Türkei: Proteste für den Rücktritt der Regierung

28.11.2021, Lesezeit 4 Min.
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Bild: Marksist Fikir Topluluğu

In der Türkei brodelt es. Die türkische Währung Lira stürzt weiter ab. Preise steigen und überall im Land kommt es zu Protesten, die von der Polizei teilweise brutal niedergeschlagen wurden.

Die Preise steigen, die Löhne stagnieren, von einem durchschnittlichen Arbeiter:innengehalt kann kaum noch die Wohnung bezahlt werden. Und was für den Einkauf übrig bleibt, wird von den steigenden Lebensmittelpreisen in wirklich jeder Kategorie aufgefressen. Viele Student:innen müssen mehrere Nebenjobs annehmen oder ziehen zurück zu ihren Eltern.

Die nun rund 20-prozentige Inflation betrifft wirklich jeden Lebensbereich. Und es ist kein Ende in Sicht, der erste Absatz könnte auch vor mehreren Jahren geschrieben worden sein. Doch für viele Menschen gibt es hier kein Durchhalten mehr, es ist einfach ein Punkt erreicht, an dem sie keine Reserven mehr haben.

Wer ist lauter?

Das Land ist in Aufruhr, die Lage war schon vorher katastrophal, aber aufgrund der kurzfristigen Verschärfungen hat es die Menschen landesweit auf die Straßen getrieben. Sie fordern einen Rücktritt der Regierung und Neuwahlen. In fast jeder Stadt gab es Proteste und fast überall wurden diese von der Polizei angegriffen.

Auch auf dem Campus der ODTÜ, einer der größten Universitäten der Türkei, fordern die Studierenden ihre „Zukunft zurück“. Etwa 400 Student:innen hatten sich dort am Mittwoch versammelt, auch zum „internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen„.

Doch auch hier rückte die Polizei auf und bis in den Campus vor. Die universelle Taktik der türkischen Polizei, die Proteste möglichst klein und isoliert zu halten, wurde auch hier mit voller Härte durchgesetzt. Die Polizei stürmte den Campus, stellte sich zwischen Demonstrierenden und Journalist:innen auf und damit verhinderte jegliche Interaktion. Die Forderung der Student:innen für einen Rückzug der Polizei, um ein offizielles Statement an die Journalist:innen abgeben zu können, wurde fast unverzüglich mit Tränengas und Pfefferspray erwidert.

Deutsche Regierung unterstützt das Erdoğan-Regime

Während die türkischen bürgerlichen Medien von den Protesten schweigen, berichtet die Tagesschau lieber über Einzelschicksale der Menschen und nicht über die Verantwortung der deutschen Regierung für die Lage in der Türkei. Im Oktober besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan und setzte sich für eine Weiterführung des Deals für die Aufhaltung der Geflüchteten an den EU-Außengrenzen ein.

Laut Merkel leistet die Türkei „Außergewöhnliches“, wenn es darum geht, syrische Geflüchtete an ihren Grenzen aufzuhalten. EU und Deutschland schließen ihre Augen vor der Situation der Geflüchteten in der Türkei, die vermehrt Angriffsfläche der faschistischen Mobs und Staatsgewalt werden. Als Hauswächter der EU bekam die Türkei als Sold sechs Milliarden Euro. Was die türkische Regierung mit diesem Geld macht, ist auch klar: mehr Waffen und Panzer für ihre Invasionen zu kaufen. Und ausschließlich aus welchem Land? Ja, Deutschland. Daher wollen Merkel und die neue Ampel-Regierung gleichermaßen ihre „guten Beziehungen“ mit der türkischen Regierung aufrechterhalten. Es ist daher notwendig, dass die Proteste gegen die Regierung in der Türkei sich ebenfalls gegen die imperialistische Politik der EU stellen, die dem Erdoğan-Regime den Rücken deckt.

Währenddessen wirft die bürgerliche türkische Opposition Minimalforderungen wie ein Ende der Abwertung der Lira und vorgezogene Wahlen in den Raum. Sie singen damit dasselbe Lied, dass nun auch zwei ehemalige Vögel des AKP-Regimes trillern: Ahmet Davutoglu, früher Ministerpräsident, Teil der AKP, und Ali Babacan, der ebenfalls Teil der Regierung war und nun eine eigene Partei gegründet hat. Nicht nur die mittlerweile traditionelle nationalistische Oppositionspartei CHP hat also das mögliche Machtvakuum erkannt, dass bei Neuwahlen entstehen könnte, sondern auch Teile des Regimes selbst. Gespräche über ein nationalistisches Mitte-Rechts-Bündnis gegen Erdoğan sind im Gange. Ein solches Bündnis wäre jedoch höchst unfähig, eine Politik im Interesse der arbeitenden Massen und Studierenden zu machen, da sie selbst Verteter:innen der Kapitalist:innen und der türkischen Bourgeoisie sind, die von der Krise profitiert.

Egal ob Neuwahlen kommen oder nicht: Die Prekarisierung und die Krise werden sich weiter vertiefen. Eine neue Welle der Streiks in den Betrieben, die sich in letzten Jahren vermehrten, und neue Massenproteste können einen Ausweg im Interesse der arbeitenden Massen und der Jugend eröffnen.

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