Die organische Krise im Jahr 2024: Die US-Wahl ist ein Kampf um die Herzen und Köpfe der Arbeiter:innen

26.02.2024, Lesezeit 20 Min.
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Trump-Rally in Pennsylvania, Foto: Matt Smith Photographer/shutterstock.com

Der Kampf zwischen Trump und Biden ist geprägt von einer Krise des politischen Systems, die das Eingreifen sowohl der Justiz als auch der Gewerkschaftsbürokratie erfordert. Wie üblich ergreifen die Demokraten die Keule der demokratischen Rechte, um unzufriedene Wähler:innen zu mobilisieren.

Die Wahl 2024 entwickelt sich zu einer Neuauflage der Wahl von 2020, bei der zwei äußerst unpopuläre Kandidaten um das Präsidentschaftsamt wetteifern. Auf der einen Seite schaltet Donald Trump seine republikanischen Herausforder:innen mit Leichtigkeit aus, sodass nur noch Nikki Haley übrig ist. Trumps Basis – die so genannte MAGA-Bewegung – hat die Republikanische Partei übernommen und scheint unschlagbar zu sein, selbst wenn Trumps juristische Schwierigkeiten seine Kandidatur in Frage stellen. Auf der anderen Seite ist Präsident Joe Biden angeschlagen und sieht sich nicht nur mit weit verbreiteten Bedenken hinsichtlich seiner geistigen Fähigkeiten konfrontiert, sondern auch mit einer Palästina-solidarischen Bewegung, die ihn „Genocide Joe“ getauft hat. Anders als im Jahr 2020 ist die Möglichkeit für Biden, die sozialen Bewegungen an die Urnen zu treiben, viel geringer, und durch seinen Status als amtierender Präsident und nicht als Herausforderer befindet er sich in einer viel prekäreren Lage.

Hinter dieser Wahl verbirgt sich eine Krise des politischen Systems in den USA – ein Beispiel für das, was der italienische Marxist Antonio Gramsci als „organische Krise“ bezeichnete, eine Krise, in der sich die Wähler:innen nicht mehr von ihren Vertreter:innen repräsentiert sehen. Organische Krisen schwächen Regime und führen dazu, dass sich traditionelle politische Parteien mit neuen politischen Phänomenen auseinandersetzen müssen, da die Massen das Vertrauen in ihre traditionellen politischen Parteien und die Institutionen des Regimes verlieren. Die heutige organische Krise in den USA erreichte ihren Höhepunkt am 6. Januar 2021 – nach einem Jahr verschärfter Krise, die durch COVID und die Aufstände der Black-Lives-Matter-Bewegung eskalierte – und ging dann zurück, als Biden die Krise für die ersten Jahre seiner Amtszeit in die Latenz zurückdrängte. Biden war jedoch nicht in der Lage, die Krise zu lösen, und wie wir Anfang 2023 definiert haben, ist die Krise wieder aufgetaucht und spielt zunehmend eine Schlüsselrolle in der nationalen Politik. Trumps Wiederauftauchen ist ein Zeichen dafür.

In dieser Krise zwischen „den Vertretenen und den Repräsentant:innen“, in der wichtige Institutionen des Regimes von zunehmendem Misstrauen und Legitimationsverlust betroffen sind, spielen die Justiz und die Gewerkschaftsbürokratie eine überragende Rolle. Es ist seit einiger Zeit klar, dass die Justiz mobilisiert, um Trumps Kandidatur zu stoppen – oder zumindest zu behindern. Dies würde das Regime im Falle einer erneuten Machtübernahme Trumps, insbesondere nach dem 6. Januar, stark destabilisieren. Die verschiedenen Gerichtsverfahren und Anklagen gegen Trump spiegeln nicht nur seine Kriminalität wider – die kaum jemanden, die:der Trumps Karriere verfolgt hat, bestreiten kann, sondern stellen auch einen Versuch dar, die Massen gegen Trump aufzubringen. Kühnere Versuche, Trump von den Wahlzetteln zu verbannen – wie die in Colorado und Maine – scheinen über das hinausgegangen zu sein, was die politische Lage zulässt, und es scheint immer wahrscheinlicher, dass der Oberste Gerichtshof diese Wahlverbote nicht aufrechterhalten wird. In diesem Sinne sind die organische Krise und der Verlust der institutionellen Legitimität – einschließlich der des Obersten Gerichtshofs, der nach der Dobbs-Entscheidung, mit der das Recht auf Abtreibung gekippt wurde, einen schweren Schlag erlitten hat – sowohl treibende als auch vermittelnde Faktoren für den Angriff auf die Rechtsprechung. Anders ausgedrückt: Die organische Krise ist der Grund dafür, dass wir eine zunehmend „bonapartistische“ Justiz erleben, die auf eigene Faust, ohne Rückendeckung des Kongresses oder der Massen, explizit politisch agiert. Doch die Krise setzt auch Grenzen dafür, wie weit die Justiz in die Politik vordringen kann. Stelle man sich zum Beispiel vor, der Oberste Gerichtshof würde das Verbot von Colorado gegen Trump bestätigen. Das würde sicherlich eine heftige Reaktion von Trumps Basis hervorrufen und dem Ansehen der Justiz noch mehr schaden, als es ohnehin schon der Fall ist – denn das Gericht hätte den Spitzenkandidaten einfach vom Wahlzettel gestrichen, ohne dass die Massen einen demokratischen Beitrag geleistet hätten.

