USA: Krieg im eigenen Land

22.12.2015, Lesezeit 9 Min.
1

Inmitten von Kriegstreiberei und eskalierender rassistischer Rhetorik löste der Mord an zwei schwarzen Jugendlichen in Minneapolis und Chicago erneut Proteste aus. Der Widerstand gegen den Krieg im Ausland kann nicht vom Kampf für Gerechtigkeit und Gleichheit im eigenen Land getrennt werden.

Die Anschläge in Paris haben augenscheinlich einen Wettkampf unter den republikanischen Präsidentschaftskandidat*innen losgetreten: Wer ist der größte Rassist und Militarist? Natürlich kam dies nicht unerwartet, jedoch haben die Aussagen ein maßloses Niveau der Feindseligkeit gegenüber Immigrant*innen und Muslim*innen erreicht, das schwierig zu verkraften ist. Vor ein paar Wochen hörten wir Donald Trumps schamlose Lügen über Muslim*innen in Jersey City, die sich angeblich über den Einsturz der World Trade Center im Jahre 2001 freuten. Er schlug vor, ein staatliches Register über alle Muslim*innen, die in den USA leben, anzufertigen. Wir haben Jeb Bushs Vorschlag gehört, welcher besagt, dass die USA nur christliche Geflüchtete aufnehmen sollen. Und Marco Rubios Politik gegenüber syrischen Geflüchteten besagt, dass die USA lediglich offene Türen für Witwen und verwaiste Kinder haben sollte. Ganz zu schweigen von der Aussage von Ben Carson, in der er syrische Geflüchtete mit tollwütigen Hunden vergleicht.

26 Gouverneur*innen gingen noch weiter und kündigten an, dass sie keine syrischen Geflüchteten mehr in ihren Bundesstaaten aufnehmen würden. Da jedoch die Geflüchtetenpolitik eine überstaatliche ist, können die Staaten nicht legal Geflüchteten die Einreise verweigern – die mangelnde Kooperation auf bundesstaatlicher Ebene würde es jedoch sehr schwierig machen, damit fortzufahren.

Parallel dazu stellten die Republikaner*innen einen Gesetzesentwurf im Weißen Haus vor, der eine zusätzliche Hintergrundüberprüfung für alle syrischen Geflüchteten fordert, was eine sichere Ankunft viel schwieriger macht. Gegen diesen Gesetzesentwurf, welcher von einer überwältigenden Mehrheit von Republikaner*innen und 47 Demokrat*innen unterzeichnet wurde, wird das Weiße Haus allerdings ein Veto einlegen, falls er nicht vorher vom Senat torpediert wird. Sogar der demokratische Senator Reid zeigte seinen Ekel gegenüber den „kriegstreiberischen und fanatischen“ republikanischen Präsidentschaftskandidat*innen.

Zur selben Zeit verstärken alle Präsidentschaftskandidat*innen der Republikaner*innen ihre Kriegsrhetorik. Sie alle haben geschworen, den so genannten IS zu zerschlagen, und greifen Obama für seine vermeintlich lockere Vorgehensweise im Mittleren Osten an. Das erlaubte Obama, sich als humanitär zu geben: „Viele dieser Flüchtlinge sind selber Opfer des Terrorismus, und fliehen deswegen.“ Das stimmt nur teilweise – er vergaß zu erwähnen, dass militärische Interventionen der USA und alliierter Kräfte für die systematische Destabilisierung der Region und somit für die „Flüchtlingskrise“ verantwortlich sind.

Jedoch sind die Republikaner*innen nicht die einzigen, die auf die französische Bitte geantwortet haben und sich in das verlogene Spiel des „Bekämpfens der Bombenschläge und der willkürlichen Morde an Zivilist*innen durch Bombenanschläge und willkürliche Morde an Zivilist*innen“, eingelassen haben. Auch Hillary Clinton rief dazu auf, die militärischen Bestrebungen gegenüber dem so genannten IS zu erhöhen, sprach sich jedoch gegen Bodentruppen aus. Nach dem Debakel in Afghanistan und Irak wäre jeder militärische Einsatz mit Bodentruppen unerschwinglich unbeliebt bei den Präsidentschaftskandidat*innen.

