An die EVG: Macht eure Mitglieder kampfbereit, statt gegen die GDL zu hetzen!

15.08.2021, Lesezeit 7 Min.
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Die Führung der EVG verweigert dem GDL-Streik die Solidarität. Doch statt mit dem Management zu kuscheln, sollte sie die Belegschaft kampfbereit machen. Denn unter einer neuen Bundesregierung könnte die Zerschlagung der Deutschen Bahn drohen.

Der Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat in nur zwei Tagen nicht nur die Hetze der bürgerlichen Medien auf sich gezogen. Selbst die Führung der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) verleumdet den Arbeitskampf.

Statt sich mit den Kolleg:innen zu solidarisieren unterstellt der EVG-Vorsitzende Klaus-Dieter Hommel der GDL einen „Machtkampf und Mitgliederwerbung“. Es ist die Logik eines Bürokraten, der nicht den Kampf der Beschäftigten sieht, sondern nur die Konkurrenz seines hochbezahlten Apparates mit einem anderen.

In seinem Verständnis sollten die Arbeiter:innen ohne jegliche eigene Willensäußerung die Arbeitsbedingungen mit dem Konzern am Verhandlungstisch von der Gewerkschaftsspitze ausmachen lassen. Streiks müssten mit „Augenmaß“ geschehen, sonst hätten sie negative Folgen für die Arbeiter:innen. In einem Statement schreibt die EVG:

„Diese GDL kämpft um ihr Überleben und nimmt dabei den Verlust von Arbeitsplätzen und die Verschlechterung von Beschäftigungsbedingungen in Kauf. Die EVG hat mit dem Bündnis für die Bahn rechtzeitig die Grundlage für die Bewältigung der Schäden durch die Pandemie geschaffen.“

Im „Bündnis für die Bahn“ sitzt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von der EVG zusammen mit dem Konzern und dem Bund als Eigentümer, vertreten durch Verkehrsminister Andreas Scheuer, an einem Tisch. Gemäß der Sozialpartnerschaft ordnet sich die Gewerkschaftsführung vollkommen der Unternehmensleitung unter. Nachdem die Bahn in Folge der Corona-Pandemie letztes Jahr 5,7 Milliarden Euro Verlust machte, gab die EVG die Kosten der Krise an ihre Mitglieder weiter und schloss im März 2021 kampflos mit einer Nullrunde ab. Anfang 2022 steigen die Löhne dann um 1,5 Prozent, was allerdings deutlich unter der für 2021 prognostizierten Inflationsrate von 2,9 Prozent liegt.

Die EVG-Spitze wertet die Zurückhaltung als Erfolg, weil für die Laufzeit des Tarifvertrages bis März 2023 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen seien. Doch der Bahnvorstand nutzt die Logik des kampflosen Verzichts bereits aus. So hat er angekündigt, die betriebliche Zusatzrente zu streichen. Die EVG will darüber nachverhandeln, aber einen Kampfplan zur Verteidigung gegen die Kürzung hat sie nicht. Wie will sie sich gegen mögliche Angriffe in der Zukunft wehren, wenn sie schon jetzt nicht bereit ist zu kämpfen?

Wird die Deutsche Bahn zerschlagen?

Eine große Umstrukturierung der Bahn und damit verbundene Angriffe auf die Arbeitsbedingungen sind bereits in der öffentlichen Debatte. Anfang August hat ein Bündnis aus Fahrgastverbänden, Konkurrenten der Deutschen Bahn, Bauunternehmen und sogar mit dem GDL-Chef Claus Weselksy eine Erklärung veröffentlicht, in der sie die Trennung von Netz und Betrieb fordern. Das würde bedeuten, dass eine öffentliche, durch Steuern finanzierte Gesellschaft die Infrastruktur wie Schienen und Bahnhöfe betreiben würde. Der Zugverkehr würde aber auf dem Markt für private Bieter ausgeschrieben, diese würden dann auch die Gewinne einstreichen. Das staatliche Monopol mit der Deutsche Bahn AG würde zerschlagen werden. Dieses Modell wird auch von Grünen und FDP befürwortet. Damit könnte eine Bahnreform 2.0 zur Agenda einer neuen Bundesregierung werden.

