Venezuela: Mit Trump und dem Imperialismus gibt es keinen Ausweg für die Arbeiter*innen und die Massen

24.01.2019, Lesezeit 10 Min.
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Die Selbst-Vereidigung von Juan Guaidó zum Präsidenten und seine rasche Anerkennung durch Trump und die Rechten des Kontinents sind eine Eskalation des Putsches, inmitten der tiefen Krise des Landes. Erklärung der venezolanischen Liga de Trabajadores por el Socialismo (LTS).

Innerhalb weniger Stunden eilten Trump und die gesamte lateinamerikanische Rechte zur Unterstützung der Eskalation des Putsches in Venezuela und erkannten Juan Guaidó als Präsidenten des Landes an.

Inmitten der Demonstrationen der Regierung einerseits und der rechten Opposition andererseits, zu denen für den 23. Januar in Caracas aufgerufen worden war, vereidigte sich Guaidó, Präsident der Nationalversammlung in den Händen der Opposition, selbst zum Präsidenten Venezuelas.

In seiner Rede wandte sich Guaidó an das Militär und bekräftigte seine Forderung, dass sie in dieser Situation intervenieren sollten. Er erinnerte sie daran, dass es ein Amnestiegesetz für „diejenigen gibt, die sich für die Verfassung entscheiden“, und dass dieses Amnestiegesetz ab der ersten Februarwoche zu Tausenden gedruckt werden wird, um es vor den Kasernen zu verteilen.

Er erklärte dann: „Heute, am 23. Januar 2019, in meiner Eigenschaft als Präsident der Nationalversammlung, unter Berufung auf die Artikel der Verfassung (….) schwöre ich vor dem allmächtigen Gott und Venezuela (…), die Befugnisse der Nationalregierung als Präsidenten Venezuelas formell zu übernehmen.“

Kurz vor Guaidós Schwur forderte der Präsident der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs (loyal zur Regierung Maduros) die Staatsanwaltschaft auf, „sofortige Maßnahmen” gegen das „kriminelle Verhalten“ der Präsidentschaft des Parlaments zu ergreifen. Er erklärte wörtlich: „Dieses Gericht ersucht die Staatsanwaltschaft, die Verantwortung festzulegen, die die Mitglieder der Nationalversammlung angesichts der objektiven Verwirklichung von strafbaren Handlungen haben können.“

Wenige Minuten nach der Vereidigung von Guaidó zum Interimspräsidenten – wie in einem zuvor geschriebenen Drehbuch – erklärte der Präsident der Vereinigten Staaten, Donald Trump, dass er den Leiter der Nationalversammlung als „legitimen Präsidenten“ anerkennt. Damit machte er einen erneuten Schritt der offenen imperialistischen Einmischung in das Land. Für die rechte Opposition, die den Diskurs der Volkssouveränität aufgreift, scheint diese in den Büros der US-Regierung zu verbleiben. Denn es ist mehr als klar, dass die rechte Opposition der US-Regierung die Definition darüber überlässt, wer legitimer Präsident Venezuelas ist und wer nicht.

Und auch der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, erklärte , dass die „Uhr des Austritts Venezuelas“ aus der Organisation „jetzt“ stehen geblieben sei. „Die Uhr ist von nun an stehen geblieben“, sagte er, in der gleichen Linie wie Washington und in Anspielung auf den „neuen verantwortlichen Präsidenten“, wie sich Guaidó ernannt hat. In seiner Rede „ernannte“ Juan Guaidó Gustavo Tarre Briceño zum „Sonderbotschafter des Landes“ bei der OAS.

Auch Mauricio Macri aus Argentinien und Jair Bolsonaro aus Brasilien brachten ihre Anerkennung zum Ausdruck. Sie hatten zuvor bereits erwähnt, dass sie Guaidó anerkennen würden, wenn der Präsident der Nationalversammlung sich zum Interimspräsidenten erklären würde. Ebenso taten dies Kanada, Costa Rica, Ecuador, Peru, Chile, Guatemala und Paraguay, und es sind ähnliche Reaktionen von den anderen Ländern der Lima-Gruppe und der gesamten kontinentalen Rechten zu erwarten.

