Sanders unterstützt nicht nur Bidens Kandidatur, sondern auch sein Programm

30.07.2020, Lesezeit 9 Min.
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Eine gemeinsame Taskforce aus Unterstützer*innen von Bernie Sanders und Joe Biden hat ihre politischen Empfehlungen veröffentlicht. Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez lobten das Programm – obwohl es Medicare For All und andere linke Forderungen ablehnt.

Anfang Juli veröffentlichte eine von Bernie Sanders und Joe Biden ins Leben gerufene gemeinsame Taskforce ein 110-seitiges Dokument mit politischen Empfehlungen für das Programm der Demokratischen Partei. Die Empfehlungen konzentrieren sich auf sechs Schlüsselbereiche – Klimawandel, Gesundheitswesen, Wirtschaft, Strafjustiz, Einwanderung und Bildung – und stellen angeblich eine progressive Agenda dar. Das Dokument enthält jedoch wichtige Sanders-Forderungen wie Medicare for All, also die Ausweitung der staatlichen Krankenversicherung, und einen Green New Deal nicht und verwässert viele weitere. Letztlich stehen die Empfehlungen im Einklang mit Bidens kapitalistischem Programm und zeigen die Fallstricke der Arbeit innerhalb der Demokratischen Partei auf.

Die Task Force wurde im Mai angekündigt, einen Monat nachdem Sanders aus dem Präsidentschaftswahlkampf ausgeschieden war, und setzte sich aus prominenten Unterstützer*innen beider Politiker zusammen. Während der gesamten Vorwahlen wurde Biden wegen seiner gemäßigten Haltung, seiner Konzentration auf die Wiederherstellung einer Vor-Trump-Ära und seiner mangelnden Bereitschaft, die tieferen Wurzeln der anhaltenden Krisen in den USA anzugehen, kritisiert. Seine mageren Ergebnisse bei den Vorwahlen in den frühen Bundesstaaten zeigten, dass seine Business-as-usual-Botschaft wenig inspirierend war, insbesondere für jüngere Wähler*innen. Bidens gemeinsame Taskforce war ein Versuch, progressivere Wähler*innen zu erreichen und Sanders‘ Basis vor der Wahl im November zu gewinnen.

Das veröffentlichte Dokument enthält einige von Sanders‘ Vorschlägen: einen Mindestlohn von 15 Dollar, die Abschaffung von Barkautionen und Privatgefängnissen, zwölf Wochen bezahlten Familien- und Krankheitsurlaub, die Aufhebung der gewerkschaftsfeindlichen Gesetze zum „Recht auf Arbeit“ und die Schaffung eines Postbanksystems. Doch während die Medien das Dokument als „ehrgeizige, progressive Agenda“ und einen Schritt nach links für Bidens lobten, zeigt eine genauere Untersuchung der politischen Empfehlungen, dass nur sehr wenig von Sanders‘ Agenda Teil des Dokuments ist.

„Einheit“ ohne Sanders‘ Forderungen

Viele von Sanders‘ Forderungen wurden erheblich abgeschwächt oder durch vage Empfehlungen ersetzt. Der Besuch einer öffentlichen Hochschule würde nur für Student*innen aus Familien mit einem Jahreseinkommen von weniger als 125.000 Dollar kostenlos sein, und nur Beschäftigten des öffentlichen Dienstes könnten bis zu 10.000 Dollar an Schulden, die sie für das Studium aufnehmen mussten, erlassen werden. Das Dokument schlägt zwar vor, die Zahl der jährlich in die USA einreisenden Geflüchteten zu erhöhen, empfiehlt jedoch nicht, den unerlaubten Grenzübertritt zu entkriminalisieren. Anstatt eine Arbeitsplatzgarantie zu unterstützen, stellt das Dokument lediglich fest, dass „die Regierung Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Arbeitsplatzprogrammen ergreifen muss“, ohne zu präzisieren, um welche Maßnahmen es sich dabei handelt.

