Streikverbot bei Lufthansa

10.09.2015, Lesezeit 6 Min.
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// Am gestrigen Mittwoch hat das Landesarbeitsgericht Hessen den Streik der PilotInnen der Vereinigung Cockpit (VC) verboten. Es folgte damit nach Strich und Faden der Argumentation der VertreterInnen der Lufthansa AG: Die unternehmerische Freiheit der Lufthansa AG wäre durch den Streik beeinträchtigt. Denn der Streik der VC-KollegInnen richte sich in Wirklichkeit vor allem gegen das Billigflieger-Konzept „Eurowings“ des Konzerns. Nun darf aber in Deutschland nach derzeitiger Rechtsauffassung einzig und allein dann gestreikt werden, wenn das Ziel ein Tarifvertrag ist. Folglich sei der Streik der Piloten illegal. Rechtsmittel sind gegen die Entscheidung bis auf Weiteres nicht möglich, da es sich um ein Eilverfahren handelt. //

So wollen es die Institutionen des deutschen Staates: In Fragen der Unternehmens- oder gar überhaupt der Politik sollen wir LohnsklavInnen auf unser wichtigstes Machtmittel verzichten!

„Tja, dann wird es Regeln geben, die er respektieren muss!
Dann wird ihm sein Arbeitgeber vielleicht sagen:

Meine Freiheit muss noch lang nicht deine Freiheit sein!
Meine Freiheit: Ja! Deine Freiheit: Nein!
Meine Freiheit wird von der Verfassung garantiert
Deine hat bis jetzt nicht interessiert!“
(Georg Kreisler „Meine Freiheit, Deine Freiheit“)

Klar, das ist grundsätzlich keine Neuigkeit. Diese Rechtsauffassung hat es dem Staat immer wieder erlaubt, Arbeitskämpfe zu verbieten, und es gleichzeitig GewerkschaftsbürokratInnen immer wieder leicht gemacht, auf massiven Widerstand zu verzichten, wo er nötig gewesen wäre. In Hessen haben die juristischen PriesterInnen der heiligen Freiheit der EigentümerInnen allerdings mit dieser Entscheidung eine neue rechtliche Verschärfung eingeführt. Der Lufthansa-Anwalt (selbsterklärter Spezialist für „Umstrukturierungen, Outsourcingprojekte, Personalabbaumaßnahmen und sonstige Veränderungsprozesse; rechtliche Begleitung von Tarifverhandlungen und Abwehr drohender Streikmaßnahmen“) brachte es gestern auf den Punkt, als er darüber jubelte, dass die RichterInnen ihrer Entscheidung nicht den formellen, von der Gewerkschaft angegebenen Grund für den Streik zugrunde gelegt haben, sondern deren „Motiv“. Denn die PilotInnen-Gewerkschaft hat offiziell nicht gegen die Eurowings-Ausgliederungen gestreikt, sondern gegen den Griff des Lufthansa-Vorstandes nach der Übergangsversorgung der PilotInnen. Der Post-Streik von ver.di hätte nach dieser Logik auch verboten werden können und sie wird sicher zukünftig gegen andere Sektoren gekehrt werden.

Einschränkung des Streikrechts

Schon vor einem Jahr provozierte die Konzernleitung der Lufthansa mit ihren Sparplänen und insbesondere ihrer harten Haltung zur Übergangsversorgung der PilotInnen den Cockpit-Arbeitskampf. Etwa zur gleichen Zeit provozierte auch die Deutsche Bahn AG den Konflikt mit der GDL und der öffentliche Diskurs über die Einschränkung des Streikrechts begann. Die Hetze gegen die GDL war ungleich schärfer, doch auch die PilotInnen mussten als Feindbild herhalten: „kleine Haufen von gut bezahlten SpezialistInnen, die zu unserem Schaden ihre überzogenen Privilegien verteidigen“. So redeten und schrieben gut bezahlte SpezialistInnen, die zu unserem Schaden ihre Privilegien verteidigen, 2014 über die Streiks von GDL und Vereinigung Cockpit. Inzwischen ist das Gesetz zur Einschränkung des Streikrechts vom Parlament beschlossen worden.

