Shimon Peres: Friedenstaube oder Kolonialherr?

01.10.2016, Lesezeit 4 Min.
Gastbeitrag

Der israelische Politiker Shimon Peres ist am Mittwoch verstorben. Am Freitag wurde er in Anwesenheit von Staatsoberhäuptern aus aller Welt begraben. Die bürgerliche Presse der ganzen Welt lobt ihn als Friedensstifter. Was ist die Bilanz seiner politischen Karriere, die sieben Jahrzehnte dauerte? Ein Nachruf von Dror Dayan.

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Jerusalem war gestern die Kulisse für ein großes Treffen der wichtigsten Staatsoberhäupter der Welt. Barack Obama und Mahmoud Abbas, Francois Hollande und Justin Trudeau – alle sind in die heilige Stadt gekommen, um Shimon Peres, dem verstorbenen Ex-Präsidenten Israels, eine letzte Ehre zu erweisen. Obama schwärmte davon, wie Peres ihn an Nelson Mandela erinnere. Bill Clinton bemerkte, Peres wollte immer nur das Beste für alle Kinder der Welt. Mit großer Trauer haben alle bürgerlichen Medien der Welt der israelischen Friedenstaube gedacht.

Aber der Friedensnobelpreisträger Peres war alles anderes als ein Mensch des Friedens. Bereits 1947 war er für den Waffenkauf der zionistischen paramilitärischen Organisation „Haganah“ verantwortlich, und damit auch für die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung, die „Nakba“ (Katastrophe). Seitdem blieb er eine wichtige Figur in der Kolonialgeschichte Palästinas, mal im Vordergrund, mal im Schatten. Als „Minister für die Entwicklung des Negev und Galiläas“ leitete er Verdrängung von Palästinenser*innen innerhalb des heutigen israelischen Territoriums und die Errichtung segregierter jüdischer Städte. Als Außenminister von Yitzhak Rabin hat er eine wichtige Rolle beim Oslo-Abkommen gespielt, das Palästina in ein Land von zerstückelten, abhängigen Mini-Staaten (oder „Bantustans“) verwandelte.

Dunkle Kapitel

Manche Kapitel im Lebenslauf Peres sind besonderes dunkel. 1996 war er geschäftsführender Regierungschef anstelle des ermordeten Rabins. Damals befahl er die „Operation Früchte des Zorns“. Zweck der militärischen Offensive war die Bombardierung von Dörfern im Süden Lebanons als Vergeltung für Angriffe der Hisbollah. Am 18. April hat das israelische Militär einen Posten der UNIFIL bombardiert, 106 Zivilist*innen und UN-Beobachter*innen kamen dabei ums Leben. Israelischen Blogs zufolge reagierte Peres ein Paar Tage später darauf mit dem Satz: „Die verdammten Araber, sie wissen nicht, was für sie gut ist“.

Auch die gute Beziehung zu den westlichen Kolonialmächten war für Peres immer wichtig. Als Geschäftsführer des israelischen Sicherheitsministeriums hat er 1956 eine zentrale Rolle bei der israelischen Invasion der Sinai-Halbinsel gespielt, einer französisch-britisch-israelischen Reaktion auf die Verstaatlichung des Suez-Kanals durch den ägyptischen Präsidenten Nasser. Peres’ Arbeit im Dienst des französischen Imperialismus hat sich als profitabel erwiesen: Im folgenden Jahrzehnt war Peres die Hauptfigur des israelischen Atomprogramms, das durch geheime Verhandlungen mit Frankreich entwickelt wurde. Das war Peres’ Lebenswerk, die Krönung seiner Erfahrung seit 1947 als Waffenhändler: Dank ihm wurde Israel der erste und bisher einzige Staat im nahen Osten, der Atomwaffen besitzt.

Das Atomprogramm blieb noch lange Zeit Peres’ Hauptanliegen. Als Verteidigungsminister 1975 hat er versucht, Atomwaffen an das südafrikanische Apartheidsregime zu verkaufen. Als der Whistleblower Mordechai Va’anunu, ein Techniker im geheimen nuklearen Forschungszentrum in Dimona, Israels Atomprogramm in der britischen Presse bekannt machte, musste er das Land verlassen. Peres beauftragte 1986 seine Entführung durch den Geheimdienst Mossad in Rom. Jahrzehntelang musste Va’anunu in Haft bleiben, die meiste Zeit in Einzelhaft und Isolation. Bis heute darf er Israel nicht verlassen.

Kein netter Opa

Auch wenn es in den westlichen Medien gerne so dargestellt wird, war Peres niemals der nette alte Opa, der nach Frieden strebt. Er war eine wichtige Figur bei den schlimmsten Verbrechen des Zionismus seit 1947. Aber nicht nur die Palästinenser*innen soll sein Tod erfreuen: Als Regierungschef in den 80er Jahren hat er unzählige Privatisierungsmaßnahmen durchgeführt, dessen Folgen für die israelische Arbeiter*innenklasse bis heute erheblich sind. Als Teil der alten zionistischen Elite war er auch für seinen Rassismus gegen nicht-weiße Jüd*innen berühmt.

Zwischen all den Jasager*innen der Weltpolitik fehlte aber gestern in Jerusalem eine wichtige politische Partei: Die gemischt palästinensisch-jüdische „Vereinte Liste“ im israelischen Parlament hat sich geweigert, an dem zionistischen Theater teilzunehmen. Auch wir sollten uns weigern. Denn Shimon Peres hatte viel Blut, Leid und Trauer zu verantworten.

In der palästinensischen Stadt Jaffa im heutigen Israel – auf Land, das von palästinensischen Geflüchteten gestohlen wurde –, hat Peres vor 20 Jahren ein großes Forschungszentrum errichtet. Wie eine gepanzerte Festung erhebt sich das Stahl-und-Glass Gebäude über die palästinensische Nachbarschaft. Der Name des Zentrums, der Peres selbst ausgesucht hat: „Das Peres-Zentrum für Frieden“.

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