Venezuela – über 72 Stunden ohne Strom

12.03.2019, Lesezeit 9 Min.
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Was bleibt nach über drei Tagen seit dem Zusammenbruch der Stromversorgung im ganzen Land? Es ist fünf Tage her, seit die Regierung in der Lage war, die Strom- und Wasserversorgung auf einer stabilen Basis wiederherzustellen. Krankenhäuser und Patient*innen sind betroffen. Das soziale Drama im Land verschärft sich.

Kurz vor 17.00 Uhr am Donnerstag, dem 7. März, wurde das Land von einem drastischen „Blackout“ heimgesucht, der noch nicht überwunden ist und auch die Verteilung von Wasser und Benzin, sowie U-Bahnen, den Betrieb von Krankenhäusern, die lokale Lebensmittelversorgung, das Mobilfunknetz, Bankdienstleistungen und teilweise sogar den Flugverkehr und die Funkübertragung betrifft. Die Regierung führte dies umgehend auf Sabotage und „Cyberattacken“ zurück. Die Opposition nennt als Gründe den Mangel an Wartung und Ineffizienz der Regierung. Die „humanitäre“ US-Regierung nutzte die Gelegenheit, um sich über das Drama zu freuen und eine Putschbotschaft zu veröffentlichen. Das Einzige, was bisher sicher ist, sind die Folgen für das Leben der Bevölkerung.

Guaidó nutzt die Situation bereits, um die Idee einer „humanitären Intervention“ zu erneuern und verwendet das Argument, dass „das Volk“ ihn auffordert, Artikel 187 der Verfassung anzuwenden, der ihn angeblich dazu ermächtigt, die Intervention ausländischer Streitkräfte im Land zu genehmigen. Egal, ob es sich nun um Sabotage handelt, wie die Regierung sagt, oder um die Verantwortungslosigkeit der Staatsführung, die jahrelang die Infrastruktur und das elektrische System unterfinanziert hat – wir dürfen nicht zulassen, dass das immer schrecklichere Leid des venezolanischen Volkes genutzt wird, um einer imperialistischen Intervention im Land Platz zu machen.

Die unmittelbaren Folgen

Es werden bald fünf volle Tage nach Beginn dieser Situation sein, in denen, abgesehen von einigen Stunden zeitweiliger Stromversorgung in Gebieten von Caracas oder manch einer Stadt im Inneren, die Stromversorgung brach liegt. Auch die Wasserverteilung wurde nicht wiederhergestellt, weswegen es mittlerweile üblich ist, in den Häusern von Verwandten, in improvisierten Wasserdosen oder sogar in Containern mitten auf der Straße nach Wasser zu suchen.

Ohne Strom kann die überwiegende Mehrheit der offenen Geschäfte nur mit Bargeld bezahlen. Dadurch wird das Problem des Bargeldmangels, das sich bereits vor einiger Zeit wieder auf die Wirtschaft des alltäglichen Lebens auswirkt, nochmal verschärft hat. Selbst wenn der Strom wiederhergestellt ist, funktionieren Zahlungsdienste oder Banküberweisungen nur mit Schwierigkeiten.

In und um die Hauptstadt des Landes sind die U-Bahnen von Caracas und Los Teques, die Metrocable Seilbahnen, sowie die Bahnstrecke Caracas-Cúa seit Donnerstag nicht mehr in Betrieb. Die Regierung hat auf einigen der betroffenen U-Bahnstrecken einen Schienenersatzverkehr mit Bussen eingerichtet. Auch die Tankstellen haben den Betrieb unterbrochen und reaktivieren ihn für einige Stunden, wenn es Strom gibt. Vor den Zapfsäulen bilden sich lange Warteschlangen.

Am Samstag vereitelte die Polizei von Caracas einen Plünderungsversuch im Zentrum der Hauptstadt, um schließlich selbst die zu sein, die das Gelände plünderten. Dabei reagierten sie mit Tränengas und Schrotkugeln auf die protestierenden Anwohner*innen. In Caricuao gaben einige Geschäfte teilweise Lebensmittel ab, die durch die mangelnde Kühlung beschädigt wurden. Gruppen des Sondereinsatzkommandos FAES bewachten die Lieferung.

