Trotz Abmahnung: „Ich lasse mich nicht einschüchtern“

20.03.2023, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Ricarda Julia, KgK

Vergangene Woche lud das Solikomitee zum Kreißsaalkampf in München zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel: “Kreißsaal bleibt: Feministisch und selbstorganisiert kämpfen für ein Gesundheitssystem ohne Profite" ein. Die Hebamme Leonie Lieb berichtete davon, dass sie für ihr Engagement eine Abmahnung erhielt.

Ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und die gewerkschaftliche Organisierung: So deutete Leonie Lieb die Abmahnung, die sie für ein Interview in der jungen Welt erhielt. Die Münchner Hebamme setzt sich mit ihrem Team vom Kreißsaal in Neuperlach seit November gegen die Schließung des Standortes ein. Am Mittwoch sprach sie zusammen mit Sisko, ebenfalls Hebamme aus Neuperlach, und Sophie, Hebamme aus Berlin, vor etwa 65 Zuhörer:innen im Eine-Welt-Haus. Die Geschäftsführung begründete die Abmahnung mit einem angeblichen Verstoß gegen eine Dienstanweisung, nach der Interviewanfragen mit der Pressestelle abzustimmen seien. Diese Beschneidung der Meinungsfreiheit dient offensichtlich zur Einschüchterung von engagierten Kolleg:innen.

Unter großem Applaus verkündete Leonie dagegen, sie lasse sich nicht einschüchtern. Mit einer Unterschriftenliste bekundeten die Anwesenden ihre Solidarität. Klasse gegen Klasse begleitet die Kolleginnen des Neuperlacher Kreißsaals von Anfang an in ihrem Kampf und ist Teil des Solidaritätskomitees. Auch in nächster Zeit unterstützen wir kommende Schritte, damit die Abmahnung gegen Leonie zurückgenommen wird. Es braucht nun eine öffentlichkeitswirksame gewerkschaftliche Kampagne von ver.di, um Druck auf die Klinikleitung auszuüben. Diese sollte die Kraft der Tarifrunde im öffentlichen Dienst (TVöD) nutzen, damit tausende Kolleg:innen die antidemokratische und gewerkschaftsfeindliche Praxis der Klinik sehen und sich mit Leonie solidarisieren können.

Teilerfolg für den Kreißsaal nach öffentlichem Druck

Darüber hinaus ging es bei der Veranstaltung vor allem um die Gesundheitspolitik: Sisko, Leonie und Sophie berichteten von ihren Erfahrungen im Kampf um den Erhalt des Kreißsaals in Neuperlach und in der Berliner Krankenhausbewegung. Im Zentrum stand die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, sich als Beschäftigte im Gesundheitsbereich, aber auch als politisch und gewerkschaftlich Aktive, als Patient:innen oder auch als Studierende für ein bedürfnisorientiertes Gesundheitssystem ohne Profite einzusetzen.

Sisko schilderte den Verlauf des Kampfes, angefangen bei der ersten Vernetzung der Kolleg:innen, über die Veröffentlichung einer Petition, die mittlerweile über 23.000 Unterschriften erhielt, bis hin zu Gesprächen mit den Parteien im Stadtrat. Damit schafften es die Kolleg:innen in mehrere große Medien, darunter der Münchner Merkur und die Süddeutschen Zeitung. Dieser Druck brachte die Stadtratsmehrheit aus SPD und Grünen dazu, einen Aufschub der Schließung bis 2028 zu verkünden. Doch der Kampf geht weiter: Aktuell beteiligen sich einige Kolleg:innen auch an den Streiks im öffentlichen Dienst, was die Möglichkeit einer deutlich breiteren Solidarität von kämpferischen Kolleg:innen schafft.

Leonie, aktiv bei Klasse gegen Klasse, betonte in ihrem Input die Bedeutung der Selbstorganisierung und der Unterstützung durch die Aktionseinheit des Soli-Komitees. Sie zeigte auf, dass die drohende Schließung des Kreißsaals kein isoliertes Problem darstellt, sondern Teil eines bundesweiten Trends von Schließungen ist, der im Kontext eines nach kapitalistischer Logik profitorientierten Gesundheitssystems gesehen werden muss. Leonie setzte sich daher für eine Zusammenführung von Arbeiter:innen aus verschiedenen Sektoren im Kampf und Streik gegen Profitorientierung, Entlassungen, Schließungen und Outsourcing ein und unterstrich dabei die Notwendigkeit der gewerkschaftlichen Organisierung.

