Was sagt die griechische Linke zu Reparationsforderungen?
Soll der deutsche Staat Reparationen an Griechenland zahlen? Die Forderung ist in der deutschen Linken sehr beliebt. Auch der griechische Premierminister Alexis Tsipras hat vor einigen Wochen gesagt, dass er hunderte Millionen Euro als Entschädigung verlangen wird. Doch in der griechischen Linken wird diese Forderung skeptisch gesehen. Ein Gastbeitrag von Lefteris Arabatzis, Mitglied des antikapitalistischen Bündnisses ANTARSYA in Berlin.
In den Jahren der griechischen Schuldenkrise kam die Forderung nach Kriegsreparationen immer wieder auf. Während der so genannten „stolzen Verhandlungen“ der ersten Tsipras-Regierung mit der Troika Anfang 2015 sprach Tsipras oft von Entschädigungszahlungen für die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg – obwohl er nie so weit ging, konkrete Forderungen an den deutschen Staat zu stellen. Die damalige Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou hatte eine Arbeitsgruppe im Parlament gegründet, um die genaue Höhe der Reparationen zu berechnen.
Die deutsche Linke stand bei diesem Thema immer auf der griechischen Seite, und das ist ihr hoch anzurechnen. Die Einsicht, dass die Bundesrepublik als Nachfolger des Dritten Reichs die Reparationen zahlen muss, ist eine internationalistische Position. Das richtet sich gegen jede nationalistische Rhetorik nach dem Motto: „Die Griech*innen nehmen uns das Geld weg“.
Und es ist wahr, dass Deutschland bisher nur 115 Millionen D-Mark an Griechenland zurückgezahlt hat – das ist etwa fünf Prozent so viel Geld, wie die Reichswehr von der griechischen Nationalbank gestohlen hat, von den Zerstörungen ganz zu schweigen. (Dazu gab es eine ganze Folge von „Die Anstalt“.)
Denn die deutsche Besatzung in Griechenland war besonders hart: 700.000 Menschen sind gestorben, darunter auch circa 70.000 griechische Jüd*innen, die in Auschwitz-Birkenau vergast wurden. Diese Zahl entspricht ungefähr zehn Prozent der damaligen Bevölkerung. Hunderttausende sind im schrecklichen Winter von 1941-42 in den Großstädten verhungert oder erfroren. Grund war die Requisition von Nahrungsmitteln und Kraftstoffen durch die Wehrmacht, für den Kriegseinsatz gegen die UdSSR. Dazu kommen auch Verbrennungen von Dörfern und Massenmorde an Zivilist*innen, darunter auch Frauen und Kinder, als Racheakte für die Anschläge der Partisan*innen.
Eine problematische Forderung
Dennoch ist die Forderung nach Reparationen in Zusammenhang mit der griechischen Schuldenkrise aus einer antikapitalistischen Sicht heraus problematisch:
Alexis Tsipras hat im August erneut erklärt, dass die Frage der Kriegsreparationen immer noch aktuell ist. Die deutsche Bundesregierung hat geantwortet, das Thema sei vom Tisch. Zunächst kommt die Frage: Wie kann man einer Regierung, die vor einem Jahr vor der Troika und der deutschen Regierung vollständig kapituliert hat, trauen, wenn sie erneut zum Kampf aufruft? Jetzt wissen wir, wohin Tsipras‘ „stolze Verhandlungen“ geführt haben. Die Linkspartei SYRIZA hat sich als eine fleißige Ausführerin der Sparpolitik und der Privatisierungen erwiesen. Jede Forderung, die Merkel oder Schäuble lästig sein könnte, würde zu Gegenangriffen führen. Die Bundesregierung hat schon letztes Jahr gezeigt, wie rücksichtslos sie sein kann, wenn wir „frechen Griech*innen“ gegen die Sparpolitik kämpfen. Für solche Auseinandersetzungen ist Tsipras weder fähig noch willens.
Die griechische Seite argumentiert, dass man im Fall einer Weigerung der Bundesregierung juristisch vorgehen könnte, vor europäischen und internationalen Gerichten. Es stellt sich aber die Frage, wie lange ein solcher Prozess dauern würde. Was würde in dieser Zeit in Griechenland passieren? Der Druck der Troika wird nicht verschwinden. Die Kürzungsmaßnahmen der Memoranden werden weiter durchgesetzt. Schulen und Krankenhäuser werden schließen, die Lohn- und Rentenkürzungen gehen weiter usw. Die Frage ist also eigentlich: juristischer Kampf oder Klassenkampf?