Die Justiz hat also ihre Grenzen, und doch spielt sie in der nationalen Situation eine überragende Rolle. Dies ist nicht auf den Vorstoß gegen Trump beschränkt. Es zeigt sich auch in den zunehmend politisierten Urteilen des Obersten Gerichtshofs. Die Abschaffung des Rechts auf Abtreibung war ein bedeutender Angriff auf die demokratischen Rechte und stellte eine Umkehrung der Rolle des Gerichts während des größten Teils der neoliberalen Periode dar, in der es den sozialen Bewegungen demokratische Rechte zugestand, um zu zeigen, dass Aufstände gegen den Staat unnötig sind, weil der Staat die Unterdrückten unterstütze. Die Dobbs-Entscheidung änderte dies jedoch, indem sie die politisierte Rolle der Justiz und ihre Notwendigkeit, „bonapartistisch„, also allein und ohne die Unterstützung der Wähler:innen, zu handeln, deutlich machte. Mit der Verschärfung der organischen Krise wird sich diese politisierte und bonapartistische Rolle wahrscheinlich nur noch weiter verstärken.

Die Gewerkschaftsbürokratie: Bidens wichtigste Verbündete

Ein weiterer wichtiger Faktor in diesem Wahljahr wird die Gewerkschaftsbürokratie sein. Wie wir bereits geschrieben haben, waren die letzten Jahre von einem Wiederaufleben einer zunehmend politisierten Arbeiter:innenbewegung geprägt. Die Gewerkschaften mischen sich nun, wenn auch uneinheitlich, verstärkt in politische Debatten ein und kämpfen nicht mehr nur für „Brot und Butter“-Forderungen wie höhere Löhne. Aufbauend auf den Lehrer:innenstreiks der frühen Trump-Ära und den Erfahrungen, die die Massen mit der Black-Lives-Matter-Bewegung gemacht haben, sehen sich die einfachen Gewerkschaftsmitglieder zunehmend organisch mit einer Vielzahl politischer Themen verbunden. So etwa die Verteidigung demokratischer Rechte und der Kampf gegen Unterdrückung, von denen die traditionellen Gewerkschaftsführungen versucht haben, sie abzukoppeln. Diese neue Energie in der Gewerkschaftsbewegung hat die Arbeiter:innenklasse wieder in den Mittelpunkt der Politik gerückt – am deutlichsten zu sehen während des Streiks der Automobilgewerkschaft United Autoworkers (UAW), bei dem sowohl Biden als auch Trump ausdrücklich an die Streikenden appellierten. Dies hat sich auch auf die traditionellen Gewerkschaftsführungen ausgewirkt. Im Falle der Gewerkschaft der Lastwagenfahrer:innen und der UAW ist die Führung an Strömungen gefallen, die die Gewerkschaften reformieren wollen. Insgesamt sind sie gezwungen, mehr auf die Basis zu reagieren, die sich zu politischen Themen organisiert.

