Die imperialistische Heuchelei angesichts der „Flüchtlingskrise“

03.09.2015, Lesezeit 6 Min.
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// REFUGEES: Unter dem Deckmantel „universeller BürgerInnenrechte“ und der Verteidigung der „europäischen Werte“ diskutieren die imperialistischen Regierungen Europas, wie sie auf „Flüchtlingskrise“ reagieren und die reaktionären nationalen Grenzen verteidigen können. //

Jeden Tag sterben auf dem See- und Landweg hunderte Geflüchtete in einer nie dagewesenen „Flüchtlingskrise“. Bilder wie die der 71 toten Geflüchteten, die in einem LKW im Osten Österreichs gefunden wurden, sind zur schrecklichen Normalität geworden.

Nach diesem Drama begann die österreichische Regierung einen Großeinsatz auf der Autobahn, die das Alpenland mit Ungarn verbindet, was zu kilometerlangen Staus auf der Strecke zwischen Wien und Budapest führte. Währenddessen erreichten hunderte Geflüchtete Bahnhöfe in Österreich und Deutschland, nachdem die ungarischen Behörden sie nicht mehr davon abhielten, Züge zu besteigen.

Die von den imperialistischen Regierungen in Europa veröffentlichten Statements sind an Zynismus und Heuchelei nicht zu übertreffen. Angela Merkel (CDU) sagte: „Versagt Europa in der Flüchtlingsfrage, geht diese enge Bindung mit den universellen Bürgerrechten kaputt“.

Auf ihrer alljährlichen Sommerpressekonferenz kündigte sie einen gemeinsamen Plan von Deutschland und Frankreich an, nach dem die Geflüchteten zwischen den EU-Ländern aufgeteilt werden sollten. Merkel bezeichnete diesen Plan, der im Laufe der nächsten Tage vorgestellt wird, als eine „faire Leistungsverteilung“ mit Hinblick auf die Bevölkerungszahl und die wirtschaftliche Stärke.

Tatsächlich ist diese „Aufteilung“ nur ein Element der reaktionären europäischen Geflüchtetenpolitik mit ihrem harten Durchgreifen gegen „illegale Migranten“ durch die repressiven Einwanderungsgesetzgebungen. Sie wird nur dazu beitragen, dass die Fremdenfeindlichkeit verstärkt wird, die die Menschen auf der Flucht vor Hunger und Elend bedroht.

Im gleichen Atemzug verkündete Merkel, dass der Staat „keine Toleranz“ gegenüber der rechten Gewalt zeigen darf. Nichtsdestotrotz hören die brutalen fremdenfeindlichen und rassistischen Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte in ganz Deutschland nicht auf und werden nicht ausreichend von Justiz und Polizei verfolgt.

Am vergangenen Samstag organisierte das Bündnis „Dresden Nazifrei“ eine Demonstration mit bis zu 10.000 TeilnehmerInnen in Solidarität mit den Geflüchteten und gegen die aktuelle Asylpolitik in Deutschland. Sie verurteilte die politischen Verantwortlichen, die ermöglichten, dass hunderte Neonazis die Unterbringung von 600 Geflüchteten in einem ehemaligen Baumarkt im sächsischen Heidenau zu verhindern versuchten. Auch in Wien versammelten sich am Montag 20.000 Menschen mit ähnlichen Zielen.

Die „Verteidigung der Bürgerrechte“ des französisch-deutschen Plans beinhaltet auch eine Neudefinition der „sicheren Herkunftsstaaten“ und diplomatische Anstrengungen, um „Nationen zu stabilisieren“ und „Konflikte wie in Syrien zu beenden“. Die Scheinheiligkeit dieser Aussagen kennt keine Grenzen. In Wirklichkeit kommen 20 Prozent der Geflüchteten in Europa aus Syrien, weil die Interventionen der USA und ihrer europäischen Verbündeten den Nahen Osten in ein Krisengebiet verwandelten, in dem BürgerInnenkriege stattfinden und der Islamische Staat aufsteigen konnte.

