UN-Bericht über den 7. Oktober: Instrumentalisierung von sexualisierter Gewalt

07.03.2024, Lesezeit 7 Min.
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Pramila Patten, Sonderbeauftragte des Generalsekretärs für sexuelle Gewalt in Konflikten, spricht während der Pressekonferenz am 4. März 2024 im UN-Hauptquartier in New York. Foto: lev radin / Shutterstock.com

Die Vergewaltigungen von israelischen Zivilist:innen am 7. Oktober dienen den Imperialist:innen als Blankoscheck für den Krieg gegen Gaza. Ein Schritt zur Gerechtigkeit für israelische wie auch palästinensische Opfer von sexualisierter Gewalt ist das nicht.

Am 4. März veröffentlichte eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (UN) einen Bericht über die Vorfälle sexualisierter Gewalt während des Angriffs der Hamas auf israelische Zivilist:innen und Soldat:innen am 7. Oktober 2023. Darin wird ein „berechtigter Grund zur Annahme” festgestellt, dass solche Gewaltakte tatsächlich stattgefunden haben. Ebenfalls sei es „wahrscheinlich”, dass israelische Geiseln momentan solche Gewalt in ihrer Gefangenschaft in Gaza erleiden. 

Mit geradezu höhnischer Genugtuung melden vor allem deutsche und US-amerikanische Medien dies als Bestätigung der israelischen Darstellungsweise des 7. Oktobers. Jedoch stellt der UN-Bericht auch das offizielle israelische Narrativ in mehreren Punkten in Frage. So werden einige der berüchtigtsten Gewaltakte, deren Details von Medien und Politiker:innen als Freikarte für den Genozid hochgehalten wurden, als „unbegründet” und „nicht belegbar” bewertet. Sowohl der Mangel an Zugang zu Überlebenden sexualisierter Gewalt als auch zu forensischem Material haben Verifizierungen weiterhin erschwert. Kein Wunder, dass die israelische Regierung vor Veröffentlichung des Berichts die UN dafür kritisierte, nicht einfach die israelische Darstellungsweise zu übernehmen. Zusätzlich wird in dem Bericht betont, dass es „Hinweise zu sexualisierter Gewalt gegen Palästinenser in israelischer Gefangenschaft gibt”. 

Während die israelische Armee ihren genozidalen Vertreibungskrieg unvermindert vorantreibt, zitieren deutsche Politiker:innen und bürgerliche Journalist:innen reflexartig die Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen israelische Zivilist:innen und insbesondere das Schicksal der weiblichen Geiseln, sobald sie mit dem massiven Leiden der Bevölkerung Gazas konfrontiert werden. So rechtfertigen Zionist:innen und ihre Unterstützer:innen die Ausmaße des israelischen Massakers mit der Verwerflichkeit der Taten der Hamas, die das israelische Außenministerium unermüdlich und in grausigem Detail in die Welt propagiert.

In großem Stil wurden dabei die Meldungen der israelischen Armee über den 7.Oktober unkritisch und unverifiziert von Medien und Politiker:innen übernommen und nachgesprochen. Auf Faktenüberprüfungen von Zeug:innenaussagen wurde gerade anfangs gerne verzichtet. 

Die westliche Empörung lässt sich beispielhaft anhand der Berichterstattung der New York Times nachvollziehen, deren einzige journalistische Kontribution zu diesem Thema in der Reproduktion haarsträubender Beschreibungen sexualisierter Gewalt lag, die eins-zu-eins von Soldat:innen, angeblichen Augenzeug:innen und Überlebenden übernommen wurden. Seitdem wurde besagter Artikel umfassend kritisiert, widerlegt und in Teilen als falsch erwiesen. Nicht einmal die eigenen Faktenchecker:innen der New York Times konnten sich hinter ihn stellen und der Artikel wurde mehrfach abgeändert. 

Das wichtige Anliegen der Aufklärung von sexualisierten Gewaltvorfällen wurde damit instrumentalisiert, um das grausame Vorgehen der israelischen Armee gegen die palästinensische Bevölkerung zu legitimieren. Es hat sich ein Bild in der Öffentlichkeit verfestigt, dass die Hamas als „triebgesteuerte Wilde” darstellt, deren Grausamkeit weder politischen Zweck noch Erklärungsbedarf hat. 

Sexualisierte Gewalt darf nicht als Rechtfertigung für Genozid dienen

Sexualisierte Gewalt ist immer zu verurteilen. Sie dient niemals der Befreiung, niemals dem Widerstand. Sie ist ein grausamer Ausdruck des Patriarchats, der dazu beiträgt, die Klasse oder den Widerstand zu spalten und ihre Kampfkraft zu schwächen. Die mörderische, reaktionäre Hamas-Gruppe hat am 7. Oktober mitunter durch sexualisierte Gewalt schwere Schuld auf sich geladen und verdient keine Rechtfertigungen. Diese patriarchale Gewalt ist absolut konträr zu dem Ziel eines befreiten, sozialistischen Palästinas der Arbeiter:innenklasse, in dem Araber:innen und Jüd:innen Seite an Seite leben, für das wir kämpfen.

