„Wir sind die Töchter“: Mit welchen Inhalten gegen Rassismus und Sexismus kämpfen?
Frauen gehen gegen Merz' Rassismus demonstrieren. Unter ihnen stellen "Töchter" um Luisa Neubauer und Ricarda Lang zehn Forderungen auf – wir diskutieren sie.
Zehntausende demonstrierten bundesweit gegen den immer offener zur Schau gestellten Rassismus von Friedrich Merz zum „Stadtbild“ und seinem Nachschlag, die Leute sollten doch ihre „Töchter“ fragen, was sie darunter verstehen – eine Anspielung auf die Legende, deutsche Frauen seien durch ausländische Männer in Gefahr. Damit versucht der Bundeskanzler, die Sicherheit von Frauen gegen Migrant:innen zu instrumentalisieren, dies ließen sich die Menschen auf den vielen Kundgebungen und Demos nicht gefallen. Ein wichtiges Zeichen der Solidarität, das zahlreiche Mobilisierungen dieses Jahres gegen Rechts fortsetzt.
Innerhalb des Protests gegen Merz haben zahlreiche Aktivist:innen, Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und Kulturschaffende einen offenen Brief geschrieben, der sich an den Bundeskanzler wendet. Damit versuchen unter anderem Luisa Neubauer und Ricarda Lang (beide Bündnis 90/Die Grünen), die sich auch versuchten, an die Spitze der Bewegung zu stellen, feministisch in die Debatte einzugreifen. Sicher haben viele in den Zeitungen und auf Social Media ihren Titel gelesen: „Wir sind die Töchter – 10 Forderungen an Friedrich Merz für unsere Sicherheit“. Wir möchten hier darüber sprechen, welche konkreten Forderungen sie dabei aufstellen, welche davon richtig sind, wie sie umgesetzt werden können – und welche ein Problem darstellen, weil sie sich dem autoritären „Sicherheitsdiskurs“ anpassen, anstatt ihn zu bekämpfen.
Über die Verbindung von demokratisch-feministischen und sozialen Forderungen in Streiks
In der Einleitung schreiben die Autor:innen des offenen Briefs: „Wir möchten gerne über Sicherheit für Töchter, also Frauen sprechen. Wir möchten es allerdings ernsthaft tun, und nicht als billige Ausrede dienen, wenn rassistische Narrative rechtfertigt werden sollen. Betroffene von Sexismus und Betroffene von Rassismus dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.“
Im Text selbst kommen eine ganze Reihe wichtige feministische Forderungen vor, die gleichzeitig auch soziale Forderungen sind, etwa „ausreichend finanzierte Frauenhäuser und Schutzräume“, mit Zugang auch für Frauen mit Behinderung oder Sprachbarrieren, ohne rassistische Zugangsbeschränkungen. Dies ist gerade in Zeiten der angekündigten und bereits stattfindenden Kürzungspolitik zentral. Gegen die Sozialkürzungen und für Masseninvesitionen in Soziales, Bildung und Gesundheit auf die Straße zu gehen sollte im Zentrum eines „heißen Herbstes“ und Winter stehen, besonders in Verbindung mit den anstehenden Mobilisierungen zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November – denn Kürzungen sind strukturelle Gewalt. Auch die von den Unterzeichner:innen genannte Altersarmut ist ein feministisches Thema, das dringend auf der Tagesordnung steht. Um ein würdiges Leben im Alter zu erreichen, werden dabei Petitionen aber nicht reichen, sondern nur Streiks der Arbeiter:innen aller Geschlechter, wie in Frankreich oder Italien, helfen – mit Frauen in der ersten Reihe. Das heißt auch Mobilisierung gegen die neue sogenannte Grundsicherung, die nicht weniger ist als ein antifeministischer Angriff auf die Arbeiter:innenklasse.
