Der Kriegsplan der Rechten in Südamerika

21.12.2015, Lesezeit 8 Min.
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2015 endet mit großen politischen Fortschritten für die Rechte in Südamerika. Die politische Landschaft verändert sich stark. Das „Ende des Zyklus“ führt zu einer Auflösung der relativen Hegemonie der „progressiven“ Kräfte. Dies findet statt im Rahmen wirtschaftlicher Stagnation der Region und der politischen Offensive von Seiten von Washington, um verlorenes Terrain in der Region zurückzuerobern.

In Argentinien führt die „Regierung der Bosse“ von Mauricio Macri die ersten Kürzungsmaßnahmen durch. In Brasilien stärkt sich die Rechte durch die Krise der Regierung der Arbeiterpartei (PT). Sie ist durch ihre arbeiter*innenfeindlichen Maßnahmen, die Korruptionsskandale und die vom Impeachment (Amtsenthebungsverfahren) bedrohte Präsidentin Dilma Rousseff geschwächt. In Venezuela konnte die reaktionäre Opposition einen noch nie da gewesenen Wahlsieg einfahren: Sie gewann die Zwei-Drittel-Mehrheit der Nationalversammlung, was die Regierung von Nicolás Maduro inmitten einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise schwächt.

Diese Phänomene sind der Höhepunkt eines politischen Rechtsrucks, der sich im Laufe des Jahres immer deutlicher abzeichnete. Einige Meilensteine dieser Entwicklung war die positive Aufnahme des „neuen interamerikanischen Dialogs“, der von Obama auf dem Amerika-Gipfel in Panama vorgestellt wurde; die „Eisschmelze“ zwischen Kuba und den USA, die von letzteren dazu benutzt wird, um den Prozess der kapitalistischen Restauration voranzutreiben; der „Friedens“prozess in Kolumbien, der sich hin zu einer „verhandelten Kapitulation“ der Guerrilla entwickelt.

Die politische Landschaft in Südamerika verändert sich stark. Das „Ende des Zyklus“ führt zu einer Auflösung der relativen Hegemonie der „progressiven“ Kräfte. Dies findet statt im Rahmen wirtschaftlicher Stagnation der Region und der politischen Offensive von Seiten von Washington, um verlorenes Terrain in der Region zurückzuerobern. Es gibt keine Zweifel daran, dass der Imperialismus und die lokalen Bourgeoisien diese Fortschritte in der kommenden Periode ausweiten wollen.

Die progressiven Regierungen waren und sind Teil dieser Wende. Sie sind für Sparmaßnahmen, Entwertung und Inflation verantwortlich. Das senkt die Löhne und verschärft die Probleme im Bildungs- und Gesundheitssystem, des Verkehrs und des Wohnraums. Die Kämpfe der Arbeiter*innen und Massen beantworteten sie mit Repression. Gleichzeitig übernahmen sie einen Teil der reaktionären Agenda, wie das Thema der „Sicherheit“. Sie zahlten weiter die Auslandsschulden und hielten die Freiräume für die großen Unternehmensgruppen und die Konzerne aufrecht. Ein weiteres wichtiges Element ist der „personalisierte“ Stil ihrer Herrschaft (marxistisch ausgedrückt ihre bonapartistischen Züge), der Teile der Bevölkerung verärgerte, was den Unmut über die wirtschaftliche Situation verstärkte.

So haben sie selbst dem Konservatismus den Weg bereitet. Nebenbei gaben sie einer sich „erneuert“ gebenden Rechten so die Möglichkeit, sich als „Wandel“, als Kraft „gegen die Korruption“ und sogar „für die Demokratie“ darzustellen. Die gescheiterte Hoffnung des Kirchnerismus in Argentinien auf den Mitte-Rechts-Kandidat Daniel Scioli, der in seiner Kampagne viel von „Sicherheit“ sprach und einen eigenen „schrittweisen“ Sparplan hatte, machte es für Macri leichter. Inzwischen sind die Kirchnerist*innen sogar schon bereit, Macris „Regierungsfähigkeit“ sichern, damit er sein Programm durchsetzen kann. Die arbeiter*innenfeindlichen Maßnahmen der Dilma-Regierung machten der Opposition Lust auf mehr. In Venezuela hatte Maduro zwar einen Diskurs des „wirtschaftlichen Kriegs“, doch in Wirklichkeit hat er keine einzige Maßnahme gegen die Kapitalist*innen durchgeführt. Dadurch konnte die oppositionelle Demagogie leichter in Sektoren der Massen Fuß fassen.

Erschöpfung des „Progressismus“

Die Weltwirtschaftskrise hat die Jahre des Wachstums beendet und damit die wirkliche Bilanz des „gewonnenen Jahrzehnts“ (wie es die ehemalige argentinische Präsidentin Cristina Kirchner nannte) offengelegt: Der gesamte Ballast und die Widersprüche des abhängigen lateinamerikanischen Kapitalismus kommen ans Licht und keine progressistische Erzählung kann das rechtfertigen.

Die post-neoliberalen Regierungen kamen als Ergebnis politischer Krisen und Massenerhebungen an die Macht, die neoliberale Präsidenten wie De la Rúa in Argentinien oder Sánchez de Losada in Bolivien stürzten. Mit einigen Zugeständnissen konnten sie die Mobilisierungen von der Straße verbannen. Was sie beibehielten, war die Macht der Unternehmer*innen und der Landbesitzer*innen, die neoliberalen Privatisierungen (bis auf einige Ausnahmen) und die starke Prekarisierung. Zudem verstärkten sie noch das Wirtschaftsmodell des Rohstoffexports und die damit einhergehende Abhängigkeit vom ausländischen Kapital.