Die Bewegung für Palästina ist ein gutes Beispiel dafür. Der massenhafte Widerstand gegen Israels Genozid in Gaza hat selbst zutiefst zionistische Gewerkschaftsführungen wie die der Lehrer:innengewerkschaft AFT und der AFL-CIO gezwungen, sich für einen Waffenstillstand auszusprechen. Dies zeigt, dass die Gewerkschaftsbürokratien nicht länger als „Polizei innerhalb der Arbeiter:innenklasse“ agieren können, indem sie die Forderungen ihrer Mitglieder ignorieren und alles tun, um sie bei der Stange zu halten, ohne Zugeständnisse zu machen. Um ihre Legitimität aufrechtzuerhalten, müssen die Gewerkschaftsführungen jetzt ihre Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Palästinafrage politisieren. Die Politisierung und der wachsende Kampfgeist der Gewerkschaften – ein großer Sieg für das Phänomen der „Gen U“ [die Generation von jungen Erwachsenen, die sich den Gewerkschaften zuwendet, A.d.Ü.], das sich am deutlichsten in jungen Gewerkschaften wie Starbucks Workers United zeigt – hat die Arbeiter:innenklasse in eine stärkere Position gebracht. Selbst die bürgerlichen Medien, die normalerweise nur über „die Mittelschicht“ sprechen, müssen jetzt über die Arbeiter:innenklasse sprechen. Dies ist ein direktes Ergebnis der Militanz durch eine neue Generation, die durch BLM geprägt wurde, eine Generation, die die Arbeiter:innenklasse wiederbelebt hat, die dazu beigetragen hat, eine soziale Bewegung für Palästina anzuführen, und die Gewerkschaftsbürokrat:innen gezwungen hat, die Bewegung zu unterstützen, wenn auch widerwillig. Dieser Aufschwung des Klassenkampfes hat die politische Situation neu gestaltet und die Demokratische Partei in eine Krise gestürzt, die sie nun durch ihre üblichen Taktiken der Kooptation eindämmen muss.

Dieses Phänomen ergänzt das, was Politikwissenschaftler:innen als „Dealignment“ bezeichnen – eine Situation, in der sich die Arbeiter:innenklasse nicht mehr stark mit der Demokratischen Partei identifiziert. Wie wir bereits geschrieben haben, führt dies zu einem Kampf um das Herz und die Seele der Arbeiter:innenklasse, und die Wahlen sind das Schlachtfeld. Sowohl Trump als auch Biden kämpfen ausdrücklich darum, sich als Fürsprecher der Arbeiter:innenklasse darzustellen, und bemühen sich in unterschiedlichem Maße um die Unterstützung der Gewerkschaften.

In diesem Zusammenhang werden die Gewerkschaftsbürokratien wahrscheinlich eine überragende Rolle dabei spielen, die Arbeiter:innenschaft zurück zur Demokratischen Partei zu treiben. Sie sind zwar nicht in der Lage, als Polizei der Arbeiterklasse zu führen, bemühen sich aber, stattdessen mit ihrer Ideologie zu führen. Die UAW ist ein gutes Beispiel dafür. Die UAW-Führung – allen voran ihr Platzhirsch Shawn Fain – füllen ihre Reden mit inspirierender und fortschrittlicher Rhetorik, posten in den sozialen Medien über den Zusammenhang zwischen dem Kampf für die Rechte der Schwarzen und der UAW heute und starten kühne Organisierungsinitiativen, die darauf abzielen, Unorganisierten zu gewinnen. All dies legitimiert die UAW-Führung bei den einfachen Arbeiter:innen, die sich dann wieder Biden zuwenden, wie die jüngste Unterstützung der UAW für ihn zeigt.

Die Waffenstillstandserklärung des AFL-CIO ist ein weiteres Beispiel für dieses Phänomen. Obwohl sie zu einem Waffenstillstand aufrief, las sich die Erklärung wie die Reden der Regierung Biden. Sie betonte die Notwendigkeit einer Zwei-Staaten-Lösung, prangerte die Gewalt „auf beiden Seiten“ an und forderte eine Beendigung der Kämpfe auf dem Verhandlungswege. All dies ist fester Bestandteil der Gaza-Politik der Biden-Regierung. Die Erklärung ist also ein klarer Versuch, das Ausbluten der Unterstützung zu stoppen, das durch „Genocide Joe“ Bidens Unterstützung für Israels Krieg gegen Gaza verursacht wurde. Damit wird der übliche Vorwahlkampf der Gewerkschaftsbürokratien eingeleitet, um ihre Mitglieder zur Unterstützung der Demokratischen Partei zu mobilisieren. Die Situation ist jedoch alles andere als normal, und deshalb müssen die Gewerkschaftsführungen einen neuen Ansatz wählen und versuchen, ihre Mitglieder zu überzeugen, anstatt sie nur zu lenken.