Die Autor:innen fordern auch gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die Stärkung der finanziellen Unabhängigkeit von Frauen, zumal Frauen in gewalttätigen Beziehungen – über die Merz nicht sprechen will, der noch in den 1990ern für die Legalität der Vergewaltigung in der Ehe war – es sich oft nicht leisten können, aus der Beziehung auszubrechen und eine eigene Wohnung zu haben. Sie fordern die absolut überfällige Reform von §218 und §219 aus dem Strafgesetzbuch, die Schwangerschaftsabbrüche immer noch illegalisieren und damit die Gesundheit von Frauen gefährden. Wir fordern darüber hinaus ihre völlige Abschaffung und das Recht auf legale, sichere und verfügbare Schwangerschaftsabbrüche, sowie massive Aufklärung an Schulen und kostenlose Verhütungsmittel für alle. Außerdem fordern wir kostenlosen und unbürokratischen Zugang zu allen Maßnahmen der Transition von trans und nicht-binären Menschen.
Wir denken außerdem, dass demokratisch-feministische Forderungen wie Selbstbestimmung über den eigenen Körper mit sozialen Forderungen für alle wie höherer Lohn am Krankenhaus (in denen oft Frauen und Migrantinnen arbeiten) und antirassistischen Forderungen wie Bleiberecht für alle verbunden gehören. Möglich ist dies etwa auf dem nach dem dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen folgenden Streik zum Tarifvertrag der Länder (TV-L), wozu etwa die Universitätskliniken gehören. Hier treten wir für die Selbstorganisierung der Arbeiter:innen und Unterstützungskomitees seitens Schulen, Hochschulen und Unis ein, die den Streik politisieren und mit demokratischen Streikversammlungen zum Streik der Arbeiter:innen selbst machen. Außerdem braucht es programmatisch statt Einmalzahlungen einen vollen Inflationsausgleich (gleitende Lohnskala mit automatischer Anpassung der Löhne an die Inflation) und statt Personalkürzung wie sie momentan an Krankenhäusern stattfindet brauchen wir eine Senkung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Nur so können Frauen und alle Geschlechter im Gesundheitswesen sicher arbeiten und genug verdienen, um selbstbestimmt zu leben und zu wohnen.
Das Subjekt hierin sehen wir nicht in Frauen im Allgemeinen, denn es gibt Frauen, die ausbeuten (etwa die Geschäftsführerin eines Klinikums, die Kürzungen gegen andere Frauen durchsetzt) und Frauen, die andere Frauen und Migrant:innen unterdrücken (etwa die Polizistin, die eine Frau und ihre Familie nach Afghanistan abschiebt oder Frauen auf Palästinademos verprügelt). Sondern das Subjekt ist die Arbeiter:innenklasse und arbeitende Frauen stehen hier in der ersten Reihe, wenn sie sich in Bewusstsein für ihre Klasse organisieren.
Unsere Methoden und unser Programm unterscheiden sich bereits hier grundlegend von Neubauer und anderen, die lediglich eine Petition mit Minimalforderungen an die Regierung richten, ohne eine Perspektive, sie selbst zu erkämpfen. Das Staatsvertrauen dahinter, und das fehlende Vertrauen in die Massen der Bevölkerung selbst, sollen uns noch weiter befassen. Denn darüber hinaus gibt es ein Problem an der ganzen Konzeption von Neubauer, Lang und anderen, die nämlich Sicherheit von Frauen nicht durch Selbstorganisierung, Erziehung und strukturelle Revolutionierung von Produktion und Reproduktion gewährleisten wollen – sondern in erster Linie durch Überwachen und Strafen, mit den Mitteln des kapitalistischen Staates und seiner Polizei. Sehen wir uns also die weiteren Forderungen an, die sich dem Gedanken des autoritären Ausbaus des Staats zum Teil anpassen.
Mit noch mehr Überwachung und Polizei gegen Merz?
Punkt eins und zwei der Petition richten sich unmittelbar an die staatlichen Repressionsorgane. Aber nicht deren Abbau wird gefordert – nachdem die Polizei etwa in Berlin massiv Gewalt gegen Frauen ausübt, etwa in der Palästinabewegung oder bei Zwangsräumungen von Wohnungen, was unerwähnt bleibt –, sondern im Gegenteil deren Ausbau. So fordern die Unterzeichner:innen nicht den Abbau von Polizei, sondern „Schulungen für Polizei und Justiz zu geschlechtsspezifischer Gewalt“, im nächsten Punkt die „Überwachung öffentlicher Räume“. Dies wären normalerweise wohl keine Forderungen, die die vielen Unterzeichner:innen erheben würden, sondern sie versuchen hier, auf die Debatte um „Sicherheitspolitik“ feministisch zu antworten. Allerdings geben sie damit dem Autoritarismus bereits die Hand, und fordern dabei genau das, was Merz umsetzen will – mehr Befugnisse für die Polizei und mehr Überwachung, anstatt eine konsequente Opposition aufzubauen.
