USA: Was bringt Sanders‘ großer Sieg?

16.02.2016, Lesezeit 8 Min.
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PORTSMOUTH, NH - MAY 27: Democratic presidential candidate and U.S. Sen. Bernie Sanders (I-VT) finishes greeting supporters following a packed town meeting at the South Church May 27, 2015 in Portsmouth, New Hampshire. Sanders officially declared his candidacy yesterday and will run as a Democrat in the presidential election. He is former Secretary of State Hillary Clinton's first challenger for the Democratic nomination. (Photo by Win McNamee/Getty Images)

Was bedeutet Bernie Sanders' Sieg in New Hampshire mit 20 Prozent Vorsprung? Ist der „demokratische Sozialist“ eine Herausforderung für den Kapitalismus – oder vielmehr eine Legitimation?

Der überragende Sieg des US-Senators aus Vermont in den Präsidentschafts-Vorwahlen von New Hampshire hat schon eines sichergestellt: Das Phänomen Sanders wird nicht so schnell verschwinden. Bernie Sanders hat im Rennen der Demokrat*innen nicht nur Hillary Clinton um 20 Prozent geschlagen. Er hat auch 50.000 Stimmen mehr als Donald Trump, der Spitzenkandidat der Republikaner*innen, geholt – der bis jetzt die größte mediale Aufmerksamkeit genoss. Es bleibt noch abzuwarten, ob Sanders auch außerhalb des Nordostens der USA punkten kann. Doch der Kampf um die demokratische Präsidentschaftskandidatur wird ein knappes Rennen.

Was erklärt den herausragenden Sieg von Sanders in New Hampshire? Sanders hat viele Jugendliche in einer Art angezogen, wie es kein*e andere*r Kandidat*in jemals hoffen konnte. Manche Umfragen besagen, dass die Unterstützung für den selbsternannten „demokratischen Sozialisten“ unter den Jugendlichen von 17 bis 29 in New Hampshire bis zu 84 Prozent beträgt. Das ist sogar mehr als die jugendliche Unterstützung für Obama 2008. Kein Zufall: Denn US-amerikanische Jugendliche haben immer höhere Schulden durch Studienkredite und leiden unter immer höherer Arbeitslosigkeit, niedrigeren Löhnen und längeren Arbeitszeiten in immer prekäreren Jobs. Sanders „anti-Establishment“-Rhetorik und seine Versprechen von kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung sowie von 15 Dollar Mindestlohn haben also starken Widerhall in der Jugend gefunden.

Was können wir von diesem Erfolg lernen?

Zunächst: Der Erfolg von Sanders demonstriert, dass Sozialismus kein Tabuwort in der amerikanischen Jugend mehr ist.

Die Tage, in denen die Rechte dieses Label in ihren Verleumdungskampagnen gegen Obama verwenden konnten, wirken wie eine ferne Erinnerung. Der Kapitalismus tut sich auch in den Vereinigten Staaten immer schwerer damit, sich gegenüber der Jugend, den Armen und der Arbeiter*innenklasse als Vorteil zu verkaufen.

Die Firmenprofite und die Bezahlung der Konzernbosse schießen in die Höhe, während die Reallöhne der Arbeiter*innen in den letzten Jahrzehnten stagnierten oder sogar fielen. Wieso sollten junge Menschen also weiter Vertrauen in den Kapitalismus haben?

Seitdem die Occupy-Bewegung 2011 gegründet wurde, hat sich ein Klassenbewusstsein unter großen Teilen der Jugend entwickelt, angefangen mit der Wut auf das „eine Prozent“. Deshalb hat die Kandidatur von Hillary Clinton, die ihre Karriere mit Kontaktpflege zur Wall Street verbrachte, wenig Enthusiasmus hervorgebracht. Ihre unzähligen Verbindungen zu Großkonzernen und Investmentbanken, die sich zum Beispiel in 600.000 Dollar für eine Rede bei Goldman Sachs ausdrücken, werden sie ihre ganze Kampagne lang verfolgen.

Im Gegensatz dazu machen Sanders‘ Ablehnung von Firmenspenden und seine Abhängigkeit von Kleinspenden in den Augen von vielen zu dem Anti-Establishment Kandidaten schlechthin. Während seiner Kampagne hat er sich gegen die von ihm so genannte „Milliardär*innenklasse“ ausgesprochen und für die Notwendigkeit einer „politischen Revolution“.

Wie „anti“ ist Sanders?

Wir sollten Sanders aber nicht für einen Sozialisten oder eine Alternative im Sinne der Arbeiter*innenklasse halten. Sanders ist stattdessen ein verzweifelter Versuch, die Demokratische Partei davor zu retten, dass die Arbeiter*innenklasse und die Jugend sie komplett aufgeben.

Sanders mag vielleicht vor seiner Präsidentschaftskandidatur parteilos gewesen sein, doch kein Demokrat ist seit 1988 mit Unterstützung der Partei gegen ihn bei den Kongress- und Senatswahlen angetreten. Prominente „Establishment-Demokrat*innen“ wie Harry Reid, Chuck Schumer oder sogar Barack Obama haben Sanders‘ Kampagnen unterstützt.

Sanders hält immer noch Obama, der die geheimdienstliche Überwachung verstärkt, die Besatzung Iraks und Afghanistan sowie Drohnenangriffe im Nahen Osten durchgeführt und TTIP vorangetrieben hat, für einen „fortschrittlichen Politker“, der „exzellente Arbeit gemacht hat“.