Juristischer Kampf oder Klassenkampf?
Selbst wenn wir annehmen würden, dass Deutschland bereit wäre, die Reparationen zurückzuzahlen, muss man fragen: Wer würde dann die Rechnung zahlen? Wenn der deutsche Staat durch Steuererhöhung und Sparpolitik – also durch einen Angriff an die Arbeiter*innenklasse in Deutschland – das Geld für die Reparationen sammeln würde, müssten wir Arbeiter*innen und Jugendliche in Griechenland uns dann darüber freuen? Die griechische Arbeiter*innenklasse und die ärmsten Schichten der Gesellschaft haben die letzten Jahre unter der brutalen Sparpolitik gelitten. Dass unsere Kolleg*innen in Deutschland ähnliches Leid erleben, darf für die Linke in Griechenland keine Perspektive sein .
Eigentlich wird die Frage der Reparationen von SYRIZA benutzt, um von der Frage der griechischen Staatsschulden abzulenken. Ihre Logik gegenüber der BRD ist folgende: Wir schulden euch was, aber ihr schuldet uns auch was, und wir müssen einen Deal finden.
In Teilen der griechischen Linken, z.B. in den Abspaltungen von SYRIZA wie „Volkseinheit“ oder der neuen Partei von Zoe Konstantopoulou, gibt es eine problematische Ansicht: Die Wurzel der Krise sei die Ausbeutung Griechenlands durch das imperialistische Deutschland. Das stimmt zwar, aber ohne einen klassenkämpferischen Standpunkt kann er zu nationalistischen Verwirrungen führen. Die griechische Bourgeoisie arbeitet nahtlos mit der Troika zusammen, sie möchte die brutale Kürzungspolitik auch in ihrem eigenem Interesse durchsetzen. Die rücksichtslosen Maßnahmen der Troika und der Bundesregierung gegen die kämpferische Arbeiter*innenklasse in Griechenland sind ein Signal an die Arbeite*innen in ganz Europa – auch in Deutschland –, dass es keine Alternative gibt, und dass jeder Widerstand bestraft wird.
Die Antwort darauf ist eine klare Position: Die Arbeiter*innenklasse Griechenlands erkennt die Schulden nicht an und bezahlt sie nicht. Dieses würde natürlich zum Bruch mit der Eurozone und der Europäischen Union führen. Aber das ist der einzige Weg.
Vertretbare Forderungen
Gleichzeitig gibt es eine andere Kategorie von Reparationsforderungen: Mehrere Bürger*inneninitiativen und Einzelpersonen fordern Reparationen für ihre von der Wehrmacht verbrannten Dörfer und ermordeten Verwandten. Diese Forderungen verdienen Unterstützung.
Das Problem beginnt dann, wenn man die Reparationen als Instrument einer „stolzen nationalen Politik“ zu verwenden versucht. Damit will die reformistische Linke von den wichtigen Themen, wie die Schuldenkrise oder die Privatisierungen, ablenken. Sie behaupten: Wenn Deutschland nicht bezahlt, werden wir deutsches Eigentum enteignen. Aber sie sagen kein Wort über den Ausverkauf des Hafens von Piräus an die chinesische COSCO und die ganzen anderen Privatisierungen.
Die Aufgabe der antikapitalistischen Linken ist, internationale Solidarität aufzubauen. Der*die einzige Verbündete der griechischen Arbeiter*innenklasse sind unsere Kolleg*innen in Deutschland und in ganz Europa. Für unseren gemeinsamen Kampf brauchen wir entsprechende Forderungen und Parolen. Wir zahlen nicht die Schulden der griechischen Banker*innen und Kapitalist*innen – wir möchten auch nicht, dass die Schulden der Deutschen Bank auf die Schultern der deutschen Arbeiter*innenklasse fallen!
„Schluss mit den Memoranden und der Sparpolitik, weg mit Harz IV und Agenda 2010!“
Solche Forderungen greifen die wirklichen Probleme an und bauen die internationalistische Solidarität auf. Und das ist erforderlich, besonders jetzt, wo die Eliten in Europa durch ihre Krise den Weg für die Rassist*innen und die Rechten öffnen.