Verfall und Beton – Die Hagia Sofia als trauriger Brandlöscher

13.07.2020, Lesezeit 3 Min.
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Hagia Sophia or Ayasofya, a UNESCO World Heritage Site, that was a Byzantine cathedral before being converted into a mosque which is currently a museum, is seen in Istanbul, Turkey, June 28, 2020. Picture taken June 28, 2020. Picture taken with a drone. Picture taken June 28, 2020. REUTERS/Murad Sezer

Die Hagia Sofia wird noch diesen Monat zu einer Moschee umgewandelt. Es ist Morphium für das Volk, das von einer schweren Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit in Armut stürzt.

Bild: spiegel.de

Es ist kein Zufall, dass Erdogan diesen „Sieg“ – die Umwandlung der Hagia Sofia in eine Moschee – für den sogar ein fast einhundert Jahre altes, irrelevantes Dekret ausgegraben wurde, als weiteren Schlag zur Aggression im Ausland verbucht. Die umgreifende Korruption, die massive Wirtschaftskrise und rekordhaften Arbeitslosenquoten ergeben ein gewaltiges Spektrum an Krisenherden, die vom Regime kaum noch erstickt werden können. Wie so oft, wenn das Inland lichterloh brennt, wird stattdessen versucht, in der Außenpolitik Siege einzufahren.

Wie zum Beispiel der Pakt mit den Islamist*innen und ehemaligen IS Kämpfern in Syrien bis hin zu Offensiven in Kurdistan. Oder die Angriffe im Nordirak, die als Marketingaktion für die neuen türkischen Drohnen dient und dabei mehrere zivile Opfer forderte. Und nun der Machtbeweis: Die Einverleibung der Hagia Sofia zu ehren des Tyrannen-Sultan „Mehmet der Eroberer“, als Sieg über all die Teufel im Ausland. Damit sollen die Diskussionen im Land abgelenkt werden, auf peinliche und tyrannische Siege statt Innenpolitik.

Die Tradition des Vergessens

Die traurige Umwandlung der Hagia Sofia ist nicht der erste Fall, in dem historisches Gut ohne Rücksicht zerschlagen und benutzt wird. Über die letzten Jahrzehnte sind immer mehr große historische Orte verfallen und in Vergessenheit geraten. Sie werden dort allein gelassen, wo es zu schwer ist, Tourist*innen hin zu bewegen, meist wenn sie weit von Flughäfen oder touristischen Ortschaften am Meer oder in Bergen gelegen sind. Ebenso die Ruinen von Termessos, eine ganze Stadt, von der nur gerade noch ein halb eingestürztes Theater übrig geblieben ist.

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Theater in Termessos. Quelle: hellojetlag.com

Doch nicht nur Verfall lässt historische Orte verschwinden. Viele antike Gebäude und Strukturen liegen nicht nur unter Schutt, sondern buchstäblich unter Metern Beton. So auch die antike Stadt Hasankeyf, welche für durchgehend 10.000 Jahre von verschieden Kulturen bewohnt war und neben unzähligen Gebäuden auch tausende wunderschöne, menschlich erbaute Höhlen und Monumente von mindestens 20 Kulturen beherbergt.

Vor wenigen Jahren wurde nun ein Großteil der Stadt in den Beton einen Staudamms eingegossen, während der gesamte untere Teil nun am Grunde des Stausees liegt.

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Hasankeyf 1990er Jahre und heute. Quelle: pbs.twimg.com

Wohin führt der Weg?

Der Beton der Türkei ergießt sich nicht nur über antike Städte, er fließt auch über die Grenze, in zahlreiche militärische Operationsbasen und in die Einverleibung Nordsyriens. Der starke Druck im Inland lässt den außenpolitischen Arm der Türkei länger und aggressiver werden. Die Opposition im Inland hat sich schon lange ihrem Schicksal unterworfen und fährt genauso wie die AKP-Regierung Angriffe gegen die Arbeiter*innenklasse, um irgendwie den „status quo“ zu halten. Die EU versteckt hinter ihrer armselig schwachen Kritik ihre Pakte mit der Türkei, sodass diese ihnen Kriegsmaschinen abkauft und Geflüchtete fernhält.

Erdogan versucht mit solchen souveränistischen Manövern, also dem Vorgaukeln einer Machtposition, seine Wähler*innen-Basis aktiv zu halten und zerstört dabei nicht nur ein historisches Kulturerbe, sondern auch vieles mehr.

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