Argentinien: 20.000 Trotzkist*innen füllen Fußballstadion [mit Videos]

21.11.2016, Lesezeit 8 Min.
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Die argentinische Front der Linken und Arbeiter*innen (FIT) veranstaltete am vergangenen Samstag die größte Kundgebung der radikalen Linken der vergangenen 30 Jahre. Tausende Menschen aus dem ganzen Land trafen sich im Fußballstadion von Atlanta in Buenos Aires. Sie folgten dem Aufruf der Sozialistischen Linken (IS), der Arbeiter*innenpartei (PO) und der Partei Sozialistischer Arbeiter*innen (PTS), die zusammen die FIT bilden.

Vor dem Beginn der Kundgebung betraten die Blöcke der verschiedenen Organisationen durch verschiedene Eingänge das Stadion. Die Moderation wurde von Genoss*innen aller Organisationen übernommen. Vor den ersten Reden betraten Vertreter*innen der kämpferischen Sektoren der Arbeiter*innenklasse und Figuren der Jugendbewegung und der Frauenbewegung die Bühne.


Der Block der PTS vor dem Einzug ins Stadion

Bevor Nicolás del Caño der PTS die Kundgebung mit seiner Rede politisch abschloss, gab es zahlreiche Reden von Führungsfiguren der Linken.


Das gefüllte Fußballstadion von oben

Ein Aufruf zur Organisierung und zum Kampf

Der erste Redner war Rubén „Pollo“ Sobrero, Bahnfahrer und Generalsekretär der Gewerkschaft der Eisenbahnbeschäftigten Sarmiento in Haedo. In seinem Beitrag rief er dazu auf, die Gewerkschaftsbürokratie zu konfrontieren und die kämpferischen Sektoren der Arbeiter*innenklasse zu organisieren.

Myriam Bregman, Abgeordnete für die PTS/FIT, wurde mit einem massiven Applaus in Empfang genommen, als sie die Bühne betrat.

Sie behandelte in ihrer Rede die anwachsende Frauenbewegung. Während sie zu Beginn den designierten US-Präsidenten und frauenhassenden Sexisten Donald Trump angriff, stellte sie fest, dass „die Kraft der Frauen an verschiedenen Orten der Welt explodiert“.

In der bewegenden Rede, die immer wieder von Applaus unterbrochen wurde, verurteilte Bregman zudem, dass

jährlich mehr als 300 Frauen an heimlichen Abtreibungen sterben. […] Sowohl die rechte Regierung von [Mauricio] Macri als auch die vorhergehende Regierung von Christina Kirchner haben keine der elementarsten Forderungen durchgesetzt, wie die Einrichtung neuer Frauenschutzhäuser für Opfer von sexualisierter Gewalt, den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit oder Kindergärten an den Arbeitsplätzen.

Deshalb griff sie besonders scharf die Heuchelei derjenigen an, die sich als Verteidiger*innen der Frauenrechte darstellen. „Viele [Politiker*innen] machen ein Foto mit dem Hashtag #NiUnaMenos, doch zwingen tausende Frauen zu schlechter Arbeit, zum Elend und zur Arbeitslosigkeit“, so Bregman.

Die landesweite Anführerin der PTS rief dazu auf, den Kampf für die Rechte der Frauen zu stärken und schlug vor, große einheitliche Blöcke auf den kommenden Demonstrationen wie am Tag gegen Gewalt an Frauen oder bei der Gay-Pride-Demonstration zu organisieren.

Soledad Sosa, Abgeordnete der PO und der FIT, war die nächste Rednerin. Im gefüllten Stadion verurteilte sie die politische Kaste und erinnerte an die „Forderung“ der Abgeordneten Susana Balbo der Regierungspartei Cambiemos aus Mendoza, dass die Abgeordneten noch mehr verdienen sollten als bisher.

Liliana Olivero, ehemalige Abgeordnete der FIT aus der Provinz Córdoba, sagte in ihrer Rede:

Wir Frauen sind heute hier, weil wir weiter für unsere Rechte kämpfen wollen. Die Frauenmorde sind eine der schlimmsten Konsequenzen dieses patriarchalen Systems.

Außerdem griff Olivero „diese Allianz zwischen dem Papst und den Regierungen [an], die verhindert, dass wir das Recht auf Abtreibung haben“. Das Recht auf Abtreibung würde den Tod hunderter Frauen im Jahr verhindern.

Nachdem die Grußworte zahlreicher internationaler Organisationen verlesen wurden, sprach Claudio Dellecarbonara. Der Anführer der Gewerkschaft der U-Bahn in Buenos Aires hob den Erfolg der klassenkämpferischen Arbeiter*innen der Reifenherstellerindustrie (SUTNA) hervor, die bei den Gewerkschaftswahlen gegen die reformistische Gewerkschaftsbürokratie gewinnen konnten. Außerdem lobte er die antibürokratischen Arbeiter*innen von Guma und Stani, die Betriebsratswahlen gewinnen konnten.

„Ein Hoch auf die selbstverwalteten Betriebe“, rief er laut, woraufhin tausende Stimmen in ein kräftiges „Viva“ einstimmten. Damit bezog Dellecarbonara sich auf die Fabriken unter Arbeiter*innenkontrolle wie Zanon, MadyGraf und La Litoraleña und viele weitere.