Andere Kernpunkte von Sanders‘ Agenda wurden in dem Dokument völlig ausgeklammert. Der Text erwähnt keinen Green New Deal, sondern verschiebt Bidens Ziel von 100 Prozent sauberer Energie um 15 Jahre, von 2050 bis 2035, nach vorn – ein Schritt, der von progressiven Demokrat*innen wie Alexandria Ocasio-Cortez gelobt wird. Die Vorschläge beinhalten jedoch weder ein Fracking-Verbot noch, was verwirrend ist, irgendwelche Pläne, die Förderung fossiler Brennstoffe auslaufen zu lassen. Stattdessen konzentrieren sich die Empfehlungen auf Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, für die bisher noch nicht nachgewiesen wurde, dass sie in großem Maßstab funktionieren. Wir befinden uns in einem Klimanotfall – diese Empfehlungen sind völlig unzureichend und sollten nicht begrüßt werden.

Es überrascht nicht, dass das Dokument Medicare for All nicht erwähnt und stattdessen Bidens langjährige Unterstützung für den Affordable Care Act, der unter Obama eingeführt wurde und den Zugang zu Krankenversicherungen verbessern sollte, sowie sein Bekenntnis zu privaten Krankenversicherungen bekräftigt. Die Empfehlungen beinhalten stattdessen viele technokratische Lösungen, wie z.B. Prämiensubventionen für diejenigen, die sich während der Coronavirus-Pandemie für COBRA, den Consolidated Omnibus Budget Reconciliation Act, der die Weiterversicherung nach einer Entlassung ermöglicht, qualifizieren, und die Erlaubnis für die öffentliche Krankenversicherung für ältere US-Bürger*innen Medicare, über Arzneimittelpreise zu verhandeln. Auch wenn das Dokument einen Entwurf für die Einführung einer öffentlichen Option enthält – ein Ergebnis des Drucks von Taskforce-Mitgliedern wie Dr. Abdul El-Sayed – könnte die zweideutige Formulierung stattdessen das derzeitige dysfunktionale System festschreiben. Bemerkenswert ist, dass fast 70 Prozent der Amerikaner*innen Medicare For All unterstützen, darunter die große Mehrheit der Demokrat*innen und 46% der Republikaner*innen.

Die Task Force empfahl ebenfalls nicht die Legalisierung von Marihuana. Bei dieser Maßnahme steht Biden nicht nur mit den Progressiven, sondern mit dem Land insgesamt nicht im Einklang: Eine Mehrheit sowohl der Demokrat*innen als auch der Republikaner*innen unterstützt die Legalisierung. Viele Staaten, die für einen Sieg Bidens im November entscheidend sind, wie etwa Michigan, haben für die Legalisierung gestimmt.

Andere populäre Forderungen, die von Sanders-Anhängern in der Taskforce vorgebracht wurden (obwohl sie nicht unbedingt von Sanders selbst unterstützt wurden), wurden ebenfalls vermieden. Das Dokument schlägt eine „Studie“ über Reparationen für Schwarze Amerikaner*innen und eine Kongress-Taskforce über Wege zur Staatsbürgerschaft für Menschen ohne Papiere vor, anstatt sich voll und ganz entweder auf Reparationen oder Staatsbürgerschaft festzulegen. Das Dokument skizziert Investitionen in Community Policing, den Versuch Vertrauen in die Polizei wiederherzustellen, passend zu Sanders‘ Haltung gegen die Abschaffung oder Definanzierung der Polizei. Die Taskforce empfiehlt ein Verbot gewinnorientierter Charter Schools, Schulen in freier Trägerschaft, die vom Staat finanziert werden, und eine „strengere Aufsicht“ über alle Charter Schools, schlägt jedoch kein Verbot oder gar eine Reduzierung der Zahl solcher Schulen vor.

„Nichts wird sich grundlegend ändern“

Wichtig ist, dass es sich dabei nur um politische Empfehlungen handelt – Biden hat nicht versprochen, auch nur eine davon zu übernehmen, und sie werden zunächst von einem Programmausschuss geprüft. Der Ausschuss ist voll von wirtschaftsfreundlichen Demokraten aus dem Establishment, die die wenigen progressiven Forderungen wahrscheinlich noch weiter verwässern werden. Genau das ist 2016 geschehen, als viele Forderungen des Sanders-Flügels der Partei in einem Sieg der Konzerninteressen abgelehnt wurden.

