Lieber Herr Höfgen, wie führt man einen Wirtschaftskrieg richtig?

23.03.2023, Lesezeit 20 Min.
1
Foto: Amani A / Shutterstock.com

In „Der neue Wirtschaftskrieg” analysiert Maurice Höfgen die Sanktionen des Westens gegen Russland – und kritisiert sie aus den falschen Gründen.

Auf Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine antworten die NATO-Staaten nicht nur mit immer neuen Waffenlieferungen, sondern zugleich auch mit Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Insbesondere zu Beginn des Kriegs geisterten Begriffe und Namen wie SWIFT, EU-Sanktionslisten, eingefrorene Vermögen sowie Öl- und Gas-Embargo durch die Medien – bis schließlich das Wort „Wirtschaftskrieg“ fiel. In seinem 2022 im Brumaire Verlag, bei dem auch die deutsche Ausgabe des Jacobin erscheint, publizierten Buch „Der neue Wirtschaftskrieg. Sanktionen als Waffe“ analysiert Maurice Höfgen eben jene Sanktionen und ihre Auswirkungen. Dazu heißt es etwa im Klappentext:

Ein Buch für alle, die die komplizierten Wirtschaftssanktionen und die Rolle von Zentralbanken, Energieriesen und Steueroasen verstehen wollen. Maurice Höfgen bilanziert das Vorgehen der Ampel-Regierung und erklärt, mit welchen Wirtschaftsreformen wir die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stemmen können.

Höfgen, der nach eigenen Angaben zugleich wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag zunächst bei Fabio de Masi und aktuell bei Christian Görke, aber auch Autor, YouTuber bei „Geld für die Welt“ und „Jung & Naiv“ sowie Kolumnist unter anderem bei Jacobin, der Berliner Zeitung und weiteren ist, gilt der Berliner Zeitung etwa als „Deutschlands spannendster Nachwuchs-Ökonom“. Und auch Jacobin macht kräftig Werbung für sein neues Buch: Neben einer eigenen Seite im Online-Shop ist Chefredakteurin Ines Schwerdtner eine der lobenden Stimmen, die ebenfalls gleich auf dem Bucheinband selbst mit abgedruckt sind.

Bei genauerer Betrachtung jedoch fallen einige Aspekte auf, die im besten Falle irritieren, an anderen Stellen jedoch eine grundlegende Problematik offenbaren: Die Trennung zwischen Ökonomie und Politik sowie ein sich daraus ergebendes Gesellschaftsverständnis, in dem die Arbeiter:innenklasse, wenn überhaupt, als Leidtragende der Konsequenzen, die aus den Sanktionen folgen, benannt wird, ansonsten aber keine signifikante Rolle spielt. Dass der Diskurs um Wirtschaftssanktionen, gesellschaftliche Verhältnisse und politische Entscheidungen derzeit vor allem in den bürgerlichen Medien nicht gerade vom Marxismus geprägt ist, ist sicherlich keine neue Erkenntnis. Höfgen allerdings gilt mitunter als linker Ökonom, sodass ein wenig mehr „Kapital“ in seiner Analyse durchaus zu erwarten gewesen wäre.

Modern Monetary Theory und der Krieg

Stattdessen sind Höfgens Vorschläge, die er in seinem neuen Buch macht, geprägt von der sogenannten Modern Monetary Theory (MMT), einer Theorie, die sich mit der Funktionsweise des Geldsystems beschäftigt. Neben Dirk Ehnts zählt Höfgen zu den in Deutschland bekanntesten Vertreter:innen der MMT. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Staaten, die sich in eigener Währung verschulden, nicht bankrott gehen könnten, da sie ihre Schulden ganz einfach durch das Drucken von neuem Geld begleichen können. Vielmehr müssten Staaten Schulden machen, um Geld überhaupt erst in den Umlauf zu bringen. Mittels der Erhebung von Steuern reduziere sich die im Umlauf befindliche Geldmenge wieder. Allerdings könnten Staaten Dienstleistungen, Waren sowie finanzielle Vermögenswerte bereits bezahlen, bevor sie Geld in Form von Steuern einnehmen. Diesen komme vielmehr eine relevante Funktion zur Vermeidung inflationärer Tendenzen zu, insofern der Staat sie erhöhen könne, um einer Inflation vorzubeugen. Wie Hanno Beck und Aloys Prinz 2019 im Wirtschaftsdienst schrieben, laufen die Überlegungen der MMT darauf hinaus,

