H&M: Den Streik von Myanmar nach Deutschland holen!

13.03.2017, Lesezeit 6 Min.
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In Myanmar gibt es Streiks gegen die unerträglichen Arbeitsbedingungen und Niedrigstlöhne eines H&M-Zulieferers. Was können wir hier in Deutschland tun, um den Kolleg*innen zu helfen?

Im Februar kam es zum militanten Arbeitsausstand in einer Fabrik in Myanmar, die zu Hundert Prozent für H&M produziert – den schwedischen Konzern, der in Deutschland viele Läden betreibt. Die Kündigung eines Gewerkschaftsvertreters wegen angeblichem „Fernbleiben vom Arbeitsplatz“ brachte das Fass zum Überlaufen. Zuvor blieb die Fabrik Löhne für Überstunden schuldig, die Behörden taten nichts.

Im Streik wurden Maschinen und Überwachungskameras zerstört, Manager*innen bedroht. Die bestreikte Fabrik in der Industrieregion um Rangun, in der wie überall in der Textilindustrie des Landes vor allem Frauen arbeiten, gehört zur chinesischen Firma Hundred-Text – und China forderte auch sogleich, die für den Streik Verantwortlichen zu bestrafen.

Die Auseinandersetzung geht weit über die eine Fabrik hinaus. Die Gewerkschaften fordern von der Regierung die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns von umgerechnet 2,50 Euro auf 3,68 Euro pro Tag.

Seit Öffnung des Landes zum Westen unter Aung Sang Suu Kyi boomt der Export, basierend auf Billiglöhnen. Suu Kyis Handelsministerium erwartet Exporte in Höhe von 1,7 Milliarden Euro, viel davon geht nach Europa. Damit wird sich der Export im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppeln.

Den Gewinn stecken chinesische und westliche Firmen ein, die Arbeiter*innen vor Ort müssen ihn mit den Herstellungsbedingungen bezahlen: Nicht nur die Löhne sind zu niedrig. Standard sind auch Wochen von bis zu sechs Mal 14 Stunden. In den über 400 Fabriken arbeiten 400.000 Menschen, darunter viele Kinder.

Ihre Löhne sind teilweise nur halb so hoch wie in Vietnam, das bringt den Wettbewerbsvorteil. Und der gesetzliche tägliche Mindestlohn von 2,50 Euro wird teils noch um zehn Cent unterschritten.

H&M ist der Gewalttäter

H&M erklärte, man verurteile „jede Form von Gewalt“. Für die Firma sei es von „größter Wichtigkeit für uns, dass (alle ihre) Produkte unter guten Arbeitsbedingungen hergestellt werden“ außerdem sei Kinderarbeit „absolut inakzeptabel“.

Der Vorwurf der Gewalt an die Streikenden ist eine glatte Verdrehung der Tatsachen. Löhne von 2,50 Euro pro Tag bei 14 Stunden Arbeit, vorenthaltene Löhne, Repression gegen Gewerkschafter*innen, Kinderarbeit – das ist Gewalt. H&M ist der Gewalttäter, mit seinem Lieferant*innen vor Ort als Schergen, die streikenden Arbeiter*innen haben sich nur gegen die tägliche und strukturelle Gewalt gewehrt.

Für die Arbeitsbedingungen ist H&M direkt verantwortlich. Wegen der schlechten Presse nach dem Streik wurde die Arbeit mit der einen betreffenden Fabrik inzwischen eingefroren. Aber weiter wird in Myanmar für H&M produziert, an den Bedingungen hat sich nicht das geringste geändert.

Arbeiter*innen sind weiterhin gezwungen, sich den schlimmsten Bedingungen zu unterwerfen, um ihr Überleben zu sichern. Ihre Kinder bekommen keine Bildung, sie müssen oft selbst in den Fabriken arbeiten. Das alles dient den riesigen Profiten internationaler Konzerne. Weil sie die Profite machen, tragen sie auch die politische Verantwortung für die Lieferant*innen, von deren schlechten Arbeitsbedingungen sie sich die Taschen füllen.

Was können wir in Deutschland tun?

Der Ruf nach Boykott wird in solchen Fällen immer wieder laut: Man solle bei solche Läden nicht kaufen. Aber wo soll man dann noch kaufen? Nicht nur, dass auch adidas, Jack Wolfskin, Tchibo, Aldi und Hofer nach Informationen des österreichischen Fernsehsenders ORF in Myanmar produzieren lassen. Auch die Bedingungen für zahlreiche andere Alltagsgüter wie Elektronik sind ähnlich miserabel.

Das entscheidende ist aber, warum gibt es diese schlechten Arbeitsbedingungen? Doch nicht, weil wir in Deutschland „als Kund*innen“ das wollten. Sondern weil die verantwortlichen Konzerne riesige Gewinne machen mit der Ausbeutung der Arbeitskraft. Sie beuten auch in Deutschland Arbeitskraft aus, natürlich auf anderem Niveau – doch der Einzelhandel steht unter prekärem Druck und die Beschäftigten hier profitieren keineswegs von Billiglohn und Kinderarbeit in Übersee. Erst 2013 versuchte unter anderem H&M aus dem Manteltarifvertrag auszusteigen, ein Streik konnte diesen Angriff zurückschlagen.

Aber ohne Arbeiter*innen läuft weltweit nichts: Der ganze Gewinn von H&M hängt von Arbeit ab. Hier in Deutschland, in Myanmar, überall wo sie herstellen (lassen) und verkaufen. Und hier liegt auch die eigentliche Macht, den Produktionsprozess zu verändern: Solidaritätsstreiks in Deutschland bei allen Läden, die in Myanmar produzieren lassen! Zum Beispiel mit den Forderungen:

– Erhöhung des Mindestlohns in Myanmar, Auszahlung aller Stunden
– Senkung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich
– Abschaffung der Kinderarbeit, stattdessen Bildung und Erziehung für Kinder
– Keine Repression gegen Gewerkschafter*innen! Keine Strafen für Streikende!

In den Streiks könnten Kund*innen in den Einkaufsmeilen über die Bedingungen in Myanmar informiert werden. Gleichzeitig könnte auch für bessere Bedingungen und Löhne in Deutschland gekämpft werden.

Warum sollte aber zum Beispiel die Gewerkschaft ver.di das machen? Nur aus Menschenfreundlichkeit? Keineswegs. Die internationale Solidarität der Arbeiter*innen erfüllt ein materielles Interesse. Sowohl die Textilarbeiterinnen um Rangun als auch Einzelhandelsbeschäftigte verkaufen ihre Arbeitskraft an H&M und Konsorten. Wenn wir ihnen unsere Solidarität zeigen, werden produzierende Arbeiter*innen aus anderen Ländern uns auch unterstützen, zum Beispiel im nächsten Tarifkampf.

Schließlich gibt es auch ein ökonomisches Argument für den Solidaritätsstreik: Billiglöhne in Übersee schaden Arbeiter*innen auf der ganzen Welt. H&M und andere nutzen Länder wie Myanmar, aber auch Bangladesch, Thailand, Vietnam oder Kambodscha als eine „verlängerte Werkbank“ zur Produktion. Die Textilindustrie ist bereits fast vollständig in solchen halbkolonialen Länder ausgelagert, aber damit ist nicht Schluss. Konzerne nutzen die unterschiedlichen Produktionsbedingungen zum weltweiten Lohndruck bishin zur Erpressung, wo anders zu produzieren, wenn Steuern und Löhne in entwickelten Ländern nicht mehr passen. Nur eine Angleichung der Löhne und Bedingungen kann dagegen helfen.

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