Die sagen, sie lassen sich nicht für Merz’ rassistische Hetze instrumentalisieren, doch wen schützt diese vermeintliche Sicherheitspolitik eigentlich beziehungsweise wer wird von dieser betroffen sein? Der Ausbau von Polizei und Überwachung bedeutet mehr Racial Profiling, mehr Abschiebungen und mehr Kontrolle über arme Menschen und Migrant:innen. Trotzdem soll ausgerechnet die Polizei Frauen „schützen“, eine Institution, die rassistische Gewalt tagtäglich praktiziert, eine Institution, die sehr weit rechts ist, die die Interessen von Kapitalist:innen durchsetzt und strukturell machistisch und gewalttätig gegen Frauen und Queers ist – etwa für Wohnungskonzerne, für Kapitalist:innen in Streiks, in skandalöser Repression gegen Parlamentarier:innen bei der Palästinabewegung, gegen den Frauen*kampftag am 8. März, gegen psychisch Kranke und viele weitere Anlässe mehr. Diese Polizei kann nicht „reformiert“ werden, sie gehört zum kapitalistischen Staat und gehört abgeschafft, nicht „geschult“.
Auch die Videoüberwachung ist keine Maßnahme, die Frauen schützt. Tatsächlich hilft Videoüberwachung nicht gegen Gewalt und Femizide, sonst wäre das Vereinigte Königreich ein sicherer Ort für Frauen, weil dort große Teile der Öffentlichkeit mit „CCTV“ videoüberwacht werden. Ist es aber nicht. Videoüberwachung schützt vor allem kapitalistisches Eigentum und verdrängt Gewalt bestenfalls. Gleichzeitig kann Videoüberwachung von autoritären Regierungen und Nazis in Polizei und Verwaltungen eingesetzt werden, um politisch unliebsame Frauen und Queers zu beobachten und zu verfolgen – der berühmte „Big Brother“ lässt grüßen.
Weiterhin fordern die „Töchter gegen Merz“ die „Lückenlose Durchsetzung des Digital Service Acts“ (DSA), also einer EU-Richtlinie zur Regulierung von digitalen Dienstleistungen, im Rahmen des Schutzes vor „digitaler Gewalt und Rassismus im Netz“. Dies klingt zunächst einmal gut, gibt es doch massive rechte Anfeindungen im Netz gegen Frauen, Queers, Migrant:innen und Linke im Netz, bis hin zu schlimmsten Drohungen. Allerdings ist das DSA auch ein Überwachungs- und Zensurinstrument der Europäischen Union. So geht die Umsetzung mit sogenannten Trusted Flaggers einher („vertrauenswürdige Hinweisgeber“) – und dies ist nichts als eine Neusprech-Formulierung für Zensor:innen. Sie sollen Social Media nach beliebigen Postings und Kommentaren durchforsten und diese zur Löschung markieren – das können natürlich rassistische und sexistische Beiträge sein, aber ebenso palästinasolidarische oder polizeikritische, die gegen die „deutsche Staatsräson“ verstoßen. Auch die Unterstützung für das DSA ist also eine autoritäre Form des Feminismus.