dass der Staat sich verschulden kann, um mittels Fiskalprogrammen für mehr Beschäftigung zu sorgen, und zwar indem er mehr Geld druckt; die Gefahr eines Staatsbankrotts gibt es dabei […] nicht. Diese Idee mündet in politischen Forderungen nach defizitfinanzierten Sozialleistungen bis hin zu staatlichen Beschäftigungsprogrammen, die für Vollbeschäftigung sorgen sollen.

Zu vermeiden sei jedoch, dass sich Staaten in ausländischer Währung verschulden. Da sich die MMT allein auf monetäre Ströme bezieht, erklärt sie dabei keine realen Güterströme. Ein Staat kann also nicht einfach unbegrenzt im Ausland bzw. in ausländischer Währung einkaufen, ohne eine Schuldenkrise zu riskieren; in den Analysen der MMT geht es lediglich um die eigene Währung eines Staates.

Teile dieses theoretischen Fundaments kommen bei Höfgen beispielsweise zum Ausdruck, wenn er die Frage, ob Deutschland Putins Krieg finanziert, behandelt:

Putin bezahlt seine Soldaten in Rubel. Den kann ausschließlich seine Zentralbank herstellen. Theoretisch sogar unbegrenzt, denn die russische Zentralbank hat das Währungsmonopol über den Rubel. […] Um Rubel auszugeben, muss Russland nicht eine Wattstunde Gas gegen Euro verkaufen.1

Viel wirksamer seien Exportverbote der EU, da Putin auf den Einkauf verschiedener Güter wie Maschinen, Technologien, Software und Halbleiter angewiesen sei.2 Euro- und Dollar-Reserven verschaffe sich Russland dadurch, dass russische Exporteur:innen ihre eingenommenen Devisen zu einem gewissen Prozentsatz innerhalb eines vorgeschriebenen Zeitraums auf dem Devisenmarkt wieder gegen Rubel verkaufen müssen.3 Zudem habe sich ein Exportüberschuss eingestellt, insofern Russland zwar nicht mehr Öl und Gas ins Ausland verkaufen könne, die Preise dafür aber enorm angestiegen sind.4 In Analysen dieser Art liegt eine Stärke von Höfgens Buch, da er auch für Leser:innen mit geringen ökonomischen Kenntnissen solche Zusammenhänge verständlich und nachvollziehbar aufzeigt. Hier zeigt sich ein klarer Gegensatz zu den oft wenig fundierten Debatten in TV-Talkshows, in denen maximal emotional aufgeladene Aussagen dominieren, wesentliche Vorgänge jedoch entweder nicht erklärt oder gezielt ausgespart werden.

Geschichten über Oligarchen

Dennoch ist festzuhalten, dass mit der Stärke, die das Buch hinsichtlich der Verständlichkeit aufweist, zugleich eine Schwäche einhergeht: Analysen, die über das grundlegende Funktionieren des Finanzsystems von Staaten und Zentralbanken hinausgehen, finden die Leser:innen bei Höfgen nicht. Dies ist insofern von Bedeutung, als der Titel ja eine Untersuchung des neuen Wirtschaftskriegs verspricht. Grundkenntnisse auf eine spezifische Situation zu übertragen, genügt an dieser Stelle nicht. Zugespitzt gesprochen sind Systeme wie SWIFT, die Handlungsweisen von EZB und FED oder auch das Abhängigkeitsverhältnis Deutschlands von russischem Gas recht einfach via Suchmaschine zu recherchieren. Anstelle einer systematischen Kontextualisierung unter Berücksichtigung der damit einhergehenden politischen und gesellschaftlichen Implikationen füllt Höfgen dagegen gerade zu Beginn Seite um Seite mit Geschichten über Oligarchen. Das Fazit lautet ganz einfach: eingefrorene Vermögen schaden Oligarchen wenig und Deutschland ist ein Paradies für Geldwäsche und verquere Eigentumsverhältnisse, durch die einiges verschleiert wird. Ob der Oligarch Usmanow nun eine Villa am Tegernsee besitzt5 und wie der Name seiner Yacht lautet,6 sind Fakten, die mehr an die Reportagen in beliebten Illustrierten am Kiosk erinnern. Gleiches gilt für die Analyse des Outfits von Elwira Nabiullina, Chefin der russischen Zentralbank.7 Ob diese nun eine Brosche als Markenzeichen und Verweis auf die russische Zentralbank trägt oder nicht, ist nun wirklich kein Kriterium, anhand dessen irgendwelche Rückschlüsse gezogen werden könnten oder sollten. Vielmehr versuchen solche Geschichten eine gewisse Inhaltslosigkeit zu verschleiern, doch sie verstärken sie diese nur.

