Das zerrissene Hemd: Das Urteil bei Air-France ist gefällt

09.12.2016, Lesezeit 4 Min.
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Im Fall des „zerrissenen Hemdes“ gibt es jetzt die ersten Entscheidungen: Am 30. November verurteilte das französische Strafgericht Bobigny fünfzehn Lohnabhängige der Fluggesellschaft Air France wegen „Gewalt“ und „Sachbeschädigung“. Es gab drei Verurteilungen zu Gefängnisstrafen auf Bewährung von zwei bis vier Monaten, sowie zwei Freisprüche und eine Verurteilung zur Zahlung eines symbolischen Euros. Die restlichen zehn Angeklagten wurden zu Sozialstunden im Wert von 500 Euro verurteilt.

Über die Angelegenheit des „zerrissenen Hemdes“ ist seit vergangenem Jahr viel Tinte verspritzt worden. Eine oft widerliche Tinte, die die Worte eines Manuel Valls und einer Justiz schreib, die Gewerkschafter*innen im Kampf gegen die Umstrukturierungspläne der Geschäftsführung als „Gauner“ beschimpfte, und ihre Kampfmethoden als „Operation von Randalierern“ bezeichnete. Am 5. Oktober 2015, als hunderte Lohnabhängige vor dem Sitz der Fluggesellschaft Air France in Roissy demonstrierten, mussten Xavier Broesta, der damalige Personalleiter von Air France, und Pierre Plissonnier, der Verantwortliche für internationale Flüge, fliehen, während die Menge sie auspfiff. Die Bilder verbreiteten sich schnell. Auf ihnen wurden zwei Personalleiter gezeigt – bedrängt, ausgepfiffen und gezwungen, den Zaun mit nacktem Oberkörper hochzuklettern.

Fünf Lohnabhängige, wie viele andere jetzt arbeitslos, wurden damals wegen „Geiselnahme“ und anderer Gewalttaten angeklagt, durch die sie die „skandalöse“ und „verantwortungslose“ Situation herbeigeführt hätten. Wo ist aber der Skandal? Wo ist die Gewalt? Wir haben seitdem nicht aufgehört, über die richtige Gewalt zu sprechen – nämlich die der Bosse, ausgeübt durch Entlassungen, Arbeitslosigkeit und betriebliche und juristische Repression. In Zeiten des dauerhaften Notstandes in Frankreich trifft sie Gewerkschafter*innen immer härter. Das Jahr 2016 endet und das Jahr 2017 beginnt mit einer langen Liste von Prozessen gegen linke Aktivist*innen und Gewerkschafter*innen.

Hetze gegen Arbeiter*innen

Diese Prozesse sind in einem Land am Rande der sozialen Krise zu einem Politikum geworden. Es sind Prozesse, die das Ende des anfangs von der Regierung Hollande verteidigten „Sozialen Dialogs“ illustrieren. „Gauner“, „Verantwortungslose“, „Faule“, so sind die Gewerkschafter*innen von Politiker*innen vom rechten sowie vom „linken“ Lager und von den Medien beschrieben worden. Die angestrengten Prozesse, die beleidigenden Äußerungen, eine übertriebene Mediatisierung sowie die Androhung von schweren Strafen und Entlassungen sind die Mittel der Bourgeoisie, um die Gewerkschafter*innen, Arbeiter*innen und sozialen Bewegungen zu kriminalisieren.

Ende September hatte der Staatsanwalt der vierzehnten Kammer des Strafgerichts von Bobigny zwei bis vier Monate Gefängnisstrafe gegen fünf Lohnabhängige gefordert und eine Geldstrafe von 1.000 Euro gegen die zehn anderen. Heute erscheint die Entscheidung ein relativer Sieg für das Air-France-Lager, das mitteilte, es sei „zufrieden mit der Verhandlung“. Für die Beschuldigten, die den „totalen Freispruch aller Beschäftigten“ verlangten, ist das Urteil „skandalös“ und „unausgewogen falsch“.

Skandalös“, weil sie tatsächlich verurteilt worden sind. Verurteilt, weil sie ihre Arbeitsplätze, ihre Familienleben verteidigen wollten. Verurteilt, weil sie gegen dieses System, das uns ausbeutet und prekär macht, gekämpft haben. Ihre Rechtsanwälte haben angekündigt, ihren Mandaten zu raten, in Berufung zu gehen.

Zwei Länder – eine Klasse

Während die Repression auf die Beschäftigten bei Air France hereinbricht, kämpfen die Lohnabhängigen in demselben Sektor bei der Lufthansa in Deutschland immer wieder für bessere Arbeitsbedingungen. 900 Flüge wurden alleine am 24. November gestrichen. Die Arbeiter*innen verlangen seit April 2014 eine Lohnerhöhung von 3,7 Prozent und eine Verbesserung der Frührente und Altersversorgung. Doch die Geschäftsleitung der Lufthansa versucht, diesen Arbeitskampf zu verhindern. Im September 2015 wurden die Streiks mithilfe des Landesarbeitsgerichts Hessen gestoppt, indem für „unverhältnismäßig“ erklärt wurden und damit als illegal.

Die Verurteilungen bei Air France dürfen nicht unbeantwortete bleiben und müssen heftig kritisiert werden. Das gilt aktuell besonders für Frankreich, wo die Herrschenden Reformen und neoliberale Gesetze mit verschärfter Repression durchsetzen wollen, wogegen wir gemeinsam kämpfen müssen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Repression allen kämpfenden Arbeiter*innen gilt und dass die Beschäftigten von Air France in Frankreich und der Lufthansa in Deutschland die selben Interessen haben.

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