Deutsche Waffen, deutsches Geld – Erneuter Angriff der Türkei auf Rojava

11.01.2024, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Olmo Couto / Shutterstock.com

Während sich die Aufmerksamkeit der ganzen Welt zurzeit auf den Nahostkonflikt und den Angriff Israels auf Gaza richtet, nutzen Erdoğan und das türkische Militär die Ablenkung, um Ziele in Rojava bzw. der autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien/Rojava anzugreifen. Bei Angriffen auf Städte in kurdischen Gebieten in Nordsyrien und dem Irak Ende Dezember 2023 gab es zahlreiche Todesopfer und Schwerverletzte.

Am 23. Dezember 2023 meldeten mehrere kurdische Städte Luftangriffe durch die türkische Armee. Die Angriffe fokussierten sich besonders auf zivile Ziele in der kurdischen Region, es wurden dabei unter anderem ein medizinisches Zentrum in Kobanê und eine Sauerstofffabrik in Qamișlo zerstört. Bei den Angriffen kamen etliche Menschen ums Leben, viele weitere wurden schwer verletzt. Außerdem leiden mehr als 2.500 Dörfer und Kommunen seit den Angriffen unter ungesicherter Stromversorgung.
In der Türkei kam es derweil zu Verhaftungen kurdischer Politiker:innen, sowie zahlreichen Festnahmen bei einem Treffen der Jugendorganisation der oppositionellen und prokurdischen DEM-Partei (ehemals HDP).

Erdoğan bezeichnet die neue Offensive auf Rojava als “Vergeltungsaktion”, nachdem kurz zuvor bei Feuergefechten des türkischen Militärs mit PKK-Guerillakämpfer:innen unter anderem zwölf türkische Soldat:innen getötet wurden. Als Rechtfertigung für den Angriff wird ein Selbstmordattentat eines PKK-Kämpfers Anfang Oktober im Regierungsviertel Ankaras instrumentalisiert, welches initial mit einer fünftägigen Offensive des türkischen Militärs auf die kurdischen Gebiete und seither fortlaufend mit täglichen Angriffen im Sinne eines Zermürbungskrieges beantwortet wurde.

Grund für die Angriffe auf Rojava ist das Bestreben Erdoğans, die autonom verwaltete kurdische Region an der eigenen Landesgrenze zu zerschlagen. Die türkische Regierung lehnt das Selbstbestimmungsrecht der Kurd:innen entschieden ab. Die Befürchtung, dass das Bestreben um kurdische Selbstverwaltung als Stärkung für die kurdische Freiheitsbewegung im eigenen Land dienen könnte, ist eine Hauptmotivation für den Krieg der Türkei in dieser Region. Außerdem besteht für sie die Gefahr, dass die Forderungen nach Autonomie im türkisch besetzten Nordkurdistan lauter werden, falls Rojava an Macht gewinnt. Die türkische Regierung plündert die kurdische Region und versucht, die ansässige Bevölkerung zu vertreiben. Dafür kooperiert sie mit Söldnern, die in den Gebieten stationiert bleiben.

Menschenrechtsorganisationen merken zudem seit geraumer Zeit an, dass die seit Jahren andauernden Militäroperationen in Rojava eine ethnische Säuberung der Kurd:innen und weiterer Minderheiten zum Ziel haben könnten.
Vermutet wird in dem Zusammenhang eine gezielte Siedlungspolitik, bei der diese Gebiete dazu genutzt werden sollen, die einheimische Bevölkerung mit den in der Türkei lebenden Geflüchteten zu ersetzen.

Eine langfristige Folge der Zerstörung der politischen Ordnung im Norden Syriens könnte sein, dass islamistische Milizen, allen voran der einst von den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten YPG/YPJ besiegte Daesh, wieder erstarken. Auch die Verwaltungen, die in den durch das türkische Militär eingenommenen Städten und Gemeinden neu installiert wurden, gelten als konservativ-islamisch und Erdoğan-nah. Da diese zudem einen Teil der syrischen Opposition gegen das Assad-Regime darstellen und gleichzeitig gegen kurdische Milizen (z. B. YPG/YPJ) kämpfen, erfahren sie Unterstützung durch den türkischen Präsidenten.

Die Komplizenschaft der NATO-Staaten

Kritik von westlichen Staaten bleibt größtenteils aus. Für diese waren die kurdischen Milizen allein im Kampf gegen den Daesh von Nutzen. Nach seiner Niederlage hat sich jedoch dieses Bündnis ausgedient. Deshalb gibt es auch keine Reaktion vonseiten der USA auf die Angriffe, trotz der Tatsache, dass sie zusammen mit Russland über die Lufthoheit in der kurdischen Region verfügen und dementsprechend aktiv ihre Zustimmung für etwaige Militäroperationen erteilen müssten.
Indirekte Unterstützung der Angriffe erfolgt durch Deutschland. Zum einen durch eine fehlende Blockade am Vorgehen Erdoğans, zum anderen haben die deutschen Rüstungsexporte, die das türkische Militär ausstatten, die Offensive erst ermöglicht. Die Türkei ist Hauptabnehmer von deutschen Kriegswaffen und macht damit rund ein Drittel der gesamten deutschen Rüstungsexporte aus.
Den “Flüchtlingsdeal” zwischen der EU und der Türkei nutzt Erdoğan weiterhin als Druckmittel, um jegliche Einmischung in seine nationale und regionale Politik abzuwehren, denn er könnte jederzeit die Grenzen öffnen, um die in der Türkei angekommenen Geflüchteten weiter Richtung Westen passieren zu lassen.

Darüber hinaus nutzt Erdoğan seine strategische Rolle innerhalb der NATO, indem er den Beitritten von Finnland und Schweden nur unter der Bedingung zustimmte, dass sie kurdische Oppositionelle ausliefern und die Waffenlieferungsblockade aufheben.
Dies ist auch einer der wesentlichen Gründe, weshalb die diplomatischen Beziehungen zur Türkei trotz der menschenrechtswidrigen Angriffe auf Rojava priorisiert werden.
Die deutsche Regierung unterstützt diesen Status Quo, indem sie die Kriminalisierung und aktive Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung hierzulande vorantreibt.

Als Internationalist:innen stehen wir entschlossen solidarisch hinter allen unterdrückten Nationen. Wir verurteilen die Angriffe der Türkei auf die kurdischen Gebiete und fordern einen Rückzug aller imperialistischen und kolonialistischen Armeen. Schluss mit den Verboten und Repressionen kurdischer Organisationen! Für ein freies Kurdistan!

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