Kurdische Frauen auf dem Weg zur Befreiung?

10.03.2016, Lesezeit 4 Min.
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Kurdische Kämpferinnen organisieren sich in eigenen Einheiten. Sie widersprechen so unseren Vorstellungen von Weiblichkeit und setzen sich selbstbewusst für ihre Befreiung ein. Wie können ihre Hoffnungen zum Sieg geführt werden?

Im Sommer 2014 wurden in Politik und Medien deutsche Waffenlieferungen an kurdische Kämpfer*innen im Irak diskutiert. Ich erinnere mich, dass ich zu dieser Zeit das erste Mal das Bild einer Peschmerga-Kämpferin in ihrer Uniform sah. Seitdem habe ich viele Bilder gesehen, kurdische Kämpferinnen in der Autonomen Region im Irak beispielsweise und in Rojava in Nordsyrien, die gegen den IS kämpfen. Auf dem globale Filmfestival in Berlin, im Januar diesen Jahres, sah ich einen Film über Sakine Cansiz, Gründungsmitglied der PKK. Bilder ihrer Genossinnen, Kämpferinnen in den Bergen, blieben mir im Gedächtnis. Es sind schöne Bilder, Bilder von selbstbewussten Frauen, die für ihre Rechte kämpfen, für die Rechte anderer Frauen, anderer Menschen.

Eben solche Frauen, die kämpfen, zu den Waffen greifen, widersprechen unserem herrschenden Geschlechterverständnis. In unserem binären Mann-Frau-System bleibt für die Frau der fürsorgende, liebende, vergebende Part, allenfalls den Mann in seinem Kampf unterstützend. Begründet werden diese Rollenbilder nicht zuletzt mit vermeintlich objektiven biologischen Tatsachen wie der weiblichen Aufgabe der Reproduktion. Die lebendige Geschichte jedoch straft diese Stereotypen Lüge. Ereignisse wie der arabische Frühling, die Pariser Kommune oder die russische Revolution sowie der Widerstand gegen den Nationalsozialismus zeigen Frauen in den ersten Reihen der Kämpfenden.

Frauen im Krieg

Armut und Unterdrückung strafen die Frauen doppelt. Sie sind nicht nur die Opfer von Rassismus und Kapitalismus, sondern auch des Patriarchats. Gewalt gegen Frauen, psychische wie physische, nimmt in Zeiten von Krieg und Elend zu. Brutale Beispiele sind die Verbrechen der IS-Miliz sowie der Milizen im Kongo, aber auch der Soldat*innen der NATO in Afghanistan. Wenn Frauen aufstehen um zu kämpfen, dann nicht, um den gesellschaftlich vorherrschenden Männlichkeitsbildern nachzueifern und so Gleichstellung zu erlangen, sondern weil es ihr ureigenes Interesse ist. Die Selbstorganisation der Frauen, nicht zuletzt in kämpfenden Einheiten, bleibt im Patriarchat ein Schutzraum, in dem sich Frauen unabhängig organisieren können, um gemeinsam mit allen Unterdrückten zu kämpfen.

Kurdische Frauen organisierten sich in Fraueneinheiten Jahre bevor sie durch den Kampf gegen den IS Aufmerksamkeit in den westlichen Medien bekamen. Sie besetzten wichtige militärische und politische Positionen, wie Sakine Cansiz oder Adila Khanim. So viel das auch bedeuten mag, darf diese Entwicklung nicht gleichgesetzt werden mit der Befreiung der Frau. Kämpferinnen der PKK erzählen, dass ihre Forderungen seit der Festnahme ihres Vorsitzenden, Abdullah Öcalan, innerhalb der PKK kein Gehör mehr fanden. Die Bilder von Soldatinnen suggerieren einen wehrhaften, eigenständigen Frauentypus. Aber gesamtgesellschaftlich herrschen noch immer veraltete patriarchale Rollenbilder vor: In der Autonomen Region Kurdistan sind Frauen weiterhin mit geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert. Besonders sogenannte Ehrenmorde, aber auch Beschneidungen, Zwangsverheiratungen, von denen viele Minderjährige betroffen sind, und häusliche Gewalt – diese Verbrechen werden laut Menschenrechtsorganisationen und -aktivist*innen in großer Zahl begangen. All die schönen Bilder selbstbewusster Frauen, doch was bleibt?

Patriarchat und Kapitalismus: ein effektives Gespann

Rojava ist sicher ein hoffnungsvolles Beispiel, in der befreiten Region haben die Menschen Selbstverwaltungsstrukturen aufgebaut. Frauen organisieren sich eigenständig und kämpfen für ihre Emanzipation und die Gemeinschaft, in der sie leben. Doch es stellt sich die Frage, ob diese Errungenschaften auf Dauer die Hoffnungen der Menschen erfüllen können. Denn um keine isolierte ländliche Insel zu bleiben, muss Rojava sich ausweiten. Vor allem die Arbeiter*innen in der Türkei müssen mit sozialen Forderungen gewonnen werden. Wird der zukünftige Kampf nicht gemeinsam geführt, bleibt Rojava abhängig vom Imperialismus. Ohne die soziale Frage zu stellen, ohne Landreform und Internationalismus bleibt offen, wie lange die Menschen in Rojava sich gegen ihre nationale Unterdrückung wehren können.

Solange die Menschen sich nicht befreien von gewalttätiger Unterdrückung und Ausbeutung, werden immer die Frauen leiden, denn Patriarchat und Kapitalismus sind ein mächtiges und effektives Gespann. Die herrschende Ungerechtigkeit kann nicht überwunden werden, wenn Menschen ihre eigenen Privilegien lieber verteidigen als die gemeinsamen Interessen. Daher muss der Kampf einer sein, gegen Sexismus, Rassismus, Kapitalismus.

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