Die Folgen wären drastisch: Wettbewerb auf allen Strecken mit einer entsprechend großen Schwankung der Qualität der Beförderung. Für die Beschäftigten hieße es eine Zersplitterung der Tariflandschaft: Bei jedem einzelnen Betreiber könnten unterschiedliche Verträge gelten. Heute sind die Lokführer:innen einer der mächtigsten Sektoren der deutschen Arbeiter:innenklasse. Sie sind in der Lage dem deutschen Kapital und dem Staat einen Kampf auf Augenhöhe zu liefern. Doch bei einer Zersplitterung des Verkehrswesens könnten sie sich in kleinen regionalen Grabenkämpfen gegen einzelne Betreiberfirmen wiederfinden. Ein Szenario, das es unbedingt zu verhindern gilt.

Die EVG wirft der GDL den Versuch vor, „den Bahnkonzern zu spalten und im Sinne der Wettbewerber zu schwächen“. Tatsächlich hat sich Weselsky mit seiner Unterstützung für eine Bahnreform 2.0 für die Privatisierung des Netzes ausgesprochen. Wenn es mehrere Teilfirmen gäbe, könnte er sich in einigen von ihnen als Vorstand der dominierenden Gewerkschaft wiederfinden.

EVG, GDL und Ver.di müssen ihre Mitglieder kampfbereit machen

Doch es wäre falsch – wie die EVG-Führung es tut – den Streikenden der GDL den Versuch der Zerschlagung ihres Betriebes zu unterstellen. Die Interessen von Weselskys bürokratischem Apparat stehen den Streikenden direkt entgegen. In der aktuellen Tarifauseinandersetzung geht es für sie primär darum, die Lohn- und Rentenkürzungen abzuwehren und überhaupt ihr Streikrecht zu verteidigen, das sie vom Tarifeinheitsgesetz bedroht sehen.

Währenddessen unternimmt die Bürokratie der EVG nichts, um ihre Mitgliedschaft für kommende Auseinandersetzungen bis hin zu einer Verteidigung der Einheit der Bahn in Stellung zu bringen. Im Gegenteil hat sie sich durch das „Bündnis für die Bahn“ in Abhängigkeit vom Wohlwollen des Konzerns und eines Verkehrsministers Scheuer begeben, für den die Autoindustrie schon immer erste Priorität hatte.

Was heute fehlt, ist eine eigene Antwort der Arbeiter:innenklasse auf Verkehrswende und Strukturwandel. Die Krise darf nicht mit Lohnverzicht von den Beschäftigten bezahlt werden. Das würde bedeuten, den Beruf der ohnehin schon überarbeiteten Lokführer:innen und der Servicekräfte unattraktiver zu machen und Personalmangel zu riskieren. Um die Zukunft der Bahn im Interesse der Beschäftigten zu lösen, bedarf es Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie die Verstaatlichung der Großindustrie und Infrastruktur unter Kontrolle der Arbeiter:innen um eine gesamtgesellschaftliche Planung der Wirtschaft zu ermöglichen.

Um das zu erreichen, müssen sich die Gewerkschaften aus der Sozialpartnerschaft lösen und ihre Mitgliedschaft kampfbereit machen. Dies gilt nicht nur für EVG und GDL. Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, die etwa Teile des Nahverkehrs und der Servicebereiche der Bahnhöfe organisiert, muss eine solche Perspektive entwickeln. Der Kampf darf auch nicht getrennt von den Kolleg:innen der Automobilindustrie stattfinden, nur mit ihnen zusammen wird es möglich sein, moderne und umweltfreundliche Verkehrskonzepte zu entwickeln.

Auf dem Weg dorthin ist es notwendig, dass die DGB-Gewerkschaften den GDL-Streik unterstützen, indem sie öffentliche Solidarität bekunden und indem sie Betriebsversammlungen einberufen, auf denen über die Zukunft der Bahn diskutiert wird. Die Demokratisierung der Diskussion ist auch für die GDL notwendig, damit Weselsky nicht nach eigenem Ermessen die Privatisierung des Betriebes fordern kann. Schließlich müssen EVG und Ver.di zu Urabstimmungen aufrufen, bei denen die Beschäftigten über die Aufkündigung der aktuellen Tarifverträge und die Aufnahme von Streiks abstimmen können. Denn der aktuelle von der EVG ausgehandelte Tarifvertrag bedeutet vor allem Lohnverlust und die Unmöglichkeit, sich zu wehren – ein Umstand der sich bei größeren Umstrukturierungen oder Sparmaßnahmen bitter rächen könnte.

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