An vereinzelten Orten kam es in der Stadt zu kleinen Protestaktionen, die von der Bolivarischen Nationalpolizei (PNB) schnell erdrückt und gestoppt wurden.

Das Drama der Krankenhäuser und der chronisch Kranken

Die schwerwiegendsten Folgen für die Bevölkerung sind die Folgen für Gesundheit und Leben. Laut Berichten sind bereits Dutzende von Patient*innen an den Folgen von Krankenhausversagen gestorben. Seit Donnerstagnachmittag werden Notfälle gemeldet, die auf die mangelnde Sauerstoffversorgung in einigen Krankenhäusern zurückzuführen sind. Aus Mangel an Dialyse wurden bis Samstag 15 Menschen tot gemeldet, verteilt auf die Staaten Zulia, Maturín und das Miguel Pérez Carreño Krankenhaus in Caracas. Einige Kinder und/oder Neugeborene haben das gleiche Schicksal in den Kliniken J. M. De los Ríos und im Kinderkrankenhaus „Comandante Supremo Hugo Chávez Frías“ in El Valle erlitten. Im letzten Fall wurde berichtet dass von Donnerstag bis Freitag vier Krankenschwestern und zwei Ärzte die Nacht damit verbracht haben, den Kindern, die sich auf der Intensivstation befanden, manuelle Beatmung zu geben. Trotzdem starben zwei Kinder. Als zwei Krankenschwestern die Situation angeprangerten wurden sie festgehalten.

Menschen, die Chemotherapiebehandlungen erhalten, deren Vorräte gekühlt werden müssen, waren gezwungen (in vielen Fällen in Dollar) an private Gesundheitszentren oder Kraftwerksbetreiber Geld zu zahlen, um diese Medikamente auf der richtigen Temperatur zu halten. Diejenigen, die täglich auf Hämodialyse angewiesen sind, befanden sich in einer ähnlichen Situation. Wer nicht über die Mittel verfügt, um sich dies zu leisten, muss mit den tragischen Folgen leben.

Einige Berichte beziffern die Zahl der Todesfälle im ganzen Land durch Krankenhausausfälle von Donnerstag bis Sonntag auf mehrere hundert. Es handelt sich jedoch um Daten, die von Journalist*innen in ihren sozialen Netzwerken individuell zur Verfügung gestellt werden, sodass es vorerst keine Möglichkeit gibt, die Richtigkeit dieser Daten zu beweisen.

Maduro: „Das ist die Folge mehrerer Angriffe.“

Kurz nachdem der Mega-Blackout am Donnerstag begann, erklärte die Nationalregierung Sabotageakte seien für die Situation verantwortlich. An diesem Samstag, bei der von der Regierung aufgerufenen Kundgebung anlässlich des vierten Jahrestags des berüchtigten Dekrets von Obama, das Venezuela als „ungewöhnliche und außerordentliche Bedrohung“ für die Vereinigten Staaten definiert, welches auch von Trump bstätigt wurde, bestand Maduro auf dieser Erklärung. Er wies darauf hin, dass es vier Angriffe gab, zwei kybernetische, einen elektromagnetischen und ein Feuer in einer Umspannstation.

Maduros Erklärung wies darauf hin, dass sie am Donnerstag damit die begannen die Stromversorgung wiederherzustellen. Als um 19:00 Uhr die Reperatur anfingen, habe es plötzlich einen internationalen Cyberangriff auf das Gehirn des Elektrizitätsunternehmens gegeben, dann sei das System Gegenstand neuer Angriffe und sogar eines Brandanschlags in einem Umspannwerk gewesen. So sagte er, dass am Samstag, als sie „70% des Systems wiederhergestellt hatten […] es einen weiteren Cyberangriff gab“. Seine Geschichte fuhr fort: „Wir entdeckten, dass sie wissenschaftliche Hightech-Angriffe durchführen, so genannte elektromagnetische Angriffe, um den Wiederherstellungsprozess zu sabotieren.“

Er sprach von „Eindringlingen“ innerhalb des Unternehmens. Diese wolle er finden und mit der ganzen Härte des Gesetzes bestrafen, was ihm, so sagte er, erlauben würde, „die Industrie zu säubern“. Er versprach, dass „in den nächsten Stunden“ der Dienst wiederhergestellt werden würde. Er wies darauf hin, dass Marco Rubio, Mike Pompeo und Juan Guaidó hinter den Angriffen stünden. Er lancierte den Slogan „Liebe und Widerstand“ und kündigte für Montag, den 11. März, Sondertage für die Verteilung von Lebensmittelpaketen und Wasser mit öffentlichen Tankwagen an.