Außenpolitik und Einwanderung: Die zwei Achsen des Wahlkampfes

Bei dieser Wahl geht es nicht nur darum, die Arbeiter:innenklasse zu gewinnen, sondern auch die die Außenpolitik zu gestalten. Biden ist zum Aushängeschild für Israels Krieg gegen Gazas und den Krieg in der Ukraine geworden – zwei recht unpopuläre Konflikte. Außerdem gibt es unter den US-Kapitalist:innen eine Debatte darüber, wie man am besten mit China konkurrieren und damit den Niedergang der US-Hegemonie umkehren kann. Trump hat in der Außenpolitik stets einen anderen Ansatz als das Establishment vertreten – er bevorzugt eine unilaterale Politik mit protektionistischen Maßnahmen und lehnt sogar die NATO ab – und versucht so die Frustration der Massen über die ständigen ausländischen Interventionen anzuzapfen. Trump und ein Teil der rechten Republikaner:innen vertreten die Auffassung, dass der „wahre“ Krieg im eigenen Land an der Südgrenze stattfindet und dass die USA nicht in Konflikte im Ausland eingreifen sollten. Aber diese „anti-interventionistische“ Maske kann nicht über Trumps politische Bilanz als Präsident hinwegtäuschen, die zeigt, dass er durchaus bereit war, militärisch zu intervenieren.

Der eigentliche Unterschied zwischen Trump und Biden in der Außenpolitik liegt in der Frage, wie unilateral man vorgehen sollte. Biden setzt auf internationale Bündnisse, um die Hegemonie der USA im Ausland zu stärken und besser mit China konkurrieren zu können, während Trump eher unilaterale Maßnahmen bevorzugt, die auch die Aufgabe traditioneller Bündnisse beinhalten könnten – wie seine jüngsten Äußerungen zur NATO zeigen. Trumps Anhänger:innen fühlen sich von seiner Außenpolitik angezogen, weil sie den Anschein erweckt, anti-interventionistisch zu sein, und die „America First“-Rhetorik gewinnt unter denjenigen an Boden, deren Lebensbedingungen sich im Laufe der neoliberalen Periode verschlechtert haben und die sich fragen, warum immer Geld für Konflikte im Ausland vorhanden ist.

Einwanderung und „Grenzsicherheit“ rücken im Vorfeld der Wahl in den Vordergrund. Trump und die Republikaner bemühen sich, die Situation an der Grenze als eine „Invasion“ darzustellen, die Biden und die Demokraten nicht zu stoppen vermögen. In Wirklichkeit hat die Biden-Regierung größtenteils eine völlige Kontinuität mit Trumps Einwanderungspolitik bewiesen, die den Republikanern die Grundlage für einen immer weiter nach rechts gehenden Kurs in der Einwanderungsfrage geebnet hat. Als Reaktion auf diese politischen Angriffe versuchen die Demokraten, in der Einwanderungsfrage von einem bereits sehr rechten Standpunkt aus nach rechts zu rücken, wie der jüngste Vorschlag für ein Grenzabkommen im Kongress zeigt. Biden selbst hat gesagt, er sei bereit, „die Grenze sofort zu schließen„, ein weiteres Zeichen für den Rechtsruck der Demokratischen Partei in dieser Frage.

Ein dramatisches Beispiel für eine organische Krise ist die Pattsituation in Texas, wo sich alle Gouverneure der Regierungsparteien bis auf einen auf die Seite von Gouverneur Greg Abbott geschlagen haben, um sich den Versuchen der Bundesregierung zu widersetzen, den Stacheldraht an der Grenze abzubauen. Trump und die extreme Rechte nutzen diesen Konflikt, um ihre politische Position zu stärken. Je näher die Wahl rückt, desto wahrscheinlicher scheint es, dass die Einwanderung – neben der Außenpolitik und der Arbeiter:innenklasse – eine der Achsen der Wahl sein wird, da die Biden-Kampagne nach rechts läuft, um mit Trumps explizit einwanderungsfeindlichem Nationalismus zu konkurrieren. Der jüngste Sieg des Demokraten Tom Suozzi im Rennen um die Nachfolge von George Santos im Repräsentantenhaus ist ein mögliches Modell dafür, wie Demokrat:innen eine rechte Einwanderungskampagne führen und die Republikaner mit ihren eigenen Waffen schlagen können. Für die politische Gesamtsituation bedeutet dies, dass sich die Einwanderungspolitik zunehmend und schnell nach rechts verlagert, da beide Parteien darum wetteifern, in der Einwanderungsfrage „hart“ zu sein.