Der putschistische Charakter der Regierung Guaidós und aller Rechten, die ihn – vom Imperialismus auf heimtückische Weise gefördert – unterstützen, ist mehr als offensichtlich. Der Putsch ist Teil der Eskalation der Einmischung des US-Imperialismus und der Rechten der Region, die die Demagogie der Demokratie für ihren Kreuzzug auf dem Subkontinent nutzen. Selbstverständlich, und wir sagen es deutlich, lehnen wir diese angebliche Regierung von Guaidó ab.

Eine Stunde später ging Maduro zu der vom Chavismus angerufenen Demonstration, wo er seine Entscheidung ankündigte, die diplomatischen und politischen Beziehungen zur US-Regierung abzubrechen, die er des „Interventionismus“ in dem Land beschuldigte. Er gab der Botschaft 72 Stunden Zeit, um das Land zu verlassen. „Ich habe beschlossen, die diplomatischen und politischen Beziehungen zur imperialistischen Regierung der Vereinigten Staaten zu beenden“, sagte Maduro. Gleichzeitig erklärte er, dass „es Aufgabe der Justizorgane ist, in Übereinstimmung mit den Gesetzen Venezuelas zu handeln. Es ist bereits eine Frage der Justiz, den Staat, die demokratische Ordnung und das venezolanische Recht zu wahren“, in Übereinstimmung mit dem, was der Oberste Gerichtshof zuvor erklärt hatte.

Auch Venezuelas Verteidigungsminister, Generalmajor Vladimir Padrino López, behauptete, dass das Militär „keinen Präsidenten akzeptieren wird, der im Schatten obskurer Interessen oder außerhalb des Gesetzes von sich selbst ernannt wurde.“ Der Generalstab hat sich also für Maduro ausgesprochen, ohne dass es bisher einen anderen aktiven Militärsektor gibt, der sich für Guaidó ausgesprochen hat.

Kurz darauf gab Guaidó, der sich als de facto Präsidenten Venezuelas betrachtet, ein Kommuniqué an alle in Venezuela anwesenden Botschaften heraus, in dem er sagte: „Ich richte mich an alle Leiter von diplomatischen Vertretungen und ihr in Venezuela akkreditiertes Personal, dass der Staat von Venezuela ihnen fest wünscht, dass sie ihre diplomatische Präsenz in unserem Land beibehalten.“ Er fügte hinzu: „Ich fordere sie auf, jede Anordnung oder Bestimmung zu missachten, die der legitimen Macht Venezuelas widerspricht.“

Zusammenbruch des Chavismus

Aber wir sagen auch deutlich, dass es das Scheitern und der Zusammenbruch des Chavismus war, der die Situation zu einer beispiellosen wirtschaftlichen Katastrophe führte, zu Misere für die arbeitende Bevölkerung. Der fortschreitende reaktionäre und repressive Bonapartismus hat der Rechten die aktuelle Situation auf einem Tablett serviert, sodass dieser Kreuzzug Gestalt annehmen konnte.

Darüber hinaus war eine der kriminellsten „Errungenschaften“ des sterbenden Chavismus die Demoralisierung und Enttäuschung breiter Teile der Massen, was sich in der Verfälschung der Bedeutung von Begriffen wie „Sozialismus“, „Revolution“, „Verstaatlichung“, „Volksmacht“, „Arbeiter*innenkontrolle“ und so weiter widerspiegelt. Das führt zu ideologischer Verwirrung und erleichtert der rechten Demagogie die Arbeit.

Aufgrund der Gesamtverantwortung des Chavismus und seines gescheiterten Projekts wurde letztendlich diese ganze reaktionäre Offensive der nationalen Rechten erleichtert, die mit Unterstützung der Rechten überall auf dem Kontinent und des Imperialismus ausgelöst wurde. Die Situation hat schamlose Niveaus des Interventionismus erreicht, die den Putsch als politische Lösung für die Krise des Landes vorantreiben, das heißt wieder einmal den Militärstiefel aufleben lassen, um in der nationalen Krise „Ordnung“ zu schaffen.

