Aufstand im Senegal: Die Regierung tötet im Dienste des Imperialismus

11.06.2023, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Pierre Laborde/shutterstock.com

Seit dem 2. Juni finden im Senegal massive Proteste gegen die Regierung um Macky Sall und ihr antidemokratisches Manöver mit der Verhaftung von Ousmane Sonko. Die Unruhen der letzten Tage forderten nach Angabe der oppositionellen Organisationen mindestens 23 Tote und mehr als 350 Verletzte.

Das Regime von Macky Sall erlebt seit mehreren Tagen eine schwerwiegende politische Krise. Als Fortführung der Mobilisierungen der letzten Jahre (2016, 2019 und 2021) treibt es die senegalesische Jugend (von denen unter Zwanzigjährige die Hälfte der Bevölkerung ausmachen) aus Protest gegen die Regierung auf die Straßen. Grund dafür ist der Rechtsspruch gegen Ousmane Sonko, der als die führende oppositionelle Kraft und größter Konkurrent von Macky Sall in den Wahlen 2024 gilt. Die Bekanntgabe der Verurteilung zu 2 Jahren Haft, die ihm auch den Wahlantritt verwehren würden, veranlasste Tausende von Menschen dazu, auf den Straßen gegen das autoritäre Regime zu demonstrieren.

Die Wut kann zudem auch vor dem Hintergrund der desaströsen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen erklärt werden. Wie der senegalesische Ökonom N’Dongo Samba Sylla in einem Interview mit Revolution Permanente erklärte, ist in den letzten zwei Jahre seit der Pandemie und der Explosion der Arbeitslosigkeit in der Jugend, der „Entwicklungs-Mythos“ (also der Entstehung einer Mittelklasse und eines allgemeinen Wohlstands) an sein Ende geraten. Seit dem Krieg in der Ukraine sind die Lebensmittelpreise enorm gestiegen und gehen mit einer Inflation von 9,5 Prozent einher. Dieses Szenario, welches in der Region insgesamt verbreitet ist, hat politische Krisen mit Revolten hervorgebracht, die auch die Position Frankreichs geschwächt hat.

Obwohl die letzten Tage von kleineren Demonstrationen geprägt waren, unterdrücken die Regierung, ihre Polizei und bewaffneten Milizen weiterhin die Bevölkerung.

Die Jugend Senegals stellt sich der massiven Unterdrückung.

Seit dem 4.Juni verzeichnet die Regierung den Tod von 16 Demonstranten, während Amnesty International von 23 Morden durch die Polizei spricht. Ein Vertreter von PASTEF (auf Englisch: „The African Patriots of Senegal for Work, Ethics and Fraternity“), der Partei Ousmane Sonkos, schätzt die Opferzahlen zwischen 26 und 30 ein. Des Weiteren gab es zahlreiche Verwundete, so wurden vom Roten Kreuz seit Beginn der Ausschreitungen etwa 357 Menschen versorgt. Angesichts der Barrikaden und gezielten Angriffe auf Regierungsgebäude sowie auf Wahrzeichen des französischen Imperialismus (Rathäuser, Gendarmerien,> französische Firmen in Dakar) setzte die Polizei mehrfach Tränengas gegen die Demonstrant:innen ein.

Ebenfalls wurde der Einsatz scharfer Waffen in der Hauptstadt dokumentiert, während die Armee am 2. Juni in Dakar eingesetzt wurde. Laut Angaben von Human Rights Watch haben auch bewaffnete Milizen scharfe Munition gegen die Demonstrant:innen eingesetzt. Zudem gab es Berichte über zahlreiche Einschüchterungsversuche gegenüber politischen Aktivisten sowie zu Vergewaltigungsdrohungen der Polizei an festgenommene Oppositionsaktivistinnen. Schließlich griff der Staat zu Massenverhaftungen gegen Demonstrant:innen: Am vergangenen Samstag kam es an einem einzigen Tag zu 500 Festnahmen. Diese gezielten Festnahmen oppositioneller Aktivisten kommen zu den alltäglichen Inhaftierungen unter dem Regime von Sall, die dazu dienen jegliche oppositionelle Strukturierung zu ersticken.