In der Tat haben die Konzerninteressen bereits zum Ausdruck gebracht, dass sie wegen der politischen Empfehlungen nicht besorgt sind. Die Finanzberatungsfirma Signum Global Advisors sagte in einer Notiz an ihre Kunden – mit dem unverblümten Titel „Eine erneute Erinnerung daran, dass Biden den Progressiven nicht verpflichtet sein wird“ –, dass „der Bericht sehr ehrgeizig ist; er gibt Lippenbekenntnisse zu einigen der progressiveren Ideen der Partei ab, obwohl er nur wenige Einzelheiten darüber enthält, wie die Ideen verwirklicht werden sollen, und wiederholt im Allgemeinen die meisten der gemäßigten Ideen von der Website der Biden-Kampagne.“ Aussagen wie diese bestätigen den Annäherungsversuch, den Biden bei seinen reichen Spendern bereits unternommen hat: „Nichts würde sich grundlegend ändern“, wenn er gewählt würde.

Sozialistisches Gütesiegel

Als Antwort auf diese Empfehlungen der Task Force sagte Bernie Sanders: „Obwohl das Endergebnis nicht dem entspricht, was ich oder meine Unterstützer*innen allein geschrieben hätten, haben die Taskforces einen guten politischen Entwurf erstellt, der dieses Land in eine dringend benötigte progressive Richtung bewegt und das Leben der arbeitenden Familien in unserem ganzen Land wesentlich verbessern wird.“ Später sagte er, Biden werde wahrscheinlich „der fortschrittlichste Präsident seit der FDR“, also Franklin D. Roosevelt, sein.

Diese Äußerungen von Sanders mögen überraschend erscheinen, wenn man bedenkt, wie wenig von seiner Politik tatsächlich in dem Dokument enthalten war. Aber sie stimmen mit seiner vollen Unterstützung für Joe Biden überein, seit er im April aus dem Rennen ausgeschieden ist. Sanders und seine Unterstützer*innen haben seinen Wahlkampf und seine Präsenz in der Politik als eine Möglichkeit angesehen, die Partei unter Druck zu setzen, sich nach links zu bewegen. Doch zusätzlich zur Unterstützung von Bidens Kandidatur hat Sanders Biden nun auch sein „sozialistisches“ Gütesiegel verliehen und damit fortschrittliche Forderungen – von sozialistischen nicht zu reden – aufgegeben.

Das von der gemeinsamen Taskforce veröffentlichte Dokument offenbart das Scheitern des Versuchs, die Demokratische Partei dazu zu benutzen, linke Politik voranzubringen. Selbst wenn ein*e selbsternannte*r Sozialist*in mit enormer Unterstützung des Volkes eingeladen wird, einen politischen Beitrag zu leisten, ist das Ergebnis unweigerlich freundlich gegenüber den Unternehmen und dem Demokratischen Establishment. Weit davon entfernt, die Partei nach links zu bewegen, tragen Politiker*innen wie Sanders dazu bei, ihr eine progressive Fassade zu geben, während sie gleichzeitig ihr kapitalistisches Programm bekräftigen. Sogenannte progressive Demokrat*innen geben selbst die laschesten Reformen auf und beglückwünschen sich dann dazu, eine rechte Agenda abgesegnet zu haben.

Das liegt daran, dass die Demokratische Partei eine von Grund auf bürgerlich-kapitalistische Partei ist. Sie existiert, um kapitalistische Interessen zu schützen und zu fördern, und als solche wird sie immer dem Establishment und nicht der Arbeiter*innenklasse gehören. Das Parteiestablishment und seine kapitalistischen Unterstützer*innen werden immer einen Weg finden, sinnvolle fortschrittliche Reformen zu blockieren. Deshalb müssen wir auch mit Sanders brechen, dessen Rolle darin besteht, die Demokratische Partei zu stützen und der wenig inspirierenden Biden-Kampagne eine progressive Patina zu verleihen. Wir müssen auch die Logik des geringeren Übels aufgeben und uns daran erinnern, dass die gleichen Menschen, denen unter einer Trump-Präsidentschaft Schaden zugefügt wird, auch unter einer Biden-Präsidentschaft Schaden leiden werden. Jetzt, mehr denn je, brauchen wir eine von den kapitalistischen Parteien unabhängige Partei der Arbeiter*innenklasse, eine Partei, die kompromisslos für die Arbeiter*innen und für den Sozialismus kämpft.

Dieser Artikel erschien erstmals am 13. Juli bei Left Voice. Die deutsche Version wurde leicht angepasst.

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