Mythos Lohn-Preis-Spirale

Im Gegensatz zum politischen Burgfrieden herrscht in der Wissenschaft selten Einigkeit. Dies gilt auch für die Ökonomie und so ist es nicht verwunderlich, dass Höfgen gewissen Positionen widerspricht. In Bezug auf die Inflation betitelt er etwa Hans-Werner Sinn, der zum Lager derjenigen gehört, die die Inflation zu einem Phänomen der Geldmenge erklären, als „Crash-Propheten“.8 Sogenannte Mainstream-Ökonom:innen hätten sich wiederum den Zinserwartungen verschrieben, hinter denen jedoch eher Placebo und Küchenpsychologie steckten.9 Die Gegenüberstellung verschiedener Theorien zu ein und demselben Problem ist durchaus sinnvoll, um darzulegen, inwiefern dadurch unterschiedliche Einschätzungen zustande kommen. Insbesondere auch, weil die mediale Debatte zumeist verengt und selektiv verläuft -; auffallend häufig genauso, dass es zum herrschenden Narrativ der Politik passt. Verwunderlich ist dann allerdings, dass Höfgen auf einen Mythos verweist, ohne ihn als solchen zu enttarnen. Zumal es sich dabei um eine Annahme handelt, mit der durchaus Politik gemacht wird: die Lohn-Preis-Spirale. Höfgen argumentiert, dass der Begriff Inflation als Beschreibung der gegenwärtigen Lage schlecht gewählt sei: „Denn Inflation bezeichnet eigentlich ein nachfrageseitiges Phänomen einer sich selbst verstärkenden Dynamik, die nahezu alle Preise steigen lässt, typischerweise auch Lohn-Preis-Spirale genannt.“10 Zwar existiere ihm zufolge eine solche Spirale gegenwärtig nicht, da die Löhne seit der Corona-Pandemie kaum steigen; als paradigmatisch benennt er allerdings Situationen, in denen Gewerkschaften über Branchen hinweg Lohnzuwächse durchsetzen, die dann die Kosten der Firmen in die Höhe trieben, die wiederum die Preise erhöhten. Höfgen bestreitet an dieser Stelle also nicht die Möglichkeit der Lohn-Preis-Spirale als solche. Derzeit läge jedoch keine nachfrageseitige Inflation, sondern ein Angebotsschock vor.11 Was bei Höfgen so banal erscheint, ist keineswegs Konsens. Gegenstimmen konstatieren, dass Unternehmen mit Preisgestaltungsmacht inflationäre Situationen als Vorwand nutzten, um die Preise mehr als nötig zu erhöhen. Ebenso seien höhere Nominallöhne nicht der Grund für erhöhte Inflation, da Lohnerhöhungen es gerade so schafften, der Inflation teilweise zu folgen. Das Dogma, Warenpreise würden durch die Arbeitslöhne bestimmt, sei, wie Klaus Müller in der Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung erläutert, unhaltbar:

Die Preise folgen nicht primär den Löhnen. Profitstreben, Marktmacht und die Abschöpfung von Liquiditätspotenzialen, erwartete Kosten- und Preiserhöhungen bei Vorprodukten, sind wichtigere Einflussfaktoren. Die Löhne sind nur ein Teil der Kosten und des Preises.12

