Israel droht mit Eskalation zum Fastenmonat Ramadan

09.03.2024, Lesezeit 8 Min.
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Foto: Achmed

Benny Gantz, Mitglied des israelischen Kriegskabinetts, und vermeintlich gemäßigter Konkurrent Netanjahus, kündigt den Start der Bodeneinsätze in Rafah zum Beginn des Ramadans an.

Nach mehr als 150 Tagen Völkermord in Gaza scheint es keine Hoffnung mehr auf einen diplomatisch verhandelten Waffenstillstand zu geben. Dabei wurde von allen Beteiligten die Dringlichkeit behauptet und gleichzeitig der Willen. Es ginge nur noch um Details und definitiv wird es eine Lösung vor Ramadan geben. Während die USA und andere westliche Mächte die Opfer des israelischen Militäreinsatzes öffentlich bemitleiden und die humanitäre Lage der Palästinenser:innen in den Vordergrund stellen, stehen sie faktisch weiter an der Seite Israels in Form von Militärhilfen und diplomatischer Rückendeckung. Israel scheint seine Partner zu ignorieren und beschießt Hilfesuchende, die auf Essenslieferungen warten, so wie das grauenhafte Mehl-Massaker kürzlich zeigte. 

Präsident Biden proklamierte zuletzt in seiner Rede zur Lage der Nation, dass die USA  einen temporären Hafen an der Küste Gazas errichten wollen. Dass es keinen eigenen palästinensischen Hafen gibt, liegt natürlich an der Belagerungspolitik Israels, die der Bevölkerung keinerlei wirtschaftliche Perspektive erlaubt und damit jegliche Verbindung zur Außenwelt abschneidet. Dieser US-Hafen soll, laut Biden, Schiffslieferungen an Essen, Wasser, Medizin und Zelten für die leidende Bevölkerung sichern und die Versorgung dadurch massiv verbessern. Es wirkt allerdings für kritische Beobachter:innen wie der nächste Akt eines nie endenden Theaters der amerikanischen Israelpolitik. Der Hauptdarsteller Joe Biden taumelt zwischen seinem Zionismus und der Rolle als gutmütiger Opa der Welt. In dieser Rolle schimpft er mit Netanjahu und schickt Hilfslieferungen aus der Luft, um die Blockade Israels zu umgehen. Bei diesen Lieferungen aus der Luft starben am Freitag mindestens fünf Menschen. Gleichzeitig sendet Israel Bomben und zynische Ramadangrüße aus der Luft.

Während die Luftangriffe auf Rafah täglich Zivilist*innen töten und mittlerweile mehr als 20 Menschen an Hunger starben, plant die israelische Kriegsregierung die nächste Eskalationsstufe: Bodenangriffe auf Rafah. Diese Angriffe sind der letzte Schritt in der Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung in Richtung ägyptischer Grenze. Dort hat die pro-amerikanische ägyptische Regierung schon Vorbereitungen getroffen, um die Palästinenser*innen massenweise, in einem aus Zelten bestehenden Flüchtlingscamp zwischen Israel und Ägypten einzusperren.

Gantz sagte schon vor Wochen: „Denjenigen, die sagen, dass der Preis zu hoch ist, sage ich ganz klar: Die Hamas hat die Wahl. Sie können sich ergeben, die Geiseln freilassen und die Zivilisten in Gaza können das Ramadanfest feiern.“ Abgesehen von der Perversion und verbrecherischen Intention dieser Aussage, sind Angriffe auf den islamischen Fastenmonat schon fast eine Regel der israelischen Regierung. So wurde letztes Jahr ein 26-jähriger Palästinenser mit 10 Schüssen von der israelischen Polizei getötet, als er versuchte eine Frau zu beschützen, die von der Polizei am Eingang zum Al-Aqsa Gelände bedrängt wurde.

Seit dem 07.10.2023 hat sich die Lage für Palästineser:innen, aber vor allem gläubige Muslim:innen, extrem verschärft. Es werden neue Checkpoints eingerichtet, an denen grundlos Menschen durchsucht und oft körperlich von der Polizei angegriffen werden. Gerade freitags, wo viele Muslim:innen aus ganz Palästina zum Beten in die Altstadt Jerusalems kommen, werden sie massiv eingeschränkt durch Altersbegrenzungen oder willkürliche Einlassstops. All das passiert in einem Gebiet, das laut den Oslo Verhandlungen Teil der palästinensischen Hauptstadt sein sollte. Aber mehr denn je zeigt Israel, dass es die illegale Besatzung und die Brutalität gegen die palästinensische Bevölkerung, auch gegen den Protest seines wichtigsten Verbündeten, den USA, weiterführen wollen.  

Benny Gantz ist in den letzten Wochen des Öfteren in die Schlagzeilen der Medien geraten. Seine Besuche bei US- und UK-Regierungsmitgliedern signalisieren einerseits die Geschlossenheit der israelischen Kriegsverbrecher, andererseits zeigt es den westlichen Mächten, dass es auch eine Zeit nach Netanjahu geben wird. Dabei ist er im Vergleich zu Netanjahu ein frisches Gesicht für die Bevölkerungen des Westens, die mehr und mehr ihre Frustration auf Netanjahu lenken sollen, statt das zionistische Regime an sich zu kritisieren. Seine eigenen Kriegsverbrechen als Verteidigungsminister und Chef der Armee, beispielsweise während der Operation Protective Edge, bei der mehr als 1400 palästinensische Zivilist:innen von IDF Truppen getötet wurden, spielen dabei keine Rolle.