Während der letzten Wochen haben sich die bürgerlichen Medien auf die angebliche Feindschaft zwischen Clinton und Sanders fokussiert. Doch nach der letzten TV-Debatte war klar, dass es keine großen Differenzen zwischen den beiden gibt, sondern sie im Gegenteil sie politisch nah beieinander liegen: In den meisten Fragen hat Sanders Clinton zugestimmt oder nur leicht widersprochen. Sanders sagte mindestens sechs Mal entweder „Ich stimme dem, was die (ehemalige, Anm. d. Red.) Außenministerin gesagt hat, zu“ oder eine Variante davon.

Die Ähnlichkeiten der beiden gehen über ihre Wahlkampagnen hinaus: Während den zwei Jahren, in denen sie gleichzeitig im Senat waren, haben Sanders und Clinton in 93 Prozent der Fälle gleich abgestimmt. Sanders hat eine der schlimmsten Gesetzesentwürfe durchgebracht: Die „Federal Crime Bill“ von Bill Clinton aus dem Jahre 1994, die 60 neue Tatbestände mit der Todesstrafe belegte und die die „Three Strikes“-Regelung für Kapitalverbrechen einführte, um Täter lebenslang wegsperren zu können. Es sollte also niemanden wundern, dass die schwarze und die Latino*a-Jugend bis jetzt eher zwiespältig gegenüber Clinton und Sanders reagieren. Keiner von beiden hat bis jetzt Lösungen für ihre wichtigsten Probleme geliefert, vor allem keine Lösung für das Ende der weitverbreiteten Morde an nicht-weißen und das „racial profiling“ durch die Polizei.

Auf dem Gebiet der Außenpolitik sind die Ähnlichkeiten zwischen den zwei „Kontrahent*innen“ am offensichtlichsten. Obwohl sich Sanders oftmals damit preist, 2002 gegen den Irakkrieg gestimmt zu haben, um seine Ablehnung von Kriegen zu beweisen, hat er eine ganze Reihe von imperialistischen Unternehmungen unterstützt: vom NATO-Bombardement in Jugoslawien bis zum Afghanistankrieg. Als Sanders gefragt wurde, ob er für den Verbleib der US-Truppen in Afghanistan ist, meinte er: “Nun ja, man kann nicht einfach die Truppen morgen aus Afghanistan zurückziehen und damit erlauben, dass die Taliban oder irgendjemand anderes dieses Land zurückgewinnt“. Als ob das Land nicht seit über 14 Jahren besetzt wäre – eben von US-Truppen. Und sein Vorschlag zum Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS): „Truppen“ mit „Spezialeinheiten“ und „muslimischen Partnern“ austauschen – wir haben Probleme, diesen Vorschlag überhaupt von Obamas aktueller Strategie zu unterscheiden.

Und wohin geht es jetzt?

Im kommenden Juni sind zwei Szenarien möglich. Das erste und wahrscheinlichste Szenario ist, dass Clinton trotz der paar Hindernisse Präsidenschaftskandidatin wird und Sanders als „Schäferhund der Partei“ pflichtgetreu seine Unterstützer*innen zu ihr treibt. Bei seiner Siegesrede nach der letzten Vorwahl hat Sanders sie bereits daran erinnert, dass das Hauptziel ist „in ein paar Monaten zusammenzukommen und die Partei zu vereinigen“, um den republikanischen Präsidentschaftskandidaten in der Wahl zu schlagen.

Das zweite, unwahrscheinlichere Szenario ist, dass Sanders genug Unterstützung bekommt, um die Vorwahlen zu gewinnen. Da die Umfragen zeigen, dass er sehr wohl eine Chance gegen die Top-Kandidaten der Republikanischen Partei hat, nehmen wir mal an, dass er in diesem Szenario auch die Präsidentschaftswahl gewinnt. Was könnten wir also erwarten, wenn Sanders Präsident wird?

Leider keine „politische Revolution“, wie er behauptet. Dafür reicht ein Blick auf seine ideologischen Pendants in Europa. In den letzten paar Jahren haben sozialdemokratische Parteien die Wahlen in Frankreich, Portugal, Griechenland, Italien und anderen Ländern gewonnen. Was bedeuteten diese Siege? Es waren keine Siege für die Arbeiter*innenklasse sondern eher Niederlagen in Form von Austerität, Privatisierung, Angriffe auf die Rechte von Migrant*innen und Geflüchteten – und im Fall von Frankreich, ein monatelanger Ausnahmezustand. Was wir für den Ausweg aus der Krise brauchen, sind keine reformistischen sozialdemokratischen Parteien. Zum notwendigen Sozialismus als Ausweg kommen wir nur mit Hilfe einer revolutionären Bewegung der Arbeiter*innenklasse und der Jugend selbst.

Leider folgen große Teile der US-Linken Sanders, trotz seines reformistischen Programms und seiner pro-imperialistischen Haltung. Obwohl die Socialist Alternative (Schwestergruppe der SAV, Anm. d. Red.) Bernie Sanders Zusammenarbeit mit der Demokratischen Partei kritisiert, schweigt sie opportunistisch gegenüber dem Rest seines Programms, das die Unterstützung endloser Kriege im Nahen Osten und der von „Law and Order“-Politik im Inneren umfasst.

Wir sollten die Forderungen der Jugend, die hinter Sanders steht, wie 15 Dollar Mindestlohn, kostenlose Krankenversorgung und Universitätsbildung sowie die demokratischen Forderungen der „Black Lives Matter“-Bewegung und der für die Rechte von Migrant*innen aufnehmen. Damit verbunden sollten wir eine Bewegung für den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan, Irak und dem ganzen Nahen Osten aufbauen. Das ist das Fundament, auf dem wir für den Sozialismus kämpfen können.

dieser Artikel bei LeftVoice.org

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