Dagegen gab es keinen nennenswerten Widerstand der großen Gewerkschaften. Manche Apparate, wie die IG Metall oder die IG BCE, unterstützten sogar das arbeiterInnenfeindliche Gesetz. Andere, wie die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, kamen über eine halbgare Unterschriftensammlung kaum hinaus. Dabei wären Demonstrationen und mindestens die Drohung eines politischen Streiks notwendig gewesen. Doch auch die Apparate von GDL und VC, obwohl Zielscheiben der Gesetzgebung, kamen über Erklärungen nicht hinaus. Meist wird über Verfassung und den juristischen Weg gesprochen. Doch mit der gestrigen Entscheidung ist noch einmal klar: Wer sich auf die Institutionen des kapitalistischen Staates verlässt, der liefert sich ihrer Gnade aus – und Gnade ist nicht gerade eine Qualität der profittrunkenen deutschen herrschenden Klasse.

Die Konfrontation nicht scheuen!

Die Lufthansa Group, 1997 vollständig privatisiert, präsentiert sich selbst als „der weltweit führende Aviation-Konzern“ und ist dementsprechend weniger durch drohenden Verlust der „Wettbewerbsfähigkeit“ getrieben, als durch die Renditeerwartungen der EigentümerInnen, zu denen nicht nur der berühmt-berüchtigte Fonds Blackrock zählt. Um den prall gefüllten Taschen noch mehr Vermögen zuzuführen – nur deswegen wird auch bei der Lufthansa Hand an die Arbeitsbedingungen gelegt und das Unternehmen umstrukturiert. Dagegen zu kämpfen ist nicht nur richtig, es ist notwendig.

Doch für den Apparat der VC sind nicht nur Markt und Kompromiss gern angerufene Götzen. Für ihn steht bei weiteren Streikaufrufen die Existenz auf dem Spiel, er könnte mit Schadensersatzforderungen überhäuft werden. Die Frage, welchen Zweck die Existenz einer nicht kämpfenden Organisation hat, steht da gar nicht erst zur Debatte. Ein zentraler Teil des Problems ist sicher auch die Trennung der Beschäftigten (zudem nach Funktionsbereichen) im Flugverkehr auf verschiedene Gewerkschaften (UFO, ver.di), deren Apparate gegeneinander kämpfen, statt solidarisch alle Möglichkeiten des Widerstands gegen die Agenda des Konzerns auszuschöpfen. Es braucht jetzt die Stimmen von FlugbegleiterInnen und Bodenpersonalen, die sich gegen das gestrige Urteil stellen! Es braucht auch gemeinsame Versammlungen der Lufthansa-KollegInnen aller Gewerkschaften, um über die Möglichkeiten zu beraten, die Pläne des Konzerns zurückzuschlagen. Das wäre ein echtes Zeichen gegen die angestrebte Prekarisierungspolitik. Gerade ver.di müsste als womöglich nächstes Opfer dieser Rechtsprechung in den Kampf ziehen. Das Poststreik-Desaster und auch das Verhalten von Bsirske und der Tarifkommission im Sozial- und Erziehungsdienst dämpfen jedoch die Erwartungen. Umso wichtiger ist es, dass sozialistische Organisationen und besonders die kämpferischen KollegInnen in den Betrieben Kerne für eine wirkliche Kraft des ArbeiterInnen-Widerstands aufbauen, die der selbstherrlichen Diktatur des Kapitals den konsequenten Kampf ansagt.

War das „Tarifeinheits-Gesetz“ schon ein Schritt voran für das Kapital, setzt das gestrige hessische Urteil noch einen drauf und ist auch als Antwort der Bourgeoisie auf die „Streikwelle“ zu verstehen. Es zeigt erneut, dass die „Sozialpartnerschafts“-Legende nur eine billige Rattenfängermelodie ist, die heutige Banken und Konzerne längst nicht mehr zu spielen bereit sind. Der wahre Sound ist Klassenkampf.

„Aber vorläufig ist nichts aus deiner Freiheitsambition
Du hast noch keine Macht und keine Organisation!
Ich wär‘ ja dumm, wenn ich auf meine Freiheit dir zulieb‘ verzicht
Darum behalt ich meine Freiheit. Du kriegst deine Freiheit nicht —
Noch nicht!“

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