Für einen sozialistischen statt eines strafenden Feminismus
Die Überwachungsforderungen schließen an einen „strafenden Feminismus“ an, der Maßnahmen wie die elektronische „Fußfessel“ anknüpft, die es in den USA lange gibt, ohne dass dort Femizide bekämpft würden. Im Gegenteil werden in den USA besonders viele indigene Frauen, Schwarze Frauen und trans Frauen ermordet, auch durch die Polizei. Ebenso wie die öffentliche Überwachung kann eine Maßnahme wie die „Fußfessel“ auch ausgedehnt werden auf angebliche „Terrorist:innen“ oder „Staatsfeind:innen“, womit politisch ziemlich beliebige Personengruppen gebrandmarkt werden können – auch Frauen. Fälle von islamistischem Terror oder sexualisierter Gewalt werden immer wieder instrumentalisiert, um gegen Migrant:innen zu hetzen. Damit wird unterstellt, patriarchale Gewalt käme „von außen“, während die Gewalt, die tagtäglich in den eigenen vier Wänden in Beziehungen, am Arbeitsplatz oder durch staatliche Institutionen stattfindet und komplett ausgeblendet wird.
Im Kern aber kann ein strafender Feminismus gar nicht Gewalt gegen Frauen stoppen, weil er nicht an dessen Ursachen im Kapitalismus ansetzt. Die Polizei schützt Eigentum, das bestehende System und eben auch Grenzen – und nicht Arbeiter:innen und Unterdrückte. Rassistische Kontrollen, Abschiebungen und Polizeigewalt sind mittlerweile schon Alltag und für migrantische Frauen kann der Gang zur Polizei sogar lebensgefährlich sein, weil er Abschiebung oder Inhaftierung bedeuten kann. Es ist nicht nur widersprüchlich, „patriarchale Unterdrückung bekämpfen zu wollen, indem man repressiven Institutionen mehr Macht verleiht„, wie Josefina Martinez argumentiert:
„Die Logik des Punitivismus (etwa: strafender Feminismus, Anm. d. Aut.) stärkt die Macht des Staates und seiner repressiven Kräfte, während sie Frauen als individuelle Opfer sieht und nicht als kollektive Subjekte, die für die Veränderung der strukturellen Verhältnisse des Patriarchats, des Kapitalismus, des Rassismus und der Prekarität kämpfen und sich einsetzen können. Diejenigen von uns, die Emanzipation anstreben, sind hingegen der Ansicht, dass Fortschritt nur möglich ist, wenn wir eine Vereinigung und Verknüpfung aller unterdrückten Bereiche erreichen, und nicht ihre Zersplitterung.“
Statt eines institutionalistischen Feminismus, der überwacht, straft und dem bürgerlichen Staat vertraut, treten wir daher für einen sozialistischen Feminismus ein, der Frauen als Arbeiterinnen an der Spitze der Arbeiter:innenbewegung gegen den Kapitalismus und Imperialismus organisiert. Gegen Gewalt schlagen wir daher wie zu den Streiks im Herbst und Winter angesprochen Komitees an Schulen, Unis, Hochschulen und in Betrieben vor, die nicht nur unmittelbar gegen patriarchale Gewalt aktiv werden, sondern in Streiks und sozialen Kämpfen die kapitalistischen Bedingungen dieser Gewalt bekämpfen – und aufheben können, indem die reproduktive Arbeit (etwa kochen, putzen, Kinder erziehen, alte und kranke Menschen pflegen) vergesellschaftet und die Produktion unter Arbeiter:innenkontrolle enteignet wird.
Die Bildung von Kommissionen von Frauen und Queers an ihren Arbeits- und Studienorten ist dabei Teil des Kampfes für die Selbstorganisation als Arbeiter:innen und Studierendenbewegung. Damit wird das Regime von Sexismus, Ausbeutung, Prekarität und Rassismus, das Merz ausgezeichnet verkörpert, als Ganzes in Frage gestellt. Es ist dafür unabdingbar, wie wir in früheren Artikeln diskutiert haben, dass die Gewerkschaften Forderungen gegen Rassismus und Sexismus aktiv aufgreifen und politische Streiks unterstützen. Auch das bedeutet, sich mit den Gewerkschaftsbürokratien und den Bürokratien sozialer Bewegungen zu befassen, die feministische und antirassistische Kämpfe von ökonomischen Kämpfen trennen. Dies sind Aufgaben eines sozialistischen Feminismus, wie er international von „Brot und Rosen“ vertreten wird.
Zum Weiterlesen: Internationale Brot-und-Rosen-Erklärung: Gegen Trump, den Imperialismus und seine Verbündeten! vom 6. März 2025