Bilder der Gewalttaten werden mittlerweile auch auf den sozialen Medien verbreitet und von Amnesty International verfolgt. Unter Anderem ist auf Videos zu sehen, wie Polizisten Demonstranten und Kinder als menschliche Schutzschilde benutzen, um sich vor Steinwürfen zu schützen. Triggerwarnung:

Unter den von der Polizei ermordeten Menschen war auch der Rapper Baba Kana, der gekommen war, um die Demonstrationen zu unterstützen.  Inzwischen rechtfertigt die Regierung diese Repression damit, die „Republik und die Institutionen“ vor „äußerst schweren Angriffen“ schützen zu wollen. Damit begründet sie auch die massiven Einschränkungen des Internetzugangs über mehrere Stunden, wodurch weitere Solidarisierung und Mobilisierung über die sozialen Medien verhindert werden soll.

Einsatz von „Paramilitärs“ soll Demonstrierende überwältigen

Wie bei den letzten Massenmobilisierungen wird auch bei den aktuellen Demonstrationen gegen das Regime immer wieder von bewaffneten Kämpfergruppen, sogenannten „Nervis“, berichtet, die an der Gewalt gegen den Demonstranten teilhaben. Laut RFI präsentierte die Polizei während einer Pressekonferenz am 4.Juni Videoausschnitte, mit denen sie die Präsenz bewaffneter Kämpfer unter den Demonstranten beweisen wollten. Die gesamten Bilder, die hauptsächlich in den sozialen Medien herumgingen, zeigen jedoch, dass dieselben Individuen Seite an Seite mit Uniformierten standen. Trotz dieser Bilder bleibt der Sprecher des Innenministeriums bei der Version der Polizei. Das Erscheinen dieser Milizen ist kein Novum, auch 2021 erwähnte RFI während der damaligen Demonstrationen gegen Macky Sall, bei denen 16 Menschen ums Leben gekommen waren, ähnliche Vorkommnisse.

Als Reaktion auf die massive Verbreitung der Aufnahmen in den sozialen Medien, hat die Regierung den Internetzugang unter fadenscheinigen Begründungen der „nationalen Sicherheit“ blockiert.

Oppositionelle Rufe zur Ruhe

Während die Proteste weiterhin stattfinden, hat sich ein Teil der Opposition seit Mitte der Woche zu einer staatstragenden Kraft gemacht, indem sie auf den „nationalen Dialog“ der Regierung eingehen und zur Ruhe aufrufen. Als einzige Forderung wird Macky Sall darum gebeten nicht zur nächsten Wahl anzutreten, was ihm nach der Verfassung eigentlich nicht möglich wäre.

Unter den lauten Stimmen zur Ruhe finden sich der Präsidentschaftskandidat und ehemaliger Premierminister Idrissa Seck, sowie der ehemalige Bürgermeister Dakars Khalifa Sall, einer der Anführer der Oppositionsplattform F24. Besonders überraschend fällt unter diesen ebenfalls der derzeitige Bürgermeister Dakars Barthélémy Dias, der Teil der Koalition des inhaftierten Sonkos ist und von seiner Unterstützung in den letzten städtischen Wahlen profitierte.

Diese Situation führt dazu, dass der Anführer der Opposition und seine Partei stärker marginalisiert werden und was dadurch begründet werden kann, wie der Wahlexperte Mamadou Seck beschreibt: „Jeder hat ein eigenes Interesse, die wirtschaftliche Profite und politische Privilegien im Land zu behalten, die von Sonko in Frage gestellt werden.“. Dies bezieht sich auf Sonkos ausgesprochenes Vorhaben zentrale Säulen des französischen Imperialismus zu berühren, wie die Währungsabhängigkeit der CFA-Franc, sowie die niedrigen Steuern der Multinationalen. Weiter erklärte er allerdings die Beziehungen mit Frankreich, würde er Präsident werden, fortzusetzen.

