre Taten nicht verurteilt werden.

Wenn die repressive Rolle dieser Institutionen in jeglichem bürgerlichen Staat eine alltägliche Situation ist, fügt sie im Falle des spanischen Staates einen noch abscheulicheren Punkt hinzu, und das ist ihr Verhältnis zur Franco-Diktatur.

Der gekaufte friedliche Übergang von der Diktatur in das Regime von 1978, für den die große Werbetrommel gerührt wurde, war nur ein friedlicher für die großen Familien und für die franquistischen Institutionen, die mit einem Mal zu „Demokrat*innen“ wurden, wie im Falle der Nationalpolizei, der Guardia Civil, der Audiencia Nacional…. und einer endlosen Anzahl von Institutionen, die mit den gleichen Strukturen und Persönlichkeiten wie zu Francos Zeiten weitermachen.

Dieser Artikel bei IzquierdaDiario.es

[1] Mit F4 (Bezug nehmend auf den 4. Februar 2006) ist ein Korrptionsskandal in Bezug auf die Räumung des bis dahin besetzten Hauses „Palau Alós“ durch die „Guardia Urbana“ in Barcelona gemeint, in Zuge dessen mehrere Jugendliche verurteilt und ins Gefängnis gesteckt wurden.


[2] Juan Andrés Benítez war ein Unternehmer und LGBTIQ-Aktivist, der von zahlreichen Polizisten der katalanischen „Mossos de Esquadra“ in Barcelona am 6. Oktober 2013 brutal zu Boden gedrückt, dort über längere Zeit misshandelt und schließlich ermordet wurde. 8 angeklagte Bullen gaben offen den Mord an Benítez zu und wurden als Gegenleistung von einer Gefängnisstrafe befreit.

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