Nicht berücksichtigt werden von Vertreter:innen des Mythos außerdem die Profite – sie kommen weder im Namen noch in den Überlegungen vor. Und das, obwohl „[e]s […] nicht der Lohn [ist], der zu einem Anstieg der Preise führt, sondern das Streben der Kapitalisten, die Profite zu mehren und ihren Rückgang zu verhindern.“13 Darüber hinaus, so konstatiert der politische Wirtschaftswissenschaftler Blair Fix auf dem Blog Economics from the Top Down, handle es sich bei Inflation zwar um ein monetäres Phänomen, wie bei allem, was mit Preisen zu tun hat. Jedoch sei Inflation vor allem als Machtkampf darum zu klassifizieren, wer die Preise am schnellsten erhöhen kann. Solche Gegenpositionen fehlen bei Höfgen, obwohl sie an dieser Stelle eben gerade nicht nebensächlich sind. Sein Lösungsvorschlag, der sich auf die Feststellung des Angebotsschocks bezieht, verbleibt ebenfalls ohne eine Auseinandersetzung mit den Profiten: Die Politik solle das Angebot ausweiten, den Schock abfedern und sich dadurch Zeit erkaufen.14 Trotzdem muss auch er feststellen, dass

Inflation […] vor allem ein Verteilungskonflikt [ist]. Denn nicht alle werden zwangsläufig ärmer, wenn die Inflationsrate steigt. Wenn Preise sich verändern, gibt es immer wen, der relativ mehr bezahlt, aber auch immer wen anders, der entsprechend mehr verdient. Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen eines anderen […].15

Eine weitere Möglichkeit, den Zusammenhang von Löhnen und Preisen zu betrachten, ist ihre Funktion als Elemente im Klassenkampf. Wenngleich dies derzeit nicht der Fall ist, können hypothetisch Situationen entstehen, in denen es den Arbeiter:innen bzw. den Gewerkschaften gelingt, Löhne zu erkämpfen, die höher als der Reallohnverlust sind. Hierauf wiederum können Unternehmen mit einer Steigerung der Preise reagieren. Die Erhöhung der Löhne bildet somit ein Element des Klassenkampfs von unten, während die Erhöhung der Preise ein Element des Klassenkampfs von oben darstellt. Bei Höfgen allerdings fehlt der Aspekt des Klassenkampfes als solcher allgemein.

Arm und ohne Handlungsmöglichkeit

Es dürfte klar sein, wer verdient und wer bezahlt. So zieht Höfgen etwa Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung heran, anhand derer deutlich wird, dass höhere Preise für Gas, Strom, Sprit und Lebensmittel die kleinsten Einkommen deutlich mehr belasten als diejenigen der Spitzenverdiener:innen.16 Recht prominent wird auch das Beispiel der PCK-Raffinerie in Schwedt aufgeführt, die vollständig vom russischen Öl abhängig ist und seit 2011 mehrheitlich dem russischen Staatskonzern Rosneft gehörte.17 Das von Habeck angekündigte Öl-Embargo hat also durchaus schwerwiegende Folgen. Für Höfgen ist weniger der drohende Verlust von Arbeitsplätzen – wobei die Arbeitslosigkeit in der Region ohnehin überdurchschnittlich hoch ist – problematisch als vielmehr die Versorgungssicherheit; allerdings muss auch er anerkennen, dass es sich mitunter um die Frage einer immer größer werdenden Ungleichheit handelt:

Ohne Schwedt drohen Engpässe und enorme Preissprünge. Nicht auszudenken, würde dadurch eine neue Ost-West Benachteiligung entstehen, wo doch schon Renten, Löhne und Jobs in Ostdeutschland knapper sind.18

Es geht an dieser Stelle tatsächlich einmal um Arbeiter:innen. Diese spielen bei Höfgen ansonsten eher eine untergeordnete Rolle. Zwar verdeutlicht er an verschiedenen Stellen, dass es Menschen, die ohnehin schon ein (zu) geringes Einkommen haben, sehr viel härter trifft. Jedoch existiert so etwas wie eine Arbeiter:innenklasse anscheinend nicht. Bei Höfgen ist es „die Klasse der Malocher, der Ottonormalverbraucher, der Kümmerer, derer mit schmalen Geldbeuteln und der Abgehängten, die zu den Verlierern des Wirtschaftskrieges werden.“19 Man kann ihm also nicht den Vorwurf machen, er würde die Folgen, die der Wirtschaftskrieg auch hierzulande nach sich zieht, ausblenden. Was aber ausgeblendet wird, ist, dass dieser Klasse durchaus viele Menschen angehören, die nicht einfach nur eine verarmte Masse ohne jegliche Handlungsmöglichkeit sind. Genauso wirkt es aber bei Höfgen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass sie in seinen Überlegungen für den weiteren Verlauf des Wirtschaftskrieges bzw. des Krieges an sich exakt eine Rolle spielen: überhaupt keine.