Bernie Sanders Luftschlags-Internationalismus

Bernie Sanders ist ebenfalls auf den kriegstreiberischen Zug gesprungen. Er befürwortete eine „Nato-gleiche“ Koalition mit Russland und regionalen Bündnispartnern, um effektiv den so genannten IS zu bekämpfen. Als ob eine Bestätigung für seine Zustimmung zu NATO-Interventionen in Jugoslawien und Afghanistan und zu Israels Massaker an den Palästinenser*innen benötigt wurde, machte er erneut unmissverständlich klar: Er unterstützt den US-Imperialismus.

Fazit ist, dass Republikaner*innen und Demokrat*innen, eingeschlossen der selbsternannte „Sozialist“ Bernie Sanders, in diesem Punkt übereinstimmen: Der IS muss mit mehr Krieg bekämpft werden.

Der britische Premierminister David Cameron setzte sich vor einem zögernden Parlament für Luftschläge ein, während der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian Großbritannien in einem öffentlichen Artikel in The Guardian darum bat, sich am Kampf gegen den so genannten IS zu beteiligen.

Wachsender Widerstand gegen Kriegseskalation

Dieser Krieg und die Stigmatisierung der Geflüchteten als Sündenbock, sind in Europa und der USA auf zahlreiche Widerstände gestoßen. Im November marschierten, trotz Verbot durch die französische Präfektur, hunderte von Demonstrant*innen in den Straßen von Paris in Solidarität mit Geflüchteten und forderten die Öffnung der Grenzen und ein Ende des nationalen Notstands. Außerdem forderten sie ein Ende von Hollandes militärischer Eskalation nach den Pariser Attentaten.

Am Tag zuvor hatte ein weit größerer Marsch in Toulouse stattgefunden, wo über 15.000 Demonstrant*innen auf den Straßen waren. Junge Aktivist*innen hielten Banner mit der Aufschrift: „Ihre Kriege, unsere Toten. Gegen den nationalen Notstand, lasst uns den Widerstand stärken.“ Andere Schilder zeigten „Imperialismus tötet“, „Nieder mit dem nationalen Notstand“, und „Nationale Einheit, Kapitalistische Einheit“.

Am 28. November organisierte das „Stop The War“-Bündnis eine Kundgebung in London und vielen anderen Städten in Großbritannien. Auch in verschiedenen Städten innerhalb der USA haben sich Demonstrant*innen gegen das Sündenbock-Denken gegenüber Geflüchteten aufgelehnt. Einige hundert Demonstranten versammelt*innen sich vor dem Haus des texanischen Gouverneurs Greg Abbot und hielten Schilder hoch und riefen Parolen gegen seine Versuche, die Einreise von syrischen Geflüchteten zu stoppen.

Demonstrationen fanden ebenfalls in Olympia (Washington) und Montpelier (Vermont) statt, wo jene, die Geflüchtete unterstützten, den Flüchtlingsgegner*innen zahlenmäßig weit überlegen waren. In Idaho, wo Gouverneur C.L. Otter sich weigerte, syrische Geflüchtete aufzunehmen, wurde ein winziger nationalistischer und fremdenfeindlicher Protest von einem Pro-Geflüchteten-Marsch, der über tausend Menschen zählte, vollkommen überschattet.