Abgesehen von der geringen Glaubwürdigkeit dieser Version war es äußerst schockierend, dass auf der Kundgebung des Präsidenten riesige LED-Bildschirme eingesetzt wurden, während ein großer Teil der Bevölkerung unter den Folgen des Stromausfalls leidet. Ein weiterer Moment, in dem sich die Dekadenz des Regimes und seine Verachtung für das Elend der Massen zeigt.

Trumps Außenminister Mike Pompeo nutzte die Situation, um die Regierung Maduros verbal anzugreifen. Er sagte, dass die Sitiation auf Maduros Ineffizienz zurückzuführen sei, und dass es – so wie es keine Lebensmittel, Medikamente oder Elektrizität gibt – bald keinen Maduro mehr geben wird. Juan Guaidó und die rechte Opposition warfen der Regierung mangelnden Instandhaltung und Korruption vor.

In der gegenwärtigen Situation, in der eine obszöne imperialistische Aggression, die den Sturz Maduros durch einen Militärputsch oder andere Gewaltmittel, einschließlich wirtschaftlicher Erstickung und der ständigen Drohung einer militärischen Intervention, offen verfolgt, kann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Vereinigten Staaten hinter einer Sabotageaktion der öffentlichen Stromversorgung stehen. Es gibt nicht wenige Fälle von krimineller Sabotage aller Art seitens der Vereinigten Staaten in ihrer langen Geschichte imperialistischer Interventionen. Sie sind eher eine Normalität in ihrem interventionistischen Lebenslauf.

Es kann jedoch auch nicht als unmöglich angesehen werden, dass die Ursachen auf den Zusammenbruch des nationalen Stromnetzes selbst zurückzuführen sind. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um die Realität handelt, die die Menschen im Land tagtäglich erleben, wenn sich das System zunehmend verschlechtert, wenn es ständige Stromausfälle gibt, wenn Städte oder Gebiete des Landes Tage oder sogar Wochen ohne Strom verbringen. Das ist die Realität, in der das Land seit Jahren lebt. Auf diese Realität haben auch die Arbeiter*innen des Elektrizitätssektors seit langem hingewiesen, von denen einige dafür sogar mit Gefängnis bezahlt haben, weil sie vor der schweren Krise der Infrastruktur des Elektrizitätssystems gewarnt haben.

Hinzu kommen die tausenden Kündigungen von Facharbeiter*innen in den letzten Jahren, auf der Flucht vor Hungerlöhnen und dem Autoritarismus der Regierung selbst, die seit Jahren Betriebsversammlungen im staatlichen Energiekonzern Corpoelec verbietet. Diese Situation hat die technischen und betrieblichen Kapazitäten der Branche stark geschwächt.

Die Bevölkerung darf ihre eigenen politischen Ziele nicht zugunsten interessengeladener Erklärungen fallen lassen, seien sie von der nationalen Regierung oder der aus Washington gesteuerten Opposition. Andererseits gibt es keinen Mangel an neoliberalen Ideolog*innen, die auf der rechten Seite herumschwirren und die Gelegenheit nutzen, um die Privatiserung der Stromversorgung als einzige „Lösung“ zu fordern. Die Erhaltung des Stromnetztes als Teil der öffentlichen Daseinsversorgung und seine Übergabe in die Hände der Arbeiter*innen und Techniker*innen selbst, sowie die damit einhergehende Verdrängung der korrupten und arbeiter*innenfeindlichen „zivil-militärischen“ Bürokratie, die die Corpoelec in den gegenwärtig katastrophalen Zustand geführt hat, ist die einzige wirklich fortschrittliche Lösung für die katastrophale Situation der Stromversorgung in Venezuela. In keiner Hand wäre die Stromversorgung besser aufgehoben als in den Händen der Arbeiter*innen, die die Industrie täglich am Laufen halten.

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