Tatsächlich aber kommt der Arbeiter:innenklasse eine zentrale Stellung zu. Derzeit sind in verschiedenen Ländern und auch in Deutschland immer neue Streiks zu beobachten. Wenngleich es sich hierzulande zunächst hauptsächlich um die Forderung nach höheren Löhnen handelt, können hier die Kräfte gesammelt werden, um sich nicht nur gegen Krise und Inflation zu stellen, sondern auch, um eine politische Opposition zur weiteren Aufrüstung und der Fortführung des Krieges zu bilden. Dies beinhaltet ebenfalls, sowohl gegen Waffenlieferungen als auch Wirtschaftssanktionen einzutreten.

Wirtschaft ohne Politik?

Vertreter:innen der MMT betonen immer wieder, dass es sich dabei nicht um eine wirtschaftspolitische Handlungsempfehlung handle und es folglich auch keine MMT-Politik gebe. MMT sei vielmehr eine Linse, durch die Phänomene betrachtet werden. Genau an der Stelle des Politischen, also der Frage der politischen Implikationen auch von Wirtschaftssanktionen, tut sich bei Höfgen eine große Leerstelle auf. Und das, obwohl er sich ein ganzes Kapitel lang20 damit befasst, wie die Sanktionen indirekt negative Konsequenzen für sogenannte „Entwicklungsländer“ nach sich ziehen, etwa durch ausbleibende Weizenlieferungen oder die durch Spekulationen in die Höhe getriebenen Preise dafür sowie den Fakt, dass die EU jenen Ländern das Gas und Öl wegkauft.

Dass es sich bei Wirtschaftssanktionen um Waffen handelt, verdeutlicht zwar der Untertitel seines Buches, im Text wird das so aber nicht betont, obwohl es hierzu bereits Studien aus anderen Kontexten gibt. So zeigte beispielsweise Dylan O’Driscoll von der Manchester University in einer Zusammenführung verschiedener Studien 2017 auf, dass Wirtschaftssanktionen zu einem beliebten Instrument der internationalen Politik geworden sind, das vor allem von den USA bedient werde. Im Allgemeinen würden sie als humaner angesehen als militärische Interventionen, jedoch legten Studien nahe, dass sie ebenfalls enormes menschliches Leid verursachen und oft als vergleichbar mit dem bewaffneten Eingreifen angesehen würden. Die von O’Driscoll zitierten Autoren Mack und Khan bringen es relativ knapp und drastisch auf den Punkt: Die einzige wirkliche Meinungsverschiedenheit in der gegenwärtigen Literatur beziehe sich auf das Ausmaß, in dem Sanktionen als Instrument zur Erzwingung von Verhaltensänderungen in den Zielstaaten versagen. Keine Studie behauptete, dass Sanktionen im Allgemeinen ein wirksames Zwangsmittel seien. Sie bedeuten aber eine Vergrößerung des Armutsgefälles, treffen die einfache und arme Bevölkerung anstelle der Eliten, haben eine negative Auswirkung auf den Lebensstandard und dienen den Mächtigen in den sanktionierten Regimen darüber hinaus zudem als Anlass, ihre eigene unterdrückerische Politik auszuweiten. Die Annahme, dass man nur genug Druck auf die Bevölkerung ausüben muss, um diese zu Aufständen gegen die eigene Regierung zu bewegen, ist also ein Irrglaube.

