STIKO setzt queerfeindliches Narrativ fort

10.06.2022, Lesezeit 5 Min.
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Bild: Diario de Madrid (CC)

Die STIKO sprach gestern eine Impfempfehlung gegen Affenpocken aus. Dabei werden in der Risikogruppe homosexuelle Männer mit wechselnden Sexpartner:innen eingeordnet. In diesem Kommentar wird auf das dahinterstehende queerfeindliche Narrativ eingegangen und über weitergehende Aspekte der sexuellen Gesundheit und Verhütung diskutiert.

Gestern veröffentlichte die STIKO eine Impfempfehlung für eine Impfung gegen Affenpocken für Risikogruppen. Folgende Menschen werden demnach als Risikogruppen eingeordnet: Laborpersonal, das mit infektiösen Proben zu tun hat, und generalisiert alle homosexuellen Männer, die wechselnde Sexpartner:innen haben, in ganz Deutschland.

Jetzt, nach über zwei Jahren Coronapandemie ist die Angst vor einer neuen Pandemie natürlich groß, auch deswegen, weil wir gesehen haben, dass das kapitalistische System, in dem wir leben, Profite über unsere Leben stellt. Es ließ uns in dieser Zeit arbeiten, während massiv das Privatleben eingeschränkt wurde und machte mit lebensrettenden Impfstoffen Milliarden, obwohl dadurch Menschen sterben. Und bis heute sind die Patente auf die Impfstoffe geschlossen.

Schon die ersten medialen Berichterstattungen über Affenpocken fielen durch Rassismus auf. Es wurden fast ausschließlich Körper von PoC in Titelbildern gezeigt. Neben der rassistischen Stigmatisierung, die wir ja auch beim Aufkommen der Coronapandemie erlebt haben, bringt die Empfehlung der STIKO jetzt eine weitere Stigmatisierung, eine queerfeindliche mit sich.

Ja, Affenpocken können bei nahem körperlichen Kontakt, wie sexuellen Handlungen, übertragen werden. Aber, und das sollten wir aus Reflektion der Berichterstattung zu HIV wissen, jede Person, unabhängig ihres Geschlechtes und ihrer sexuellen Orientierung, kann sich mit diesen Krankheiten anstecken.

Bei Personen, die beim Sex eine Schwangerschaft vermeiden wollen, macht man sich vielleicht nochmal mehr Gedanken, doch Verhütung von Schwangerschaft ist nicht gleich Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten.

Neben einer Verfestigung der Stigmatisierung, die homosexuelle Männer dadurch erleiden, und die auch, wie wir täglich mitbekommen, in queerfeindlicher Gewalt enden kann, ist eben diese „Auslagerung“ auf schwule Männer für alle eine Gefahr: jede:r kann sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten anstecken, auch Personen außerhalb der sogenannten Risikogruppen (worunter bei den Gesundheitsämter „Männer, die Sex mit Männer haben“ fallen). Sich nur vor Schwangerschaften zu schützen, weil man sich in Sicherheit wiegt, führt zu Ansteckungen.

Durch Vorurteile, die ja auch von staatlichen Institutionen wie Gesundheitsämtern oder bei Gesetzen wie zum Beispiel zum Blut spenden getragen werden, bekommen Menschen aus Nicht-„Risikogruppen“ die Message: Du bekommst keine sexuell übertragbaren Krankheiten, du hast ja keinen Sex mit eben diesen Menschen. Das resultiert darin, dass sich eben nicht alle Menschen regelmäßig auf solche Krankheiten testen lassen beziehungsweise dafür gar nicht die Möglichkeit bekommen.

Bei meinem ersten HIV-Test im Gesundheitsamt in Berlin musste ich erst mit der Mitarbeiterin dort diskutieren, dass die Tatsache, dass ich bereits mehrere Sexpartner:innen hatte und mein Partner und ich jetzt Sex ohne Kondom miteinander haben wollen, ausreichen sollte, einen HIV Test machen zu dürfen. Im Endeffekt hat es das nicht und ich musste fürs Protokoll angeben, dass uns neulich das Kondom gerissen wäre. Queere Freund:innen von mir hätten einen Test ohne Diskussion sofort machen können.

Genauso wie man in ländlichen Regionen, wo es viel weniger Testzentren für sowas gibt, krass mit Ärzt:innen diskutieren muss, bis man sich testen lassen kann. Und das am Ende sogar gar nicht darf. Eine Freundin von mir hat ihrem Frauenarzt erzählt, dass sie sowohl mehrere wechselnde Sexpartner:innen in letzter Zeit hatte, als auch nicht immer konsequent sicheren Sex, und sich deswegen gerne, notfalls selbstbezahlt, einmal komplett testen lassen will. Die Antwort ihres Arztes war, dass es das ja nicht braucht und er das nicht macht, denn “Sie wirken ja wie eine nette junge Dame”. Derartige Stigmatisierungen von sexuell übertragbaren Krankheiten (STIs) führen auch dazu, dass es eine gigantische Lücke in der Aufklärung für Jugendliche und Erwachsene gibt, wie sicherer Sex zwischen zwei Personen mit Vulva ablaufen kann, denn ja, auch da kann man sich mit Krankheiten anstecken.

Was wir also statt stigmatisierenden Aussagen brauchen, die Queerfeindlichkeit und damit einhergehende Gewalt anheizen, ist umfassende Sexualaufklärung für alle, egal welchen Geschlechts und welcher Sexualität. Die erklären, wie wichtig es ist, sich gerade bei wechselnden Sexualpartner:innen regelmäßig testen zu lassen. Wo auch darüber gesprochen werden muss, was Einvernehmen bedeutet, und welchen Stellenwert Lust beim Sex haben sollte.

Ebenfalls braucht es dazu auch mehr Orte um sich jederzeit kostenlos testen zu lassen, wo man nicht erst diskutieren muss, dass man sich testen lassen kann obwohl man eine Vulva hat beziehungsweise schon gleich stigmatisiert wird, weil man ein queerer Mann ist. Zusätzlich dazu muss es einen kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln geben, sowohl zu solchen, die nur vor Schwangerschaft schützen, als auch zu denen, die vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützen, um allen Menschen, unabhängig ihrer finanziellen Situation zu ermöglichen, sich wirksam zu schützen.

Die Affenpocken sind, auch wenn sie keine sexuell-übertragbare Krankheit im engeren Sinne sind, nur eine weitere unter vielen Krankheiten, die beim Sex übertragen werden können. Alle Impfstoffe dafür sollten allen wirklichen Risikogruppen bereitgestellt werden. Es braucht eine wirkliche, fachlich richtige Aufklärung über diese Krankheit und keine rassistische oder queerfeindliche Berichterstattung.

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