Benny Gantz erpresst nicht nur die Bevölkerung in Gaza mit seinen Drohungen in Bezug auf Ramadan. Auch diese willkürlichen Beschränkungen auf das Al-Aqsa Gelände sollen während des Fastenmonats systematisch verschärft werden. Damit reagierten er und Premierminister Netanjahu auf eine Forderung des rechtsextremen Sicherheitsministers Itamar Ben-Gvir, palästinensischen Menschen unter 70 Jahren den Zugang zur Moschee zu verwehren. Al-Aqsa ist der drittheiligste Ort im islamischen Glauben und gleichzeitig ein beliebter Treffpunkt für muslimische Menschen aus Jerusalem und ganz Palästina. Üblicherweise kommen auch Menschen aus der Westbank zum Freitagsgebet und dem gemeinsamen Iftar, dem Fastenbrechen, nach Jerusalem. Dafür mussten sie auch schon in den letzten Jahren ein kompliziertes Antragsverfahren mit dem israelischen Besatzungsregime auf sich nehmen. Selbst wenn sie das erfolgreich durchlaufen haben, mussten sie willkürliche Grenzschließungen und stundenlange Durchsuchungen erwarten. Aber seit dem 7. Oktober sind nun die Grenzen zwischen der Westbank und Ostjerusalem im Prinzip geschlossen für die palästinensische Bevölkerung in der Westbank. Viele hofften auf eine Entspannung in Gaza, um Ramadan friedlich zu begehen. Der Plan Israels deutet auf das genaue Gegenteil hin. Er ist auf Eskalation ausgelegt. Gleichzeitig soll dem Westen signalisiert werden, dass dies ein religiöser Konflikt ist und der palästinensische Befreiungskampf im Kern islamistisch ist. Dieses Narrativ trifft vor allem bei Rechtsradikalen, Konservativen aber auch sehr vielen Liberalen im Westen auf offene Ohren. Auf der anderen Seite wird die muslimische Welt diese Eskalationen nicht tatenlos akzeptieren. Hisbollah im Libanon, Ansar Allah im Jemen und andere Widerstandsgruppen werden voraussichtlich ihre Angriffe auf Israel verstärken, um ihrer Basis gerecht zu werden. 

Wie letztes Jahr fällt die Zeit des Ramadans auch dieses Jahr wieder zusammen mit der christlichen Fasten- und Osterzeit. Palästinensische Christ:innen sind genauso betroffen von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit durch den israelischen Staat. Geistliche werden von Siedlern in Jerusalem attackiert und die Polizei sieht zu. Auch hier wird es zu einer Eskalation kommen, da der Umzug am Palmsonntag nach Jerusalem von Bethlehem, Ramallah und anderen christlichen Städten Palästinas auch durch die Besatzung eingeschränkt wird.  

Sollte die Bodenoffensive auf Rafah wirklich zu Beginn des Fastenmonats starten, ist eine 3. Intifada wahrscheinlich. Israel weiß, dass dies eine Provokation ist, aber eine regionale Ausweitung des Krieges könnte die USA zu einer langfristigen militärischen Unterstützung zwingen. Netanjahus Ziel ist es, den Krieg so lange wie möglich auszudehnen, weil seine Umfragewerte im Keller sind und das Ende seiner Amtszeit die Gerichtsprozesse wegen Korruption gegen ihn wieder anlaufen lassen würden. Er ist abhängig von den rechtsextremen Siedlern in seiner Koalition, die Gaza komplett auslöschen wollen, um es de facto zu annektieren und selbst zu besiedeln. Netanjahus Plan für den Tag nach dem Völkermord ähnelt dem Status Quo im besetzten Westjordanland. Statt der palästinensischen Autonomiebehörde sollen allerdings ungewählte Kollaborateure aus der palästinensischen Zivilbevölkerung die eingeschränkte politische Verwaltung übernehmen, während Israel weiterhin die militärische und wirtschaftliche Kontrolle behält. 

Die Pläne der israelischen Regierung müssen skandalisiert werden und als das gesehen werden, was sie sind: Die Annexion des Gazastreifens, um das ganze Gebiet, wie Netanjahus Likud Partei Charter proklamiert: „between the Sea and the Jordan there will only be Israeli sovereignty.“ zu kontrollieren. Stattdessen müssen wir jetzt, mehr denn je, für einen sozialistischen, multiethnischen Arbeiter:innenstaat auf dem ganzen Gebiet kämpfen. Das kann nur durch internationale Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand und der Bekämpfung der zionistischen Idee, der Antithese eines gleichberechtigten Staates, gelingen. Beispiele, wie diese Solidarität aussehen kann, liefern Arbeiter:innen auf der ganzen Welt. Sowohl in Indien als auch in Belgien haben sich Arbeiter:innen geweigert, Waffen nach Israel zu transportieren. Sie zeigen, wie stark die Kraft der Arbeiter:innenklasse ist im Widerstand gegen den Genozid. Für diese Perspektive muss auch in deutschen Gewerkschaften der Kampf aufgenommen werden.

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