Dass Leonie gemeinsam mit ihren Kolleginnen selbstbestimmt den Kopf erhoben hat – dafür wurde sie von der Klinikleitung abgemahnt. Grund genug, dass alle Gewerkschafter:innen und Aktivist:innen sich mit ihr solidarisieren – denn angegriffen wurde sie, gemeint sind alle.

„Nicht der Streik gefährdet die Patient:innen, sondern der Normalzustand“

Im Anschluss berichtete Sophie von ihren Erfahrungen in der Berliner Krankenhausbewegung. Sie zeichnete in ihrem Input den Weg nach, der unter anderem einen sechswöchigen Streik beinhaltete, an dem sich sowohl die direkt bei  Charité und Vivantes Beschäftigten  als auch die Beschäftigten der Tochtergesellschaften beteiligten. Erstmals sei es gelungen, betriebsübergreifend zu streiken, was wesentlich  zum Erfolg beigetragen habe. Darüber hinaus erläuterte sie einige konkrete Errungenschaften wie etwa das erkämpfte Belastungspunktesystem und ging auf die Rolle der medialen Berichterstattung und deren Auswirkungen auf die öffentliche Wahrnehmung ein. Dem Vorwurf, die Streikenden hätten ihre Patient:innen im Stich gelassen und unnötigen Gefahren ausgesetzt, setzte sie entgegen: „Nicht der Streik gefährdet die Patient:innen, sondern der Normalzustand.“

In der anschließenden Diskussionsrunde betonten mehrere Redner:innen, dass der Kampf um den Neuperlacher Kreißsaal als Vorbild für selbstorganisierte Kämpfe im Gesundheitssektor dienen kann. Weitere Redebeiträge bezogen sich auf die Bedeutung, den Kampf um den Kreißsaal in Neuperlach auszuweiten und warben für einen gemeinsamen Besuch der Streiks im öffentlichen Dienst. Liam von Klasse gegen Klasse thematisierte in diesem Zusammenhang die Äußerung von Verteidigungsminister Boris Pistorius, für eine Tariferhöhung im öffentlichen Dienst sei aufgrund der intensivierten Ausgaben für die Bundeswehr kein Geld da. Die Forderung müsse daher lauten, Geld in die Gesundheitsversorgung und nicht in die Aufrüstung zu investieren.

Teil der Diskussion war auch das Bremsen des Kampfes durch die  Gewerkschaftsbürokratie, indem sie etwa am 8. März – dem internationalen feministischen Kampftag – zum Streik im Sozial- und Erziehungsdienst, nicht aber in den Krankenhäusern aufrief. Anstatt die gesamte Kraft der Streiks in den Kampf zu werfen, bleiben die Arbeitskämpfe nach Sektoren isoliert. Anstatt den Kampf für ein Gesundheitssystem ohne Profite als zentralen feministischen Kampf zu verstehen – wie wir von Klasse Gegen Klasse mit unserer Politik unter dem Motto „Brot und Rosen“ vorschlagen –, mobilisieren sie getrennt.

Als Klasse gegen Klasse halten wir die entgegengesetzte Strategie für notwendig. Gegen die Inflation, gegen Aufrüstung und Krieg brauchen wir die Zusammenführung und Ausweitung der Streiks in der Perspektive von Erzwingungsstreiks, um all unsere Forderungen durchzusetzen. Das müssen wir auch gegen die Gewerkschaftsbürokratie durchsetzen – und deshalb halten wir die Selbstorganisierung, wie Leonie und ihre Kolleginnen sie im Kreißsaal umsetzen, und die Demokratisierung der Streiks und der Gewerkschaften insgesamt für zentral. Anstatt auf die sozialpartnerschaftliche Vermittlung durch die Gewerkschaftsbürokratie zu setzen, wollen wir klassenkämpferische Gewerkschaften aufbauen, in denen die Arbeiter:innen selbstorganisiert mit Versammlungen und Koordinierungsinstanzen ihren Kampf in die eigenen Hände nehmen.

Wenn du diese Perspektive für richtig hältst, organisier‘ dich mit uns, um innerhalb der Arbeiter:innenbewegung eine Kraft aufzubauen, die die Sozialpartnerschaft effektiv herausfordern und die Kämpfe auch gegen die Widerstände der Gewerkschaftsbürokratie zusammenführen kann.

 

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