Eine Zeit von Krisen, Kriegen und Revolutionen

15.10.2011, Lesezeit 5 Min.
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Die Weltgeschichte beschleunigt sich und die Bourgeoisie hat davon Kenntnis genommen: Im August schrieb die Zeit auf ihrer Titelseite über junge Leute überall auf der Welt, die die Politik herausfordern: „die größte Revolte seit 1968“. Im September schrieb die New York Times, dass es eine wachsende Verachtung für Wahlen gibt und deswegen auch „eine Flut von Protesten rund um den Globus“.

Seit den ersten Tagen der historischen Krise des Kapitalismus, die mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008 offen zu Tage trat, wurde ein massiver Klassenkampf geführt – aber nur von oben. Durch Lohnkürzungen, Entlassungen und Sparpakete ging die Bourgeoisie daran, die ArbeiterInnen für die Krise zahlen zu lassen. Von unten gab es nur vereinzelte Stimmen des Protestes.

Doch diese Ruhe ging im Jahr 2010 zu Ende, als Millionen ArbeiterInnen und Jugendliche in Frankreich gegen die Rentenreform der Regierung demonstrierten, streikten und Raffinieren blockierten. Dieser Kampf endete in einer Niederlage, aber setzte gleichzeitig ein Beispiel, dass die ArbeiterInnen die Lasten der Krise nicht lautlos hinnehmen müssen. Direkt im Anschluss begannen die Massen in der arabischen Welt, sich gegen Diktaturen aufzulehnen, die sie seit Jahrzehnten blutig unterdrückten.

Seitdem überschlagen sich die Ereignisse. Auch in Ländern, wo trotz katastrophaler sozialer Verhältnisse jahrzehntelang relative Ruhe herrschte, wie z.B. im Spanischen Staat und in Chile, sind Massenbewegungen – scheinbar aus dem Nichts – ausgebrochen. Selbst in Israel wird die Bunkermentalität in der Bevölkerung durch die größten Sozialproteste in der Geschichte des Landes durchbrochen. Während wir diese Zeilen schreiben, sorgen DemonstrantInnen in New York City, wo sie die Wall Street besetzen, für weltweite Aufmerksamkeit.

Der „arabische Frühling“ wird zu einem globalen Phänomen. Doch dieser Aufschwung des Klassenkampfes beginnt nach einer fast dreißigjährigen Offensive der Bourgeoisie, die unter Begriffen wie Reaganismus, Thatcherismus oder Neoliberalismus bekannt ist. Diese Erfahrung lastet sehr stark auf dem Bewusstsein der ArbeiterInnen und der Jugend, auf der proletarischen Subjektivität. Nachdem die kapitalistische Marktwirtschaft jahrzehntelang als alternativlos verkauft wurde, werden jetzt Rufe nach – noch sehr diffusen – Alternativen lauter.

Um die zu Ende gehende und die jetzt beginnende Perioden zu verstehen, finden wir die Analogien der „bürgerlichen Restauration“ und des „neuen Völkerfrühlings“ sehr hilfreich. Diese neue Situation ist nicht etwa auf die Verbreitung von Facebook zurückzuführen, wie manche bürgerliche KommentatorInnen meinen, sondern darauf, dass die bürgerliche Offensive an ihre eigenen Grenzen stößt. Damit treten wir wieder in eine Periode von Krisen, Kriegen und Revolutionen ein, die für MarxistInnen immer zentrale Merkmale der imperialistischen Epoche waren.

Diese Proteste werden nicht geradlinig verlaufen. Gerade in der arabischen Welt sehen wir, wie demokratischen Massenbewegungen mittels eines „Übergangs zur Demokratie“ umgeleitet und zerschlagen werden können, um die alten diktatorischen und proimperialistischen Zustände wiederherzustellen. Das ist genau der Prozess, mit dem Erhebungen gegen Diktaturen in Spanien und in Chile vereinnahmt werden konnten. Doch im Gegensatz zu 1978 oder 1990 hat die Bourgeoisie heute deutlich weniger Spielraum und vor allem weniger Ressourcen, um Zugeständnisse an die Massen zu machen.

Damit die Forderungen nach „Demokratie“ oder „echter Demokratie“ durchgesetzt werden können, müssen die ArbeiterInnen und Jugendlichen den bewussten Kampf gegen das kapitalistische System aufnehmen. Denn die bisherigen Proteste werfen Fragen auf, die nur durch das Programm der sozialistischen Weltrevolution beantwortet werden können. Wie soll eine „echte Demokratie“ aussehen, wenn eine winzige Minderheit von KapitalistInnen die Reichtümer der Gesellschaft kontrolliert? Wie können während der Krise Entlassungen verhindert werden, wenn nicht durch die Enteignung der Produktionsmittel und ihre Verwaltung unter der Kontrolle der ProduzentInnen?

In dieser neuen Periode ist die Perspektive, die die Vierte Internationale bei ihrer Gründung im Jahr 1938 aufgestellt hat, wieder sehr aktuell. Damit diese Proteste tatsächlich Erfolg haben, ist es notwendig, in jedem Land große revolutionäre Parteien aufzubauen, als Teil der Vierten Internationale. Auch in Deutschland, das aufgrund einer besonderen Konjunktur bisher von den schlimmsten Folgen der Wirtschaftskrise verschont blieb, ist das unsere Orientierung.

Denn die herrschende Klasse hier bereitet sich auf härtere Kämpfe vor. Nur wenn die ArbeiterInnenklasse und die Jugend die wichtigsten Lehren ihrer eigenen Klassengeschichte – und diese sind im Programm der Vierten Internationale aufgehoben – verinnerlicht, können wir die Angriffe zurückschlagen und eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung aufbauen. Einen bescheidenen Beitrag dazu möchten wir mit dieser Zeitschrift leisten.

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