Der Krieg daheim

Die Tatsache, dass Frankreich mit 5 bis 8 Millionen Menschen die größte muslimische Community in der Europäischen Union hat, sorgt dafür, dass die Gefahr einer Attacke von innen stets möglich ist. Aber nicht, weil Muslim*innen konstitutiv böse sind, wie Trump schwadroniert. Der Grund ist, dass die Ausgrenzung von Muslim*innen heute so stark wie noch nie ist. Gezielte polizeiliche Verfolgung und Belästigung, institutionelle fremdenfeindliche Politik wie das Verbot der Burka und die schrecklichen materiellen Bedingungen muslimische Einwanderer*innen, haben die lauwarmen Versuche zum Scheitern verurteilt, sie zu „assimilieren“. Die Unruhen des Jahres 2005 in den Banlieues waren der Beweis dafür. Darüber hinaus wissen dies Regierung und andere Strukturen der Macht ganz genau: Das ist der Grund, warum sie die Paris-Attacken nutzen, um gezielt die muslimischen Minderheiten polizeilich zu überwachen, ungerechtfertigte Durchsuchungen durchzuführen, den Ausnahmezustand zu erklären und die Militarisierung der Stadt durchzusetzen. Wann immer eine unterdrückte Minderheit so niedergemacht wird, so zerquetscht wird, dass die Situation zu explodieren droht, treten Repressivkräfte des Staates einen Schritt nach vorn, um den Widerstand zu unterdrücken und zu vernichten – selbst den Traum, den Gedanken, der law-and-order-Politik zu trotzen.

Die Militarisierung der Polizei, zusammen mit dem ständig wachsenden Gefängnissystem spielt die gleiche Rolle in den USA. Auf den Straßen von Amerika, „dem Land der Freien“, wird jeden Tag ein permanenter Krieg geführt. Muslim*innen, Schwarze und Latinos werden von Fanatiker*innen und den Strafverfolgungsbehörden angegriffen. Diese Schikanen treiben Minderheiten dazu, sich wie in einem in fremdem Land zu fühlen und Angst vor Inhaftierung, teurer Strafverfolgung oder – im Fall von Einwanderer*innen – vor Abschiebungen zu haben. So werden sie unter Kontrolle gehalten. Schwarze in hohen Positionen können nicht über die Realität der heutigen rassistischen Gesellschaft hinwegtäuschen.

Die Morde an Jamar Clark in Minneapolis und Laquan McDonald in Chicago sind nur die letzten Episoden einer tödlichen Maschinerie, welches dieses Jahr schon über eintausend Leben gekostet hat.

Der Kampf gegen Krieg und fremdenfeindliche Panikmache ist untrennbar verbunden mit dem Kampf für soziale Gerechtigkeit im eigenen Land und für das Leben aller nichtweißen Menschen. Ihre ideologische Strategie ist, eine Linie zwischen uns und den „Anderen“ zu zeichnen und dieses „Anderssein“ zu übertreiben, um es unvereinbar zu machen. Der Schwarzen, die Muslim*innen, die Latinos sind tägliche Ziele der Verleumdung und Vorurteile in den Medien, an den Universitäten, an ihren Arbeitsplätzen. Die faschistische Stimmung, die von Trumps rassistischer Rhetorik geschürt wird, bringt die verfaultesten Elemente der weißrassistischen USA hervor und verschärft den Hass gegen die Minderheiten. Als endgültiges Ergebnis werden die „Anderen“ entmenschlicht. Die Entmenschlichung der schwarzen Bevölkerung war ein zentrales Stück der Sklaverei in den USA vor dem Bürger*innenkrieg. Heute noch dient es dem Zweck des Meisters.

Wir müssen uns alle den militärischen Interventionen im Nahen Osten widersetzen, das Militär-Budget abschaffen und die Kriegsindustrie beenden. Studierende und Arbeiter*innen sollten zu den Proteste kommen, ihre Organisationen sollten zu einer Einheitsfront gegen den Krieg im Ausland und den Staatsterror zu Hause aufrufen. In der gleichen Richtung, sollte eine klare Botschaft des Willkommens für alle Geflüchteten gesendet werden. Gewerkschaften, linke Gruppierungen und Studierendenorganisationen sind am besten geeignet, um diese Aktionen einzuberufen und Solidaritätskampagnen zu organisieren. Der Widerstand wächst: mache mit.

zuerst veröffentlicht in Left Voice

Mehr zum Thema