Es ist mehr als klar, dass wir, ohne Maduro zu unterstützen, dazu auffordern, all diesen putschistischen Angriffen der Rechten und des Imperialismus entgegenzutreten. Aber wir müssen uns über eines im Klaren sein: In dieser komplexen Situation muss die Verbindung zwischen dem Kampf um legitime demokratische Bestrebungen und den lebenswichtigen Forderungen der Massen ein Motor für die unabhängige Mobilisierung der arbeitenden Massen sein. Denn diese Forderungen verspottet der Chavismus an der Macht, während die Rechte in ihrem Staatsstreich voranschreitet und versucht, mittels demokratischer Demagogie im Dienste ihres eigenen reaktionären und pro-imperialistischen elitären Projekts die Bevölkerung zu manipulieren.

Für eine Freie und Souveräne Verfassungsgebende Versammlung!

Die vom Imperialismus ermutigte Rechte hat beschlossen, in ihrem Staatsstreich voranzuschreiten, während der dekadente, reaktionäre und repressive Bonapartismus von Maduro, der im Verbund mit den Streitkräften regiert und mit einem quasi diktatorischen Regime zu vergleichen ist, für die Katastrophe verantwortlich ist, die die Arbeiter*innen in die Krise stürzt. Angesichts dessen besteht der einzige demokratische Ausweg in der aktuellen Krise, um über alle wesentlichen Probleme zu entscheiden, im Kampf für eine wirklich Freie und Souveräne Verfassungsgebende Versammlung, die nichts mit Maduros Farce zu tun hat. Sie muss mit kämpferischer Mobilisierung der Massen durchgesetzt werden und ein Notprogramm der Arbeiter*innen gegen die Gräuel durchsetzen, unter denen die Menschen leiden.

Die rechte Opposition spricht von der Verteidigung der Verfassung, während sie gleichzeitig mit ihrem Putsch gegen alle Verfassungsgrundsätze verstößt. Die Regierung Maduros tut dasselbe mit ihrem reaktionären Bonapartismus, der auch an dieselbe Verfassung appelliert, nur um sie dann zu ignorieren. Diese Verspottung der Verfassung ist nichts anderes als ein klarer Ausdruck dafür, dass das Regime der Verfassung von 1999 gespalten ist. Zwei Mächte stehen sich gegenüber: auf der einen Seite der Präsident und die Exekutive, die von den anderen staatlichen Institutionen und den Streitkräften („Fuerza Armada Nacionale Bolivariana“, FANB) unterstützt werden, und auf der anderen Seite die Nationalversammlung, die von Guaidó geleitet wird, welcher sich selbst als Interimspräsident ausgibt, mit der Unterstützung des Imperialismus und der gesamten Rechten des Kontinents.

Wir haben bereits gesehen, wie Maduros Vorschlag der Konstituierenden Versammlung, die auf betrügerische Weise gebildet wurde, nichts als eine Marionette der bonapartistischen Cliquen ist, die mit dem ausschließlichen Ziel gebildet wurde, die Nationalversammlung in den Händen der Opposition zu neutralisieren, die sich nun in ihrem Putsch-Plan selbst in die Exekutive aufgeschwungen hat.

Wir müssen mit Maduros reaktionärem Bonapartismus und mit der von der proimperialistischen Opposition angestrebten Lösung brechen. Letztere nutzen die Nationalversammlung, deren zentraler Inhalt ein anderer Bonapartismus – im Dienste des Großkapitals und der transnationalen Konzerne – ist, wie es ihre Putsch-Aufrufe an die Streitkräfte aufzeigen. Es gibt keinen anderen Ausweg, als den Problemen auf den Grund zu gehen. Deshalb sind wir der Ansicht, dass es angesichts dieser tragischen Szenarien notwendig ist, einen unabhängigen politischen Ausweg zu finden. Es ist eine Perspektive nötig, die den Massen hilft, mit all den Fallen um sie herum zu brechen und das Regime als Ganzes mit all seinen bonapartistischen, putschistischen und reaktionären Varianten zu hinterfragen.