Doch während die meisten AsylbewerberInnen aus dieser Region in Deutschland aufgenommen werden, ist dies für Balkanländer wie Serbien und Montenegro nicht der Fall. Doch genau diese Region wurde in den 90er Jahren Opfer der NATO-Bombardements, an denen sich die Bundesrepublik erstmals seit 1945 beteiligte.

Merkel kündigte zudem ein Gesetzes- und Finanzpaket in Milliardenhöhe zur Bewältigung dieser „nationalen Aufgabe“ an, die eine Asylgesetzreform beinhaltet, um den Abschiebeprozess „effizienter“ zu gestalten. Zusätzlich beinhaltet das Gesetzespaket, das am 24. September auf einem Bund-Länder-Gipfel beschlossen werden soll, Gelder, um die zugelassenen AsylbewerberInnen durch Deutschkurse, Arbeitsperspektiven und Wohnungen „zu integrieren“.

Nichtsdestotrotz nehmen die Grenzkontrollen zu und die „Schaffung neuer Erstunterkünfte“ bedeutet in der Praxis die Eröffnung von Lagern in Grenznähe, um Geflüchtete aus dem Südosten Europas schneller abschieben zu können.

Der französische Außenminister Laurent Fabius kritisierte am vergangenen Sonntag scharf die ungarische Regierung und bezeichnete den Bau des Stacheldrahtes zwischen der ungarisch-serbischen Grenze als Respektlosigkeit gegenüber den „gemeinsamen europäischen Werte“. Doch die Situation, der die Geflüchteten in Ungarn ausgesetzt sind, unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der in den Geflüchtetenlagern in Paris, in denen zwischen 3.500 und 4.000 SudanesInnen, EritreerInnen, SyrerInnen und AfghanInnen leben müssen. Und die „europäischen Werte“ des französischen Ministers drückten sich in der Räumung 400 Geflüchteter durch die Pariser Polizei aus diesem Lager im Juni diesen Jahres aus.

Bei all dieser Scheinheiligkeit fehlte auch die spanische Regierung nicht. Diesen Montag empfing Merkel den spanischen Premierminister Mariano Rajoy in Schloss Meseberg, um bei einem informellem Gipfel über die „Flüchtlingskrise“ zu sprechen. Am Sonntag hatte Rajoy seinen Vorschlag angekündigt, den europäischen Plan der Zusammenarbeit mit Afrika zu beschleunigen. Die einzige Lösung sei „Zusammenarbeit und die Kooperation mit den Herkunftsländern“, fügte der konservative Präsident hinzu.

Doch diese „solidarischen Worte“ können den Rassismus der Regierung gegenüber den Geflüchteten nicht verbergen. Erst vor etwas mehr als einem Monat fiel der Innenminister Jorge Fernández Díaz durch seine rassistischen Aussagen in einer Debatte der Europäischen Kommission zur „Verteilung“ der Geflüchteten auf.

„In den letzten fünf Jahren hat Spanien verhindert, dass mehr als 100.000 irreguläre Immigranten nach Europa kommen“, sagte der Minister, während er auf die Arbeitslosenzahlen der legal in Spanien lebenden EinwandererInnen hinwies. Daraufhin verglich er den schon an sich reaktionären „Aufteilungsplan“ der Europäischen Kommission mit der Herangehensweise, in einem „Haus mit vielen undichten Stellen das Wasser auf die verschiedenen Zimmer zu verteilen“, anstatt diese „undichten Stellen“ zu „verschließen“. Ähnliche Worte hatte der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarcozy wenige Wochen zuvor in Bezug auf die Aufteilung der in Italien und Griechenland ankommenden Geflüchteten gewählt.

Laut Schätzungen der Internationale Organisation für Migration könnten alleine 2015 bis zu 30.000 Menschen das Leben bei dem Versuch verlieren, nach Europa zu gelangen. Die „europäischen Werte“ des imperialistischen Europa des Kapitals sind verantwortlich für diesen stillen Genozid – durch die reaktionäre europäische Einwanderungspolitik mit ihrer rassistischen Asylgesetzgebung, den repressiven „Rettungseinsätzen“ an den Grenzen, den Militärinterventionen und imperialistischen Aggressionen.

zuerst am 1. September auf La Izquierda Diario erschienen

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