Ich möchte als revolutionär-sozialistischer Anführer sprechen: Die Eroberung von Gewerkschaften kann kein Ziel für sich selbst sein, sondern nur ein Mittel, dass in den Dienst der Organisierung der Arbeiter*innenklasse gestellt werden muss – mit dem Ziel, die Kapitalist*innen und ihre Regierungen zu besiegen.

Er fügte hinzu:

Wir müssen die Gewerkschaftsbürokratie besiegen und für demokratische, kämpferische und vom Staat unabhängige Betriebsräte, Delegiertenversammlungen und Gewerkschaften kämpfen. Die Arbeiter*innen müssen selbst in Versammlungen entscheiden können, die Minderheiten brauchen vollständige Rechte, kein*e Bürokrat*in darf an seinen*ihren Posten kleben, sondern nach einer Amtszeit müssen die Vorsitzenden wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren.

Danach sprach Alejandro Crespo, Generalsekretär der SUTNA-Gewerkschaft und dankte allen, „die die Rückeroberung dieser Gewerkschaft von der Bürokratie möglich gemacht“ hätten. Außerdem rief er dazu auf, sich weiterhin gegen die bürokratischen Führungen der Gewerkschaften zu organisieren.

Juan Carlos Giordano, Anführer der Sozialistischen Linken (IS), machte deutlich, dass diese Kundgebung sich „gegen die Kürzungen von Macri und den Provinz-Gouverneuren und den beschämenden Waffenstillstand des Gewerkschaftsdachverbandes CGT“ richtet und forderte einen Generalstreik gegen die Kürzungen.

Néstor Pitrola, Anführer der PO und ebenfalls Abgeordneter der FIT, analysierte die Auswirkungen des Siegs von Donald Trump in den USA und schloss mit der Aussage ab, dass „das große Potential der FIT darin liegt, dass wir ein unabhängiges Projekt zum Kampf gegen die Kapitalist*innen anbieten“.

Außerdem griff Pitrola die Politik der sogenannten sozialen Bewegungen und der Gewerkschaftsführung der CGT an, die sich beide in einem langanhaltenden Waffenstillstand mit der Regierung befinden. Im Gegensatz dazu hob er die Fortschritte der Linken und der kämpferischen Sektoren der Arbeiter*innenklasse hervor, die Gewerkschaften und Betriebsräte zurückgewinnen.

Del Caño: „Die Front der Linken verbreitern“

Der letzte Redner war Nicolás del Caño, ehemaliger Präsidentschaftskandidat der FIT. Er begann damit, sich bei allen Aktivist*innen der PTS, der PO und der IS zu bedanken.

Nachdem er den Sieg des rassistischen Multimillionärs Donald Trump in den USA verurteilte, sagte er:

Unser Kampf richtet sich nicht nur gegen den nationalen Kapitalismus, sondern für das Ende des Imperialismus in der ganzen Welt.“

Del Caño, der für seine Unterstützung für alle Kämpfe der Arbeiter*innen und Massen bekannt ist, hob hervor, dass diese Kundgebung „die enorme Entwicklung und den politischen Fortschritt der FIT“ in der letzten Zeit deutlich mache. Wie er es als Abgeordneter im Parlament tat, griff er die politische Kaste an, die sich durch ihre öffentlichen Posten bereichern. „Sie wissen nicht, wie es ist, nur mit einem Arbeiter*innenlohn zu leben.“

Mit Ausnahme der Gewerkschaften und anderer sozialen Organisationen ist keine traditionelle politische Kraft in der Lage, solche massiven und kämpferischen Kundgebungen zu organisieren, ohne vom Staat unterstützt zu werden oder sich die Teilnahme zu erkaufen. Deshalb ist diese Kundgebung so bedeutsam und positioniert die FIT als eine Kraft mit politischem Gewicht auf landesweiter Ebene.

In seiner Rede rief der Anführer der FIT stark dazu auf, die Front der Linken zu verbreitern. Ein Aufruf dazu, Anführer*innen von Kämpfen und andere Kräfte in die FIT zu integrieren, um sie zu einer politischen Alternative zu machen.

Die Basis für die Stärkung der FIT ist eine offene Diskussion mit allen Organisationen, die mit dem Programm und die Perspektive übereinstimmen, welches die Grundlage für diese Kundgebung war, ohne die politische Praxis jeder Organisation auszublenden.

Del Caño grenzte sich nicht nur von der Regierung ab, sondern auch von der peronistischen Opposition.

Dass der rechte Präsident Macri voranschreiten konnte, hat er der Unterstützung Der “Front der Erneuerung” des Ex-Kirchneristen Massa im Abgeordnetenhaus und der kirchneristischen “Front für den Sieg” im Senat zu verdanken, die seinen Gesetzen zustimmten. Auch die Gouverneure und die Gewerkschaftsbürokratie der CGT waren Komplizen: Sie haben die Entlassungen und Lohnverluste geschehen lassen, ohne auch nur zu einem 24-stündigen Streik aufzurufen. Von Tag zu Tag steigt die Wut gegen die Regierung, aber wir werden nicht zulassen, dass das dazu ausgenutzt wird, um den Peronismus zurück an die Macht zu bringen. Millionen haben ihre Hoffnungen in den Kirchnerismus gesetzt, und das Ergebnis waren korrupte Politiker*innen, die sich selbst bereichert haben. Sie haben den Menschenrechtsdiskurs geglaubt, und am Ende stand ein Sicherheitsminister aus der Militärdiktatur und ein neuer Geheimdienst.

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