Die PSG beim Charité-Streik

01.06.2011, Lesezeit 5 Min.
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// Eine Bilanz der Intervention der revolutionären Linken //

Die eher opportunistische Intervention der SAV fand beim Charité-Streik jedoch auch ihren ultralinken Gegenpol. Die – sich ebenfalls als trotzkistisch definierende – Partei für soziale Gleichheit, mit der wir uns an anderer Stelle bereits ausführlicher auseinandergesetzt haben [1], sandte mehrere Male ihre Mitglieder mitsamt Flugblättern aus.

Bei den PSG-Flugblättern fiel vor allem eine mangelnde Sensibilität für die Forderungen der Beschäftigten auf: So hieß es, eine Lohnerhöhung von 300 Euro „wäre (…) allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“ [2] Eine provokante Metapher – doch während ein „Tropfen auf den heißen Stein“ also sofort evapoieren würde, entfalten 300 Euro auf dem monatlichen Gehaltszettel einer/s bisher chronisch unterbezahlten/r Pflegers/in eine merklich bedeutendere Wirkung. Würde sich die PSG auf die trotzkistische Methode der Übergangsforderungen beziehen, so müsste sie eigentlich wissen, dass es gilt, die alltäglichen Forderungen der ArbeiterInnen mit einer systemsprengenden Perspektive zu verbinden – z.B. die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen mit der Forderung nach ArbeiterInnenkontrolle zu verknüpfen –, statt den Alltagsforderungen ultralinke Phrasen entgegenzusetzen.

Die selbe, scheinradikale Selbstentfremdung vom Kampf zeigte die PSG auch in der Frage des Streiks selbst. Während mehrere andere, kommunistische Gruppen in der Tatsache des Streiks eine wertvolle Chance auf Intervention sahen, dominierte bei der PSG – wiedereinmal – ihre Feindschaft zu den Gewerkschaften. So wurde ver.di verurteilt, weil „nur 2.000 der etwa 10.000 nicht-ärztlichen Beschäftigten am Streik beteiligt“ waren. Nun, zum Einen ist die Organisation eines Streiks durchaus eine komplexere Angelegenheit, als die Mobilisierung willkürlicher Mengen von ArbeiterInnen per Knopfdruck. Zum Anderen müssen auch während eines Streiks die Notdienste eines Krankenhauses aufrecht erhalten werden.

Während ver.di pauschal abgelehnt wurde, blieb der „Marburger Bund“ im gleichen Flugblatt verschont. Dieser ist eine „Spartengewerkschaft“, die die bei sich organisierten ÄrztInnen effektiv von den Kämpfen anderer, „niedrigerer“ Beschäftigten trennt. Natürlich trug die Verzichtpolitik des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wesentlich zur Entstehung bzw. Stärkung von Spartengewerkschaften wie der Marburger Bund, Cockpit oder die GDL bei. Eine solche Kritik am Marburger Bund wäre jedoch gerade jetzt angebracht gewesen, da es wohl unbestritten eine der existenziellen Pflichten der kommunistischen Bewegung ist, mit ganzer Kraft für die Einheit der ArbeiterInnenklasse zu kämpfen. Das Ausbleiben der Kritik mag seine Begründung auch in der sozialen Zusammensetzung der PSG finden, die eine größere Nähe zu ÄrztInnen als zu PflegerInnen ermöglicht – daher vielleicht dann auch das Unverständnis für die Bedeutung von 300 Euro Lohnerhöhung.

Seitdem der führende Kader ihrer internationalen Strömung (ICFI) selbst Kapitalist geworden ist, hat die PSG die geduldige Arbeit in den Massengewerkschaften – die historische Politik der Vierten Internationale – zu Gunsten von phrasenhaltigen Aufrufen zum Austritt aus den Gewerkschaften aufgegeben. So erklären die PSG-GenossInnen die Gewerkschaften für tot – wobei sie im Kontext des Charité-Streiks zugeben müssen, dass „zahlreiche Streikende, insbesondere jüngere Arbeiter, nicht in der Gewerkschaft organisiert oder ihr erst vor kurzem beigetreten“ sind [3]. Es sind genau 700 solcher ArbeiterInnen – 700 Gründe zum Überdenken der eigenen Dogmen.

Solche ultralinken Fehler sind in der Geschichte der kommunistischen Bewegung weder neu, noch folgenlos. So verpassten in der Weimarer Republik die frühe KPD oder auch die KAPD so manche, politisch entscheidende Chance. Durch ihre radikale Feindschaft gegenüber den damaligen Gewerkschaften entfernten sie sich nicht nur (zum Vorteil der Reaktion) von den Millionen gewerkschaftlich organisierter ArbeiterInnen, sondern auch von den Grundzügen marxistischer Politik. Schließlich gelangten sie über ihre anti-Gewerkschaftshaltung zu der Ansicht, dass es von Vorteil sei, wenn die von der Gewerkschaft geführten Arbeitskämpfe scheitern würden.

Schließlich schlägt sich diese Haltung der PSG auch in der Hilflosigkeit nieder, sich mit der widersprüchlichen Politik der SAV ernstlich auseinanderzusetzen. Während wir bei der SAV eine zentristische – also eine zwischen reformistisch und revolutionär schwankende – Politik sehen, sieht die PSG in der SAV eine Verschwörung der Bourgeoisie, um die ArbeiterInnenklasse zu verwirren. Das entspricht leider den charakteristischsten Traditionen ihrer Strömung, die so manchen politischen „Feind“ (ob selbst trotzkistisch oder nicht) als einen Geheimdienstkomplott „entlarvte“ – während sie selbst Geld von den Geheimdiensten nationalistischer Regime der arabischen Welt kassierten (so z.B. von dem von Gaddafi).

Die Intervention der PSG-Mitglieder beim Charité-Streik blieb also – leider – von absehbarem Misserfolg gezeichnet. So konnten sie die von ihnen selbst aufgeworfene Frage – “Wie kann der Kampf an der Charité erfolgreich geführt werden?” – nicht ansatzweise beantworten, wie von mehreren KollegInnen angemerkt wurde. Einziges Ergebnis ihrer Agitation ist damit wohl ein weiteres negativ-Beispiel für ultralinke Politik, dass entscheidende Lehren der kommunistischen Bewegung aktualisiert und hoffentlich – wenigstens einige – PSG-Mitglieder zur längst überfälligen Reflexion der eigenen Politik anregt.

Fußnoten

[1] Siehe zum Beispiel: Markus Oliver: Offener Brief an die ISSE; oder: Wladek Flakin: Links von der Linkspartei

[2] PSG: Flugblatt vom 3. Mai 2011.

[3] PSG: Streikende der Charité demonstrieren in Berlin. Eigene Hervorhebung.

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