Eine solche Perspektive fehlt bei Höfgen. Gleiches gilt für eine grundlegende Kritik des Imperialismus der NATO-Staaten. Immer wieder betont er, wie schlimm der Krieg für die Menschen in der Ukraine ist und wie sehr Putin dafür verurteilt werden muss. Dem ist selbstverständlich zuzustimmen, jedoch neigen seine Betrachtungen zu Einseitigkeit und wirken irgendwann redundant. Es lohnt sich – vor allem für Linke – eine vergleichende Betrachtung mit dem Irak-Krieg der USA von 2003 heranzuziehen, wie Fabian Lehr es in seiner Podcast-Folge „Der ‚linke Putinismus‘ – ein Strohmann geht um“ macht. Die (deutschsprachige) Linke lehnte damals beinahe einheitlich die Invasion der USA im Irak als ungerechtfertigten Angriffskrieg vehement ab und verurteilte den verbrecherischen Charakter sowie die abscheuliche Willkür dahinter. Folglich forderte sie von ihren eigenen Staaten und der EU, sich nicht an diesem Krieg zu beteiligen und ihn zu verurteilen. Aber niemand forderte, dass Deutschland oder die EU auf der Seite des Iraks in einen Krieg gegen die USA eintreten sollte:

Niemand forderte, dass Europa massenhaft moderne Waffen an die irakische Armee liefern sollte, um den amerikanischen Überfall erfolgreich abwehren zu können. Niemand forderte, dass Europa einen Wirtschaftskrieg gegen die USA eröffnen sollte, um durch Verarmung der amerikanischen Bevölkerung die Regierung Bush zu Fall zu bringen. Niemand forderte, dass Europa eine Einreisesperre gegen US-Bürger:innen verhängen sollte. Niemand forderte, dass an sämtlichen öffentlichen Gebäuden Europas als Zeichen der Solidarität die irakische Flagge gehisst werden müsse. […] Niemand forderte, die europäische Bevölkerung aufzufordern, sich auf lange Jahre der Entbehrungen und Verarmung einzustellen, um durch Anspannung all unserer Kräfte den verbrecherischen amerikanischen Imperialismus zu Fall zu bringen.

Die permanente Überbetonung des Putinschen Schreckens sollte also dringend hinterfragt werden und in einer rationalen Analyse keinen Platz finden – was eben gerade nicht bedeutet, sich auf Putins Seite zu schlagen, wenn man die NATO ebenfalls ablehnt. All diese materiellen und politischen Implikationen bleiben aber bei Höfgen aus, was allerdings nicht mit dem Fokus auf die Ökonomie zu rechtfertigen ist. Denn diese findet nicht in einem isolierten Bereich statt, sondern ist mit politischen Entscheidungen und Strategien sowie materiellen Verhältnissen aufs Engste verbunden. Auch wenn MMT keine Politik ist, wird Politik dadurch nicht negiert. Michael Roberts konstatierte mit Blick auf die Wirtschaft, dass sowohl die Ukraine als auch Russland zu Kriegswirtschaften geworden seien. Es gebe aber einen wesentlichen Unterschied, der nach dem Ende des Krieges – wenn er denn jemals enden wird – zum Ausdruck komme. So sei die Ukraine dann einer neoliberalen Marktwirtschaft verpflichtet, die auf ausländische Investitionen und Unternehmen setze, die die wichtigsten Ressourcen übernehmen und in die EU integrieren werden. Russland dagegen werde sich für eine noch viel stärker staatlich gelenkte Wirtschaft entscheiden, in der die wichtigsten Ressourcen und Investitionen vom Staat streng kontrolliert werden. Ein Blick über die aktuelle Situation hinaus ist also durchaus lohnenswert. Dies ist gerade für die Arbeiter:innenklasse von enormer Bedeutung, um eine fortschrittliche Antwort formulieren zu können, die zu einem Weg aus dem Krieg und einer tatsächlichen Unabhängigkeit der Ukraine führen würde: mit Streiks gegen Krieg, Aufrüstung und Inflation, der Enteignung von bzw. dem Kampf gegen Kapitalist:innen und den imperialistischen Ausverkauf der Ukraine sowie die Vormundschaft von Finanzorganisationen. Diese dritte Position richtet sich sowohl gegen Putin als auch gegen die NATO.

Die MMT analysiert den Kapitalismus, um ihn besser managen zu können. Aufgabe der Arbeiter:innenklasse hingegen ist es, den Kapitalismus als gesellschaftliches System zu begreifen, um ihn letztlich überwinden zu können.