Doch auch zu diesem Thema berichtet die deutsche Medien- und Politiklandschaft wie immer gravierend einseitig. Denn hierbei wird auch gezielt verschwiegen, dass israelische Soldat:innen seit Jahren und auch aktuell reihenweise sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen, aber auch Männer, ausüben. Oder auch, dass Frauen und Kinder unter entwürdigenden Hungerbedingungen derzeit in Bombardierungszonen wie Tiere zusammengepfercht werden (Wie war das nochmal mit dieser „feministischen Außenpolitik“, Frau Baerbock?). Auch politische Geiselnahme stellt schon lange eine der Haupttaktiken des israelischen Regimes dar, um den palästinensischen Widerstand zu brechen.

Die Palästinenser:innen haben eben keine mächtigen Fürsprecher:innen, die diese Vorfälle politisch hochhalten und medial verbreiten. Es bleibt ihnen nur der vergängliche Strudel der sozialen Medien. 

Nicht erst seit letztem Herbst tut die israelische Regierung den Palästinenser:innen tagtäglich physische und psychische Gewalt an. Dabei bleibt klar: Dass heute die reaktionäre Hamas, die das Ziel eines islamisch-fundamentalistischen Staates verfolgt, die Spitze des Widerstands bildet, ist maßgeblich die Schuld der israelischen Politik, die sie als Mittel gegen die linksgerichteten palästinensischen Kräfte aufbaute. Im Gegensatz zum israelischen Staat haben wir die Hamas nie unterstützt. Als Kommunist:innen teilen wir weder ihre Ziele noch ihre Taktiken. Unsere Solidarität gilt dem palästinensischen Befreiungskampf. Wir verteidigen das Recht auf nationale Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und kämpfen für ein sozialistisches Palästina der Arbeiter:innen im Rahmen einer sozialistischen Föderation im Nahen Osten. Denn nur ein Staat, der die Beendigung aller Unterdrückung, Ausbeutung und imperialistischen Reaktion zum Ziel hat, kann das Rückkehrrecht der palästinensischen Geflüchteten und ein demokratisches und friedliches Zusammenleben zwischen Araber:innen und Jüd:innen garantieren. Das ist auch eine notwendige Bedingung für ein Ende der patriarchalen Gewalt, die als Kriegs- und Unterdrückungsmittel angewendet wird.

Doch während die deutsche Politik und Medienlandschaft anscheinend auf ein unerschöpfliches Reservoir an Energie zurückgreifen kann, um die Hamas in allen möglichen Facetten zu verdammen, wird jedes Wort über Gewalt gegen Palästinenser:innen nur widerwillig und mit tausenden Einschränkungen geäußert. 

Wer angesichts der Bilder aus dem Gaza-Streifen ein Aufkommen menschlichen Mitleids und Entrüstung verspüren könnte, wird sofort auf die sexualisierte Gewalt des 7. Oktobers und die Geiselnahme verwiesen. Eine psychologische Taktik, um die Anteilnahme selektiv auf die erwünschten Vorfälle zu beschränken. Dabei gilt unser Mitgefühl allen zivilen Opfern des Genozids, und unser Kampfeswille richtet sich gegen diejenigen, die ihn zu verantworten haben: Der israelische Staat, mit seiner Unterstützung durch den westlichen Imperialismus.

Am 8. März sofortigen Waffenstillstand und Besatzungsende fordern!

Die Hauptlast des israelischen Vergeltungsgenozid wird wie immer in besonderem Ausmaße von palästinensischen Frauen und Kindern getragen. Trotz Baerbocks vermeintlich feministischer Außenpolitik wird sich nicht um die sich immer weiter verschlechternde gesundheitliche Versorgung von (schwangeren) Frauen und Mädchen gekümmert oder sexualisierte Übergriffe der israelischen Armee verurteilt. Nicht mal zu einer ernstgemeinten Waffenstillstandsforderung, die über temporäre Feuerpausen hinausgeht, konnte sich das imperialistische Lager hinreißen lassen; stattdessen liefert man immer mehr Waffen an die Schlächter:innen. Der vollständige Rückzug der IDF ist aber erste und notwendige Bedingung für das Ende der Gewalt gegen Frauen – auch die, die von der Hamas begangen wird. Der Erfolg der derzeit in Kairo laufenden Verhandlungen bleibt abzuwarten. Am 8. März ist feministischer Kampftag, und jede linke Bewegung muss sich jetzt mit der Befreiung Gazas und palästinensischen Betroffenen von patriarchalischer Gewalt solidarisieren.  

Für die Sicherheit von israelischen und palästinensischen Frauen bedarf es eines  sofortigen Endes der Militäroffensive und dauerhaftes Ende der Besatzung. Deswegen muss der Kampf der Frauenbewegung ein antiimperialistischer und antikapitalistischer sein!

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