„Wir brauchen mehr, effektivere, spontanere Streiktage“ – Interview mit einem Amazon-Arbeiter

22.09.2016, Lesezeit 4 Min.
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Arbeiter*innen bei Amazon kämpfen seit mehr als drei Jahren für einen Tarifvertrag. Nicht wenige wünschen sich einen kämpferischeren Kurs von der Gewerkschaft ver.di. Ein Interview mit Bert Hoffmann (Name geändert), Arbeiter und ver.di-Mitglied bei Amazon in Bad Hersfeld.

Gestern war wieder ein Streik bei Amazon im hessischen Bad Hersfeld. Wie lief es?

Heute gab es zum ersten Mal seit Langem wieder einen Streiktag. Etwa 400 Kolleg*innen waren draußen – ein Erfolg. Aber einige, die sonst immer mit draußen waren, haben sich entschieden trotzdem zu arbeiten.

Die ersten Streiks bei Amazon in Deutschland fanden vor dreieinhalb Jahren in Hersfeld statt. Inzwischen haben tausende Arbeiter*innen an acht Standorten am Arbeitskampf teilgenommen. Wie läuft es dieses Jahr?

Im Moment läuft eigentlich gar nichts. Mehr als heiße Luft kommt zur Zeit nicht von ver.di. Im laufenden Jahr gab es verhältnismäßig wenige Streiktage – wahrscheinlich weniger als zehn. Die Gewerkschaft möchte die Streiktage dieses Jahr wohl eher gering halten. Aber damit kann man keinen Kampf gewinnen.

Amazon breitet sich schnell auf dem deutschen Markt aus und eröffnet neue Versandzentren für Prime-Kund*innen. Was passiert dort?

Wenn es nach Amazon ginge, würden sie die ganze Welt beherrschen und den stationären Einzelhandel kaputt machen. Die Versandzentren, die ausschließlich Prime-Bestellungen bearbeiten, sind meistens in Ballungszentren wie zum Beispiel Berlin. Hier können die Kund*innen ihre Waren mit einer speziellen App innerhalb von Stunden geliefert bekommen. Da versucht man natürlich mit allen Mitteln die Bestellungen so schnell wie möglich zu bearbeiten. Das bedeutet viel Stress und Zeitdruck für die Mitarbeiter*innen.

Was könnte die Gewerkschaft ver.di jetzt machen?

Wir sollten uns erstmal fragen, was wir Mitglieder machen können! Oder speziell ich. Denn ver.di ist eine Mit-Mach-Gewerkschaft – da sollte man sich natürlich als Allererstes selbst mit einbringen und auch mal den Mund aufmachen.

Aber auch ver.di sollte den Mitgliedern entsprechend zuhören und sie wertschätzen. Denn sie sollte nicht vergessen, dass die Basisarbeit von Kolleg*innen vor Ort gemacht wird. Diese wissen ganz genau, wie der Hase im jeweiligen Versandzentrum läuft und nicht umgekehrt.

Wie ist die Stimmung in der Belegschaft?

Viele streikende Kolleg*innen verstehen die Logik und die Strategie nicht, die ver.di zur Zeit fährt. Viele Möglichkeiten werden einfach gar nicht ausgenutzt, die Amazon in die Bredouille bringen könnten. Viele sind auch der Meinung, dass die „Nadelstichtaktik“ von einzelnen Streiktagen nichts bringt. Wir sollten Amazon immer deutschlandweit bestreiken.

Sobald ein Standort in Deutschland bestreikt wird, setzt Amazon die ganze Logistik in Kraft und legt die Aufträge auf die anderen Versandzentren um – sogar bis nach Frankreich, Polen oder England. Deshalb kann es dann auch zu Verspätungen bei den Lieferungen kommen, weil sie längere Transportwege haben oder einfach nicht hinterher kommen.

Die Stimmung ist eigentlich gar nicht so gut. Viele vertrauen ver.di einfach nicht mehr oder sind nicht mehr mit der Gewerkschaft zufrieden. Manche Leute streiken nicht mehr oder treten aus ver.di aus, weil sie das Verhalten der Gewerkschaft nicht mehr hinnehmen wollen. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirke hat Amazon zur Chefsache gemacht – aber mehr als Parolen und heiße Luft kam da nie rüber.

Was wäre nötig, das Blatt in diesem sehr langen Arbeitskampf zu wenden?

Man sollte Amazon viel mehr unter Druck setzen und den Kuschelkurs beenden. Wir befinden uns im Arbeitskampf und nicht beim Kaffeeklatsch. Dafür brauchen wir mehr, effektivere und spontanere Streiktage – am Besten deutschlandweit. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern die von vielen Kolleg*innen hier.

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