Die Verteidigung der demokratischen Rechte vorspielen und sich auf die Progressiven verlassen: Die Hoffnung der Demokraten auf einen Sieg

Wenn Trump die Debatte über Einwanderung und Außenpolitik führen will, hoffen Biden und die Demokraten, die Diskussion wieder auf ein für sie günstigeres Terrain zu verlagern: den Schutz der demokratischen Rechte, insbesondere des Rechts auf Abtreibung. Das Thema Abtreibungsrechte hat den Demokraten geholfen, die „rote Welle“ (rot ist die Farbe der Republikaner, A.d.Ü.) von 2022 zurückzudrängen und bei einigen schwierigen Wahlen im Jahr 2023 zu triumphieren. Die Demokraten hoffen, dass sie das gleiche Konzept erneut anwenden können, wie die kürzlich angekündigte „Abtreibungsrechtstour“ zeigt. In ihren Reden werden die Demokraten kühn die demokratischen Rechte verteidigen – sowohl im konkreten Fall der Abtreibung als auch im weiteren Sinne der „Verteidigung der Demokratie“, von der das Biden-Lager so oft spricht. Sie hoffen, dass dies dazu beitragen wird, Wähler:innen zu mobilisieren, die ansonsten der Wahl fernbleiben könnten, weil sie unter anderem beide Kandidaten nicht mögen oder Bidens Israel-Politik ablehnen.

Von 2016 bis 2021 analysierte Left Voice den „Bürgerkrieg“ innerhalb der Demokratischen Partei zwischen dem Partei-Establishment und einem immer stärker werdenden progressiven Flügel. In unserer Analyse, in der sich Left Voice mit diesem Flügel und seinen vier berühmtesten Vertreterinnen, die als „The Squad“ bekannt sind, auseinandergesetzt hat, haben wir uns bemüht, darauf hinzuweisen, dass die Opposition der „Demokratischen Sozialist:innen“ angesichts ihrer Position innerhalb der Demokratischen Partei, die über weitaus mehr Ressourcen und strategische Reserven verfügt, um sie in ihren Mainstream zu kooptieren, immer zum Scheitern verurteilt war. Das beweist schon ein flüchtiger Blick auf die aktuelle politische Lage. Nach der Niederlage von Bernie Sanders bei den Vorwahlen der Demokraten im Jahr 2020 stellten sich die Progressiven hinter Biden, und sie haben diese Linie während seiner gesamten Amtszeit im Weißen Haus beibehalten. Selbst jetzt, da eine neue Bewegung ihn des Völkermords beschuldigt, gehen Politiker:innen wie Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) in die Nachrichten, um Bidens Kandidatur zu verteidigen – AOC nannte ihn kürzlich „einen der erfolgreichsten Präsidenten der modernen Geschichte“. In einem kürzlich erschienenen Artikel für die New York Times schreibt Ezra Klein, dass „die Realität in den letzten Jahren darin bestand, dass die Demokraten sich angleichen und die Republikaner auseinanderfallen. Das Establishment der Demokratischen Partei hat sich gehalten, während das Establishment der Republikanischen Partei eingeknickt ist“. Das Establishment der Demokratischen Partei – das nach der Niederlage Clintons und dem Aufstieg der Squad schwach aussah – hat seine Abweichler:innen in den Mainstream integriert und benutzt diese sogenannten Sozialist:innen als Spielfiguren, um sich mit der Avantgarde der Bewegung zu verbinden und sie zurück in die Demokratische Partei zu treiben.

