Arabische Revolution am Scheideweg?

17.12.2012, Lesezeit 4 Min.
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Mit dem ersten Wahlgang des Referendums über eine neue ägyptische Verfassung an diesem Wochenende zeichnet sich ab, dass Präsident Mursi und seine Muslimbrüder ihren Entwurf wahrscheinlich knapp durchsetzen können. Angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung lässt daraus jedoch keine breite Unterstützung der Bevölkerung ableiten. Besonders in den großen Städten war stattdessen eine knappe Mehrheit gegen den Entwurf. Die Opposition, die zu großen Teilen aus den Demonstrant*innen vom Tahrir-Platz besteht, rannte Sturm gegen diese Verfassung.

In den letzten Wochen war so eine neue Bewegung des Massenprotestes, diesmal gegen die Regierung Mursis, entstanden, nachdem dieser mit einem Dekret die Befugnisse der Richter eingeschränkt hatte. Normalerweise wäre das kein Problem, denn die Entmachtung der Justiz des alten Regimes (also der Diktatur Mubaraks) ist eine demokratische Aufgabe jeder Revolution. Doch in diesem Fall argwöhnten die Demonstrant*innen, Mursi wolle vielmehr seine eigene, persönliche Macht stärken und sich jeder Kontrolle entziehen. Wohl zu Recht, denn die gemäßigt islamistische Muslimbruderschaft war zwar über Jahrzehnte ebenfalls Opfer des repressiven Mubarak-Regimes, war aber nie treibende Kraft des Umsturzes, sondern hatte sich erst spät an die Kämpfe von hunderttausenden Arbeiter*innen und Jugendlichen herangehängt.

Dabei zeigten sich anhand dieser Protestbewegung die Fronten in Sachen „Arabischer Frühling“: Die bürgerliche Presse der imperialistischen Länder weinte Krokodilstränen für die „Demokratie“ (weil die Justiz eines diktatorischen Regimes entmachtet werden sollte!), während die Regierungen dieser Länder darauf hinwiesen, was für ein verlässlicher Partner Mursi doch sei. In Ägypten griffen Muslimbrüder, den Schergen Mubaraks gleich, Protestierende mit brutaler Gewalt an. An den Anti-Mursi-Demos nahmen dabei auch die Anhänger*innen des alten Regimes teil. Gleichzeitig aber standen auch die fortschrittlichen Kräfte wieder auf. Tagelang war beispielsweise erneut der Tahrirplatz von tausenden Jugendlichen und Arbeiter*innen besetzt. Sie lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei und eben der Muslimbruderschaft. Mursi setzte während dieser Tage sogar durch, dass auch die Armee Menschen festnehmen kann. In vielen Industriezentren Ägyptens gab es heftige Zusammenstöße. In Mahalla, Zentrum der ägyptischen Textilindustrie, haben ägyptischen Zeitungsberichten zufolge Arbeiter*innen und oppositionelle Aktivist*innen sogar die Stadtverwaltung besetzt, einen „Revolutionären Rat“ gebildet und ihre Unabhängigkeit von der Regierung Mursi erklärt!

Schon in den Jahren vor dem Umsturz hatten die Arbeiter*innen Ägyptens und speziell Mahallas durch eine große Streikwelle dem Regime Mubaraks empfindliche Stöße versetzt. Die mutigsten und entschlossensten Teile dieser Bewegung stellten – entgegen der Vorurteile vieler Menschen in den wohlhabenden Ländern – vor allem Frauen wie die Textilarbeiterinnen von Mahalla. Sie bereiteten schon 2006 mit beispielhaften Streiks die entscheidenden Kämpfe des Arabischen Frühlings vor.

In Ägypten gibt es seitdem den Spruch: „Achtung: Mahalla!“ Er weist darauf hin, wer den Kampf gegen Unterdrückung und Entrechtung begonnen hat und in diesem Moment vorantreibt: Es ist die Arbeiter*innenklasse, angeführt von ihren am meisten entrechteten Teilen. Allein diese Klasse ist in der Lage, im Bündnis mit der Jugend und den unterdrückten und ausgebeuteten Massen Ägypten von den diktatorischen und ausbeuterischen Regimes zu befreien. Es sind nicht die Schergen der alten Regimes, nicht die Islamist*innen und erst Recht nicht die imperialistischen Länder!

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