Wahlfront als Impuls für revolutionäre Partei

12.09.2015, Lesezeit 5 Min.
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// ARGENTINIEN: Bei den Vorwahlen im August gewann die trotzkistische Front der Linken und ArbeiterInnen (FIT) 3,3 Prozent der Stimmen. Wie kann dieser historische Erfolg für den Aufbau einer revolutionären Partei genutzt werden? //

Bei den Vorwahlen in Argentinien konnte sich die Partei Sozialistischer ArbeiterInnen (PTS, unsere Schwesterpartei und argentinische Sektion der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale) als wichtigste linke Organisation in Argentinien etablieren. Sie trägt zusammen mit der bisher stärkeren ArbeiterInnenpartei (Partido Obrero, PO) und der deutlich kleineren Sozialistischen Linken (Izquierda Socialista, IS) die FIT. Insgesamt verbesserte die FIT ihr Ergebnis gegenüber den letzten Vorwahlen von 2011 um 40 Prozent.

Innerhalb der FIT, die seit 2011 besteht und 2013 mit 1,2 Millionen Stimmen drei Abgeordnete ins nationale Parlament brachte, gibt es zwischen PTS und PO eine Strategiedebatte. Deshalb gab es jetzt erstmals zwei Listen, von denen sich die der PTS überraschend durchsetzte. Die von Nicolás del Caño und Myriam Bregman angeführte PTS-Liste mit dem Namen „Erneuern und stärken“ erhielt 51,07 Prozent der FIT-Stimmen, 15.000 Stimmen mehr als die vom sehr prominenten Jorge Altamira angeführte PO-Liste „Einheit“.

Wahlergebnis

Doch der Erfolg bei Wahlen macht noch keine revolutionäre Partei. Der großartige Erfolg der PTS in der politischen Arena steht im Gegensatz zu ihren wenigen tausend Mitgliedern.

Im Jahr 2007 stand die französische Revolutionär-Kommunistische Liga (LCR) vor einem ähnlichen Problem. Sie hatte bei den Präsidentschaftswahlen 4,08 Prozent der Stimmen erreicht. Um den Widerspruch zwischen diesem Wahlergebnis und ihrer geringeren Mitgliederbasis zu überwinden, rief sie zur Gründung der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) auf, in die sie sich selbst auflöste. Doch die NPA ist inzwischen weniger als halb so groß wie die alte LCR. Denn aufgrund ihrer unklaren Strategie konnte die NPA keine Kraft im Klassenkampf werden und sich nicht in der ArbeiterInnenbewegung verankern.

Die PO möchte mit der FIT einen ähnlichen Weg einschlagen. Sie fordert die Öffnung der FIT für klassenversöhnlerische Strömungen, die sich dem lateinamerikanischen Populismus von Chávez oder Morales anpassten und das Programm der FIT nur formell „unterzeichnen“, ohne ihre Positionen in der Praxis zu ändern.

Politische Wahlfront

Hinter der Uneinigkeit steht auch ein unterschiedliches Verständnis von der FIT. Die PO behauptet, die FIT wäre eine Einheitsfront, also eine Aktionseinheit für ein bestimmtes Ziel, ohne bindende programmatische Übereinstimmung. Doch bei Wahlen geht es um ein politisches Programm, hier der Klassenunabhängigkeit des Proletariats, der Verstaatlichung der Produktionsmittel und des Kampfes für eine ArbeiterInnenregierung mit dem Ziel einer sozialistischen Revolution.

Die FIT ist also eine politische Wahlfront, keine Einheitsfront. Ihre prinzipienlose Öffnung würde keine einfache Ausdehnung der FIT bedeuten, sondern ihre Schwächung, da eine Verwässerung ihres Programms die Grundlagen des FIT-Erfolgs untergräbt.

Erneuern und Stärken

Die PTS-Liste „Erneuern und stärken“ macht auch einen qualitativen Unterschied. Denn auf den vielen regionalen Listen der PTS kandidierten insgesamt 1.800 ArbeiterInnen, 60 Prozent Frauen und viele Jugendliche, sowie bekannte AktivistInnen in Argentinien, darunter:

  • Nicolás del Caño, der sich als Präsidentschaftskandidat der FIT, revolutionärer Abgeordneter im argentinischen Kongress und als prominenter Unterstützer des Kampfes beim Autozulieferer Lear als kämpferische Figur der aufstrebenden ArbeiterInnen etablieren konnte;
  • Myriam Bregman, die Vizepräsidentschaftskandidatin der FIT mit ihrer wichtigen Rolle in der Aufarbeitung der argentinischen Militärdiktatur,
  • Andrea D’Atri als Anführerin der revolutionären Frauengruppierung Pan y Rosas (Brot und Rosen) und Figur der Frauenbewegung in Argentinien
  • und wichtige ArbeiterInnenführerInnen wie Raúl Godoy, bekannt aus dem erfolgreichen Kampf um die ArbeiterInnenkontrolle über die Keramikfabrik Zanon oder Claudio Dellecarbonara, einer wichtigen Figur in der BasisgewerkschafterInnenbewegung.

Viele AktivistInnen sind die Avantgarde eines aufkommenden ArbeiterInnenaktivismus. Die Rezession der argentinischen Wirtschaft wird das Niveau des Klassenkampfes erhöhen. Die Verbindung der PTS mit der Avantgarde der ArbeiterInnen – durch die FIT – ermöglicht ihr, eine organischere Basis in der Klasse zu erkämpfen.

Mit La Izquierda Diario, der digitalen Tageszeitung der PTS, erreicht sie hunderttausende FIT-WählerInnen und kann mit ihnen dialogisieren. Gleichzeitig forciert die PTS die Gründung von ArbeiterInnenclubs, die Fußballturniere organisieren und so ArbeiterInnen aller Altersgruppen zusammen bringen.

Es gibt keine Abkürzungen zum langwierigen Aufbau einer revolutionären Partei. Entgegen der opportunistischen Erweiterungsversuche der PO vertritt die PTS die Notwendigkeit eines ernsthaften politischen Diskussionsprozess und einer klassenkämpferischen Praxis, um die Wahlfront auszuweiten. Die Perspektive der PTS besteht darin, sich in der ArbeiterInnenbewegung zu verankern und mit den zahlreichen von der PTS angeführten Basiskomitees der FIT die kämpferischen Frauen, Jugendlichen und ArbeiterInnen zu organisieren. Sie bilden die soziale Kraft, um die FIT zu erneuern und zu stärken und konkrete Schritte zum Aufbau einer revolutionären Partei zu beschreiten.

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