Der Wert der Progressiven für das Establishment der Demokratischen Partei wird in Michigan deutlich, einem Schlüsselstaat für Biden. Die Wähler:innen des Staates, von denen viele arabischer Abstammung sind, lehnen Bidens Unterstützung für den Völkermord im Gazastreifen ab. Als Reaktion darauf wurde von Our Revolution und den Democratic Socialists of America (DSA) eine Kampagne mit dem Titel „Vote Uncommitted“ gestartet, die von Rashida Tlaib, einer Schlüsselfigur des Squad und einer der wenigen prominenten Demokrat:innen, die sich nachdrücklich für einen Waffenstillstand eingesetzt haben, lautstark unterstützt wird. Die Kampagne macht sich die Wut der Wähler:innen zunutze, richtet sie aber auf die Demokratische Partei zurück und fordert die Wähler:innen auf, bei den Vorwahlen der Demokraten in diesem Bundesstaat ihre Stimme abzugeben, Biden aber nicht zu unterstützen. Damit soll Druck auf Biden ausgeübt werden, seine Haltung zu Gaza zu ändern. In Wirklichkeit aber wird die Palästina-Bewegung als Druckkampagne auf Biden dargestellt. Sie treibt desillusionierte Wähler:innen zurück in die Vorwahlen der Demokraten und eröffnet Biden den Raum, seine Position zu Gaza leicht zu ändern und gleichzeitig zu behaupten, dass er den Wähler:innen zuhört. Dies steht im Einklang mit der Politik des linken Flügels der Demokratischen Partei, der versucht, Massenbewegungen als Druckkampagnen zu nutzen, um Politiker:innen zu anderen Positionen zu zwingen, ohne die Beziehung zur Demokratischen Partei in Frage zu stellen. Während die Kampagne „Vote Uncommitted“ ein Zeichen für den Widerstand der Bevölkerung gegen Biden ist, wird sie genutzt, um die Bewegung für Palästina zu vereinnahmen.

Die Verteidigung der demokratischen Rechte durch die Demokratische Partei ist ein Schauspiel, ein politisches Manöver, um Unterstützung zu gewinnen. In Wirklichkeit haben die Demokraten viele Angriffe auf demokratische Grundrechte übersehen. Sie haben Pro-Palästina-Proteste angeprangert und damit den Weg für weitere Angriffe auf die Bewegung geebnet. Während Bidens Amtszeit im Weißen Haus wurden nicht nur die Abtreibungsrechte zurückgedrängt, sondern auch eine heftige Anti-Trans-Kampagne gestartet, und die Regierung Biden und die Demokraten haben nichts unternommen, um beides zu verhindern. Vielmehr hoffen sie, dass ihre leeren Worte die Massen inspirieren werden. Aber das ist das gleiche Hamsterrad, in dem uns die Demokratische Partei seit Jahrzehnten hält. Dass demokratische Rechte auf dem Prüfstand stehen, ist ein Segen für die Demokraten, weil es ihre Kampagnen gegen das kleinere Übel effektiver macht. Ihre Sorge um die Demokratie und unsere Rechte sind nur ein Vorwand, um uns dazu zu bringen, mehr vom Gleichen zu akzeptieren, in der Hoffnung, die Rechten zu besiegen.

Wir können die Rechten nicht besiegen, indem wir an einer Wahl teilnehmen – man sehe nur, wie Bidens Sieg den Trumpismus nicht besiegt hat. Vielmehr müssen wir die Rechten besiegen, indem wir uns in unseren Gewerkschaften, an unseren Arbeitsplätzen und auf der Straße organisieren, um eine kämpferische Bewegung aufzubauen. Nur so können wir den Aufstieg der Rechten stoppen und unsere demokratischen Rechte verteidigen. Ganz allgemein müssen wir den Kreislauf des geringeren Übels durchbrechen. Wir müssen eine Partei aufbauen, die wirklich die kämpferische Arbeiter:innenbewegung vertritt, die die Bewegung für Palästina und die die Millionen vertritt, die aufwachen und erkennen, dass das kapitalistische System uns nichts zu bieten hat. Wir werden diese Partei nicht aufbauen, indem wir an die Demokraten gebunden bleiben, und wir können es nicht tun, ohne uns mit den Bürokratien der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen anzulegen, die wichtige Verbündete der Demokratischen Partei sind. Vielmehr werden wir diese Partei aufbauen, indem wir uns auf uns selbst verlassen und uns organisieren, um der Rechten entgegenzutreten, unsere demokratischen Rechte zu verteidigen und eine eigene Institution aufzubauen, die all unsere Kämpfe vereinen kann.

Dieser Artikel erschien zunächst auf Left Voice.

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