Mit dem Schrumpfen der Gewinne aus dem Export von Soja, Minenerzeugnissen und dem Öl erschöpfte sich auch die Möglichkeit, zwischen den Klassen zu verhandeln, also gleichzeitig soziale Maßnahmen der Mäßigung und gute Rahmenbedingungen für die kapitalistischen Geschäfte zu haben. Die Entwicklung der Krise führte die „progressiven“ Regierungen dazu, sie auf Kosten der Löhne, der Arbeitsplätze, der Lebensbedingungen der Massen und vieler berechtigter Hoffnungen zu bezahlen. Jetzt wollen die Kapitalist*innen, die sich in den Jahren des Wachstums bereicherten, jedoch zu dem Regierungspersonal ihres Vertrauens zurückkehren, ohne die „progressiven“ Kosten der Mäßigung der Massenbewegung.

Ein „Kriegsplan“, der bekämpft werden muss

Die „neue Rechte“ spielt mit Vorurteilen und Demagogie, um die Stimmen der Massen bekommen. Sie hat die Unterstützung der großen Medien und des bürgerlichen Konsens‘. Vor allem zieht sie Profit aus dem Unmut gegenüber den aktuellen Regierungen. Doch es wird sich noch zeigen, ob sie die Wahlerfolge nutzen können, um ein neues Kräfteverhältnis zu erschaffen, mit dem sie ihr reaktionäres Programm durchbringen können. Dieses besteht aus der Erhöhung der Ausbeutung der Arbeiter*innen, der „Senkung der Kosten“ und der „Konkurrenzfähigkeit“ auf Kosten der breiten Bevölkerung, der Beschneidung demokratischer Rechte, sowie die Bevorzugung der Landbesitzer*innen und stärkere Unterwerfung unter das imperialistische Kapital. Doch im Rahmen der großen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Widersprüche könnten sie letztendlich die Polarisierung überreizen und einen neuen Widerstand der Arbeiter*innen und Massen erwecken. Es ist möglich, das große Schlachten des Klassenkampfes ausbrechen. Im Gegensatz zu den 90er Jahren trifft die konservative Welle auf eine Arbeiter*innenklasse, die vor allem im Süden Lateinamerikas Kräfte sammeln konnte und nicht bereit ist, die Löhne, Arbeitsplätze und ihre berechtigten Hoffnungen kampflos abzugeben.

Die Vertreter*innen des Progressismus haben schon zu oft im Namen des „kleineren Übels“ den Rechtskurs ihrer Regierungen verteidigt. Wenn sie in die Opposition gezwungen werden, wie in Argentinien, finden sie sich mit der Rolle der „verantwortungsvollen Opposition“ im Regime zurecht. Ihre versöhnliche politische Strategie und ihre Verbindungen mit der Gewerkschaftsbürokratie in jedem Land haben der Arbeiter*innen- und Massenbewegung nichts anzubieten.

Der Widerstand braucht geeignete Kampfmethoden und ein Programm, damit die Kapitalist*innen die Krise bezahlen und um mit dem Imperialismus zu brechen. Dafür müssen die Arbeiter*innen unabhängig von den Parteien der Rechten, aber auch von den „fortschrittlichen“ Parteien, sein.

Eine kritische Bilanz der „post-neoliberalen“ Erfahrungen ist notwendig. Die Regierungen von Chávez, Evo, Lula, Kirchner und ihrer Nachfolger*innen brachten nicht die versprochene „echte Demokratisierung“ oder die „Industrialisierung“. Es gab keine echten Agrarreformen oder eine lateinamerikanische Einheit, die über den Diskurs hinausging. Durch ihren Klassencharakter und ihr sehr begrenztes Reformprogramm konnten sie nicht darüber hinaus gehen und setzten auch nicht auf die Massenmobilisierung. So wurden alte Lehren der lateinamerikanischen Geschichte bestätigt. Weder der Peronismus noch andere nationalistische und reformistische Projekte konnten die wirkliche nationale und soziale Befreiung erreichen. Sie führten immer zu Enttäuschungen, wenn nicht gar zu harten Niederlagen. Das ist ein weiterer wichtiger Grund, um für den Aufbau einer politisch unabhängigen Organisation der Arbeiter*innen zu kämpfen, um einen Ausweg aus der kapitalistischen Krise im Interesse der arbeitenden Bevölkerung zu erreichen.

Nur die Kraft der Arbeiter*innen im Verbund mit den unterdrückten Sektoren der Städte und des Landes kann mit ihrer Mobilisierung den sozialen Krieg bekämpfen, der von der Bourgeoisie und dem Imperialismus in ganz Lateinamerika vorangetrieben wird. Wenn sich die Arbeiter*innen von Argentinien und Brasilien verbünden würden, würde sich die Situation sehr schnell verändern.

Deshalb muss der Antiimperialismus und die Einheit der Arbeiter*innen Lateinamerikas – zusammen mit dem Kampf für eine politisch unabhängige Organisation der Arbeiter*innenklasse – Teil des Programms sein. In den harten Kämpfen, die auf uns warten, stellen sich neue Herausforderungen und Möglichkeiten für den Aufbau einer sozialistischen Linken der Arbeiter*innen in Lateinamerika und weltweit.

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