Ungarn: Viktor Orban nutzt die Krise, um uneingeschränkt per Dekret zu regieren

01.04.2020, Lesezeit 3 Min.
Gastbeitrag
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Mitten in der Coronavirus-Krise übernahm der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban am 30. März die uneingeschränkte Macht. Von Karl Nara

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Nachdem Orban Panzer durch die Straßen Budapests patrouillieren ließ und dem Militär die Befugnisse über die Logistik der Krankenhäuser erteilte, übernahm er die volle Verfügungsgewalt mit Unterstützung seines Parlaments. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2010 greift der Ministerpräsident und Vorsitzende der Fidesz-Partei demokratische Rechte an.

Die Opposition als Teil des Regimes

Die Opposition reagierte im Parlament zwar auf die antidemokratische Offensive, doch der Protest blieb formal. Die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) zeigte sich empört und prangerte die Maßnahmen als „unverhältnismäßig“ an. Doch der Parteivorsitzende Bertalan Toth drückte in einer Ansprache an den Premierminister seine Zustimmung zur Stummschaltung der Opposition aus. Darüber hinaus sagte er, es sei “in Ordnung, den Ausnahmezustand zu verlängern, aber nicht mit einem lebenslangen Mandat für Viktor Orban”.

Die Forderung nach einem zeitlich begrenzten Ausnahmezustand bei gleichzeitigem Schweigen zu seinen quasi-diktatorischen Aspekten offenbart die Akzeptanz der Sozialdemokraten gegenüber Orbans reaktionärer Politik. Dank dem neuen Gesetz darf Orban praktisch alles angreifen: das Arbeitsrecht, die Pressefreiheit, alle demokratischen Rechte können mit seinem Dekret unterlaufen werden.

Bereits seit 2010 sind viele dieser Errungenschaften im Visier. Was die Pressefreiheit angeht: für die Verbreitung von “Fake News” droht eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren. Willkürliche Zensur ist bereits legalisiert. Den wenigen unabhängigen, regierungskritischen Medien wurde bereits die Veröffentlichung von Falschinformationen vorgeworfen.

Das neue Gesetz erlaubt, „die Anwendung bestimmter Gesetze per Dekret auszusetzen, von den gesetzlichen Bestimmungen abzuweichen und andere außerordentliche Maßnahmen einzuführen”, um „die Gesundheit, die persönliche und materielle Sicherheit der Bürger sowie die Wirtschaft zu schützen“ – die hochheilige Wirtschaft steht über allem. Aber was für eine Wirtschaft? Gemeint sind immer die Profitinteressen der Bosse, die der Staat verteidigt.

Orban attackiert alles, was diese Interessen gefährdet. Die Kapitalisten bereiten sich darauf vor, die Arbeiter*innen für die Krise zahlen zu lassen. Die Katastrophe ist absehbar. Nun wird es einfach sein für Orban, seine Polizei und seine Armee in den Dienst der Bourgeoisie zu stellen. Diese autoritären Auswüchse markieren eine repressive Wendung, die über die Krise hinaus wirken wird. Darüber hinaus könnten die, für die Sozialdemokraten vielversprechenden, Parlamentswahlen in 2022 per Dekret abgesagt werden.

Es überrascht nicht, dass der reaktionäre Politiker die gegenwärtige Krise für einen antidemokratischen Coup nutzt. Im Mai 2019 erschien ein Bericht des Europarates, in dem das Orban-Regime der Fremdenfeindlichkeit im Umgang mit Geflüchteten beschuldigt wird. Die so genannte “Flüchtlingskrise” wurde von der Regierung ausgenutzt, um noch heute geltende Notstandsgesetze zu verabschieden. Mit diesen vagen Verordnungen erlaubten Orban und sein Stab dem Militär, die Grenzen zu kontrollieren und Geflüchtete hart zu bekämpfen. Die Regierungen der europäischen Staaten verurteilten die Politik Ungarns scharf (auf eine heuchlerische Art), entblößten jedoch ihre eigenen reaktionären Tendenzen, als sie selbst Grenzkontrollen einführten.

Im aktuellen Kontext der Corona-Krise setzt Orbans reaktionärer Hechtsprung neue Maßstäbe auf internationaler Ebene. Sein Ziel ist, mögliche Aufstände im Keim ersticken zu können, während die herrschende Klasse den Arbeiter*innen die Rechnung für die sich anbahnende Gesundheits- und Wirtschaftskrise schreibt.

 

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