Aber wir sagen auch, dass ein politischer Vorschlag für eine Freie und Souveräne Verfassungsgebende Versammlung angesichts der Katastrophe, die die Arbeiter*innen und die armen Massen erstickt, organisch mit einem Notprogramm der Arbeiter*innen verbunden sein muss. Die lebenswichtigen Forderungen der Massen vom politischen Problem zu trennen, bedeutet in einer brutalen Krise, wie wir sie erleben, dazu beizutragen, sie zu entwaffnen und zur Ohnmacht zu verurteilen. Demgegenüber besteht der einzige progressive und objektiv realistische Ausweg darin, dass die Arbeiter*innenklasse die politische Macht ergreift, um Übergangsmaßnahmen der „nationalen Rettung“ durchzusetzen. Ohne solche Übergangsmaßnahmenn wird die gegenwärtige Katastrophe die Arbeiter*innen und armen Massen in den Abgrund stürzen.

Deshalb schlagen wir gegen die rechten Putschkräfte, die von der gewaltsamen „Wiederherstellung der Republik“ sprechen, und gegen Maduros nackten Bonapartismus – der von der Konstituierenden Versammlung und der Summe der Staatsgewalten zusammen mit dem Militär mit vorangetrieben wird – sowie gegen jede mögliche größere militärische Intervention als „Schiedsrichter“ dieser brutale Krise vor, dass die arbeitende Bevölkerung das Recht hat, eine wirklich Freie und Souveräne Verfassungsgebende Versammlung ohne jegliche antidemokratische Einschränkungen durchzusetzen.

In einer solchen Freien und Souveränen Verfassungsgebenden Versammlung müssen alle Delegierten rechenschaftspflichtig gegenüber ihren Wähler*innen und jederzeit von diesen abwählbar sein. Sie dürfen nur das Gehalt von Facharbeiter*innen bekommen. Die Präsidialmacht – dieses bonapartistische Organ par excellence mit seinen außerordentlichen Befugnissen – muss aufgelöst und ihre Befugnisse der Versammlung übergeben werden. Darüber hinaus muss die Versammlung die Richter*innenkaste des Obersten Gerichtshofs auflösen. Richter*innen müssen von der Bevölkerung direkt gewählt werden. Die Freie und Souveräne Verfassungsgebende Versammlung muss auch über die Rolle der Streitkräfte entscheiden; über die Nichtzahlung der Auslandsschulden; über die Rückführung des Kapitals, das durch staatliche Funktionär*innen und Geschäftsleute in das Ausland geschleust wurde, indem sie außergewöhnliche Maßnahmen ergreift, um die Wirtschaftskriminellen, die das Land betrogen haben, zur Rechenschaft zu ziehen. Sie muss das staatliche Außenhandelsmonopol durchsetzen, die Gesetze zur Überlassung der natürlichen Ressourcen an ausländische Konzerne streichen, und andere wesentliche Maßnahmen zur Erhaltung der Kräfte der arbeitenden Bevölkerung und zur Linderung ihrer Notlage.

Der Kampf für eine Freie und Souveräne Verfassungsgebende Versammlung ist ein Schlüsselelement eines radikaldemokratischen Programms, das sich gegen die bonapartistischen Säulen des Regimes und des Staates und damit gleichzeitig gegen den liberalen Republikanismus der Rechten richtet, die in Wahrheit keinen anderen Ausweg als den Staatsstreich hat. Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe muss dieses Programm eng mit einem Notprogramm verbunden sein, damit es sich in einen starken Faktor für die Vereinigung und Mobilisierung der Massen verwandeln kann.

Gleichzeitig muss das Entstehen und die Entwicklung höherer Formen der Einheitsfront der Arbeiter*innen und der Massen auf dem Weg zur Bildung von Räten gefördert werden. Die Massen müssen von der Notwendigkeit und Dringlichkeit überzeugt werden, die politische Macht in ihre eigenen Hände zu nehmen, um eine Regierung der Arbeiter*innen und der Massen zu bilden, die auf ihren eigenen Kampforganen basiert.

Nur so kann die Durchsetzung der genannten Sofortmaßnahmen und die vollständige und wirksame Lösung der demokratischen und antikapitalistischen Aufgaben gewährleistet werden, ohne die es keinen Ausweg aus der abgrundtiefen Krise gibt, in der das Schicksal des Landes auf dem Spiel steht.

Erklärung der Liga de Trabajadores por el Socialismo (LTS) vom 24. Januar 2019

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