Mehr wäre drin gewesen

07.05.2014, Lesezeit 5 Min.
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// Für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst wäre durch ihre Warnstreiks mehr möglich gewesen, als die Gewerkschaftsbürokratie letztendlich rausholte. //

Die Stimmung war gut. Bis zu 100.000 Beschäftige aus dem öffentlichen Dienst beteiligten sich im März an den Warnstreiks für ihren Tarifvertrag, darunter viele Jugendliche. Es ist der wichtigste Tarifvertrag der Gewerkschaft ver.di, und die Bürokratie musste sowohl gegenüber ihrer Basis als auch gegenüber dem deutschen Staat beweisen, dass sie etwas wert ist. Dass sie dazu bereit ist, Hunderttausende zu mobilisieren, aber genauso bereit, die Forderungen „maßvoll“ zu halten und die Mobilisierung wieder abzuwürgen. Die Forderungen für die Beschäftigten von Kommunen und Bund waren ein Sockelbetrag von 100 Euro plus 3,5 Prozent Gehaltserhöhung, das heißt durchschnittlich 7,1 Prozent mehr Lohn. Außerdem wieder im Forderungskatalog: eine Übernahmegarantie für Auszubildende.1

Nach erfolgreichen Mobilisierungen zu den Warnstreiks hat die Bürokratie von ver.di den Streik am grünen Tisch abgewürgt. Ergebnis: ein zweijähriger Tarifvertrag mit einer Lohnerhöhung von 3,0 Prozent im Jahr 2014 und 2,4 Prozent im folgenden Jahr, bei einer garantierten Lohnerhöhung von 90 Euro für alle Gehaltsgruppen. Die besonders wichtige Übernahmegarantie für Auszubildende wurde wieder kampflos aufgegeben. Sachgrundlose Befristungen werden nach wie vor tariflich nicht ausgeschlossen. Die üblichen 24 Monate Laufzeit des Tarifvertrags gelten weiterhin.2 Trotzdem hatte der Abschluss ein kosmetisch schönes Äußeres, klingt „Mindestbetrag“ doch täuschend ähnlich wie „Sockelbetrag“. Der vor allem der niederen Gehaltsgruppen zugute kommende Sockel bedeutete allerdings eine absolute Lohnerhöhung für alle Lohngruppen, auf die der relative Betrag hinzugerechnet wird. Der Mindestbetrag bedeutet lediglich, dass niemand unter 90 Euro Lohnerhöhung erhält – ein großer Unterschied.

Der Abschluss muss außerdem im Angesicht der konkreten Umstände beurteilt werden: Die Inflation hat in Deutschland, nach ihrem Tief in den Frühzeiten der Krise, wieder einen Wert von 2,2 Prozent erreicht, doch die Preise für Nahrungsmittel stiegen 2013 um 4,4 Prozent, die Mietpreise, vor allem in den Großstädten, steigen noch stärker.3 Diese Fixkosten wiegen für untere Einkommenssektoren besonders schwer. Bei einer etwa gleichbleibenden Inflationsrate bleibt also vom relativen Teil der Erhöhung nicht viel übrig. Gleichzeitig gelten gute Konjunkturaussichten für Deutschland, das heißt, es bleiben besonders hohe Überschüsse übrig, die den Beschäftigten vorenthalten werden.

Der Abschluss kam ohne „echten“ Streik zu Stande. Im Vergleich zu den positiven Ausgangsbedingungen und den durchaus kämpferischen Warnstreiks wurde lediglich ein mäßiges Verhandlungsergebnis von oben beschlossen. Statt selbst zum Lohnkampf aufzurufen, setzt die Gewerkschaftsbürokratie ihre Hoffnungen in einen von Union und SPD immer mehr zerlöcherten – ohnehin sehr niedrigen – Mindestlohn.4 Auch hier treffen die Einschränkungen unter anderem Jugendliche, die nach aktuellen Planungen von den 8,50 Euro Mindestlohn ausgenommen werden sollen.

Die Gewerkschaftsbürokratie operiert auf schmalem Grat: Einerseits muss sie – gerade in Zeiten der Großen Koalition – ihr Dasein durch „kämpferisches“ Auftreten rechtfertigen. Andererseits ist es ihr Interesse, den Burgfrieden nicht in Frage zu stellen, der qua Auslandsüberschüssen den Wohlstand sowohl der Bürokratie selbst als auch der mittleren und gehobenen Gehaltsklassen der Lohnabhängigen garantiert. Eine Mobilisierung der Massen scheint also notwendig, aber ebenso deren Beschränkung.

Diesen objektiven Beschränkungen ist nur mit konsequenten antibürokratischen Forderungen zu begegnen: Alle Entscheidungen müssen durch Streikversammlungen getroffen werden, Verhandlungsleute müssen gegebenenfalls mit imperativem Mandat ausgestattet werden und jederzeit abberufbar sein, FunktionärInnen dürfen nicht mehr als einen durchschnittlichen FacharbeiterInnenlohn erhalten und ihre Amtszeit muss begrenzt sein. Die Perspektive dieser streikdemokratischen Forderungen muss im Aufbau einer antibürokratischen Strömung liegen, die die Gewerkschaften als Organisierungseinheiten der Lohnabhängigen zurückerobert.

Ausflüchte der Bürokratie, es habe einfach an Kampffähigkeit gemangelt, sind in diesem Fall wenig glaubwürdig. So standen doch beispielsweise Stadtwerke-Beschäftigte als schwere Bataillone im Gefecht, ohne tatsächlich eingesetzt zu werden. Einen tatsächlichen „Test“ der Kampffähigkeit, und auch der Streikkonjunktur allgemein, hat ver.di mit ihrem nach außen hübschen Verhandlungsergebnis verhindert. Nichtsdestotrotz hat der TVöD-Kampf Perspektiven aufgezeigt: Gerade die Übernahmeforderung für Auszubildende sprach eine kämpferische Jugend an, die von mehreren Seiten unter Druck ist, und die von der Gewerkschaftsbürokratie um ihre Kampferfahrungen beraubt wurde. Es müssen also Forderungen nach Beschäftigungsgarantie, Aufteilung der Arbeit auf alle durch Arbeitszeitverkürzung und ständige Preiskopplung des Lohns im Vordergrund stehen.

Fußnoten

1. Labournet-Dossier.

2. Zum Abschluss 2014. http://oeffentlicher-dienst.info/tvoed/tr/2014/pressemitteilung.vka.3.html. Vergleich zum Abschluss 2012 und zuvor.

3. Süddeutsche Zeitung: Lebensmittel treiben Inflation nach oben.

4. Spiegel Online: Steigende Reallöhne: Aufschwung soll bei Arbeitnehmern ankommen.

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