Ratschläge für den Staat

Höfgen hingegen konzentriert sich als Resultat auf die von ihm ermittelten Fehler hinsichtlich der aktuellen Sanktionen auf Verbesserungsvorschläge und Appelle an den Staat. Er fragt dabei, weshalb kein Sondervermögen „Energiesicherheit“ umgesetzt werde, wenn es doch für die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr möglich war21 – ohne die massive Aufrüstung abzulehnen oder zumindest zu kritisieren. Die Zeit sei „reif für einen Green New Deal – eine historische Investitionsoffensive in ein grünes, unabhängiges, modernes Deutschland mit erstklassischer Infrastruktur.“22 Zudem sollten „Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit […] von der Schuldenbremse ausgenommen und der Etat deutlich aufgestockt werden. Erst recht die Milliarden Euro, die die Ukraine zum Wiederaufbau des zerbombten Landes brauchen wird. Übrigens: Je besser die deutsche Wirtschaft läuft, desto einfacher fällt es, großzügige Programme für die Ukraine mitzutragen. Bei der bisherigen Sanktionspolitik kam dieser Gedanke zu kurz.“23 Um dem Geldwäscheparadies in Deutschland endgültig ein Ende zu bereiten, sollten Barkäufe begrenzt, Grundbücher und Transparenzregister lückenlos erfasst, digitalisiert und bundesweit vernetzt werden. Außerdem sollten Polizei, Zoll, Geldwäsche-Aufsicht und Finanzverwaltung effektiver koordiniert oder besser noch Kompetenzen in einer Bundesfinanzpolizei nach italienischem Vorbild gebündelt werden.24 Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bauche es Großzügigkeit und Fairness in der Steuer- und Sozialpolitik.25

Höfgen spricht sich also keineswegs gegen den Wirtschaftskrieg aus; er ist nur der Meinung, dass dieser hinsichtlich verschiedener Sanktionen nicht richtig geführt wird. Ebenso positioniert er sich weder gegen die Aufrüstung noch gegen die westlichen Imperialismen. Ob das seinem Ruf als linkem Ökonom gerecht wird, sei an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt, denn letztlich übt er zwar Kritik am Regierungshandeln, doch es bleibt eine solidarische Kritik. Dass Jacobin dieses Buch so stark bewirbt, ist durchaus bemerkenswert, insofern das Magazin für sich in Anspruch nimmt, eine Variante des Marxismus zu vertreten. Höfgen als ökonomischer Vordenker ist damit nicht wirklich kompatibel.

Das Fazit des Autors nach 249 Seiten: „Und vieles muss ganz grundsätzlich anders gemacht werden. Statt Erbsenzählerei, Knauserigkeit und Verbohrtheit im Kleinen brauchen wir mehr Großzügigkeit, Ambition und Pragmatismus im Großen – und zwar am besten sofort.“26

Wer ist dieses „wir“, das dies brauche? Die Arbeiter:innenklasse und revolutionäre Kräfte gegen Putin und die NATO sind es jedenfalls nicht!

Fußnoten

1. Maurice Höfgen: Der neue Wirtschaftskrieg. Sanktionen als Waffe, Brumaire Verlag, Berlin 2022, S. 116.

2. Ebd., S. 117.

3. Ebd., S. 78.

4. Ebd., S. 85.

5. Ebd., S. 56.

6. Ebd., S. 52.

7. Ebd., S. 77, 83, 89.

8. Ebd., S. 205.

9. Ebd., S. 210.

10. Ebd., S. 198.

11. Ebd., S. 198f.

12.Klaus Müller: Die Lohn-Preis-Spirale – längst widerlegt und noch immer aktuell, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung 131 (2022), S. 86-90, hier: S. 88.

13. Ebd., S. 90.

14. Höfgen: Wirtschaftskrieg, S. 201.

15. Ebd., S. 204.

16. Ebd., S. 219.

17. Ebd., S. 148.

18. Ebd., S. 149.

19. Ebd., S. 249.

20. Ebd., S. 224ff.

21. Ebd., S. 244.

22. Ebd., S. 246.

23. Ebd., S. 248.

24. Ebd., S. 249.

25. Ebd., S. 246.

26. Ebd., S. 249.

Mehr zum Thema