Der Senegal: ein lukrativer Repressionsmarkt für Frankreich

Wie auch StreetPress während der Ausschreitungen gegen Macky Sall 2021 berichtete, ist der Senegal ein wichtiger Kunde französischer Unternehmen, die sich auf Unterdrückungsmaßnahmen spezialisiert haben. Die sogenannte „stabilste Demokratie Westafrikas“ verdankt seine Festigkeit der abscheulichen Unterdrückung sowie dem Einsatz französischer Waffen, darunter CM6 Tränengas und unterschiedlichste Blendgranaten vom Unternehmen Alsetex. Das Arquus Unternehmen -rundum die Renault Gruppe- wiederum liefert dem Senegal gepanzerte Fahrzeuge. Dies zeigt die zentrale Wichtigkeit des Senegals für Frankreich, weshalb das Land sowie seine Unterdrückung weiterhin unterstützt werden, um die Stabilität des herrschenden Regimes zu sichern, und somit einen entscheidenden Verbündeten für die „Françafrique“ zu sichern.

Wie auf Révolution Permanente bereits erklärt wurde, „werfen diese Demonstrationen mal wieder ein Licht auf das Projekt der Françafrique und die Schwächung des französischen Imperialismus in der Region. Selbst wenn Sonko im Falle eines Sieges die Beziehungen mit Frankreich und den anderen imperialistischen Mächten fortführen könnte, birgt der Aufstand der senegalesischen Jugend und Arbeiter:innen gegen das mit Frankreich verbündete Regime eine besorgniserregende Entwicklung für das französische Bürgertum. Einige Demonstranten zögern nicht, bestimmte Symbole des französischen Imperialismus wie seine multinationalen Konzerne anzugreifen.“

Um der FrançAfrique im Senegal ein Ende zu setzen, bedarf es einer unabhängigen Mobilisierung der Jugend und der Arbeiter:innenklasse

Die Ablehnung des antidemokratischen Manövers gegen Ousmane Sonko, kann jedoch nicht mit der Position einhergehen, die Mobilisierung aufzugeben oder sie als Teil des anstehenden Wahlkampfes zu beschränken. Eine unabhängige Mobilisierung bedeutet einen offenen Bruch mit dem senegalesischen Regime, das von seiner kolonialen Beziehung zu Frankreich geprägt ist und der große Teile der Bevölkerung unterdrückt, was Ousmane Sonko durch seine Bereitschaft, gegen LGBT-Personen vorzugehen, wenn er an die Macht kommt, fortsetzen will.

Im Gegenteil, ein echter Bruch mit dem französischen Imperialismus und dem autoritären Regime im Senegal wird durch den vollständigen Abzug der französischen Truppen aus dem Land sowie der großen multinationalen Konzerne. Dafür ist es zwingend nötig eine echte und unabhängige Bewegung der senegalesischen Opposition zu erschaffen, die, nach der Denunzierung der Politik Macky Salls, die Verbindung der Regierung zum französischen Imperialismus ernsthaft in Frage stellt und den Grundstein für ein wahrhaft unabhängiges Senegal legt: ohne das Joch des CFA-Franc, der Auslandsschulden sowie aller militärischen und politischen Vereinbarungen, die Senegal an die Interessen großer französischer Konzerne wie Auchan oder Total binden.

Der Aufbau einer echten antiimperialistischen Bewegung muss auf einer Intervention der Arbeiter:innenbewegung basieren, um sich der Regierung im Verbund mit den zahlreichen jungen Menschen, die sich vermehrt im Kampf gegen Macky Sall organisierten, zu widersetzen. Dies ist auch eine Bedingung zur Verstaatlichung aller strategischen und industriellen Sektoren unter der Kontrolle der Beschäftigten und der mobilisierten Bevölkerung.

In Frankreich ist es von entscheidender Bedeutung, die Komplizenschaft des Imperialismus bei der Unterdrückung der Revolte zu denunzieren, aber auch die Art und Weise anzuerkennen und abzulehnen, in der die neokoloniale Vorherrschaft Frankreichs der Ursprung des Übels ist, das die senegalesischen Arbeiter:innen- und Volksschichten trifft. Dies ist eine Aufgabe, die sich die Arbeiter:innenbewegung stellen muss, um gemeinsam mit den senegalesischen Arbeiter:innen gegen den französischen Staat und die Kapitalisten zu kämpfen.

Dieser Artikel ist die Übersetzung und Zusammenführung von zwei Artikeln auf Französisch bei Révolution Permanente, die am 8. Juni erschienen sind.

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