„Stadtbild“: Für gemeinsame Streiks gegen Rassismus, Militarisierung und Kürzungen!
Mit seinen Äußerungen zum „Stadtbild“ zeigt der Bundeskanzler unmissverständlich, dass sein Rassismus nicht auf Geflüchtete beschränkt bleibt. Wir brauchen eine Antwort auf den Straßen, in den Betrieben, Unis und Schulen.
„Bei der Migration sind wir sehr weit“, sagte Friedrich Merz (CDU) nach Gespräch mit Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), und dann: „Wir haben (…) die Zahlen August 24 August 25 im Vergleich um 60 Prozent nach unten gebracht (…), aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen“. Seitdem hat der Bundeskanzler nochmal nachgelegt, er nehme nichts zurück und man sollte doch seine Töchter fragen, was das bedeute.
Union-Fraktionschef Jens Spahn setzte in der BILD nach: „Schauen Sie sich einen Hauptbahnhof an, in Duisburg, in Hamburg, in Frankfurt (…) Verwahrlosung, Drogendealer, junge Männer, meistens mit Migrationshintergrund, meistens Osteuropa oder arabisch-muslimischer Kulturraum. Das hat auch mit irregulärer Migration zu tun, wie es in unseren Innenstädten, auf den Marktplätzen ausschaut.“ Vereinzelt gab es Kritik aus der eigenen Partei, die durch die AfD immer mehr auseinandergerissen wird, aber im Ganzen ist die Unionslinie klar – es geht weiter nach rechts.
Blinken zur AfD bei Union, SPD und BSW
Bezeichnenderweise ließ SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke, den Merz bei seiner Aussage in Potsdam besuchte, den Kanzler unkommentiert. Dieser öffnete kurz darauf von Seiten der SPD die Tür zur Zusammenarbeit mit einer „gemäßigteren“ AfD: Diese solle „Extremisten“ rauswerfen und wenn „sie soweit ist“, so Woidke, „können sie sich bei uns melden. Und dann werden wir auch gerne mit einer – dann anderen – AfD zusammenarbeiten.“ Unterstützung bekam er dabei direkt von seinem Koalitionspartner, dem brandenburgischen BSW. Auch in der CDU kocht die Debatte über die Zusammenarbeit mit der AfD wieder auf, die eigentlich ja bereits längst erledigt ist – hatte doch der Kanzler selbst kurz vor der Wahl im Bundestag gemeinsame Sache mit der AfD gemacht und damit Massenproteste gegen Rechts verursacht.
So wundert es nicht, dass das „Stadtbild“ als Chiffre für Rassismus schon von der AfD selbst verwendet wurde, etwa im Gelsenkirchner Wahlkampf für „eine saubere Heimat mit einem gepflegten Stadtbild“. Aber auch CSU-Chef Markus Söder hatte den Begriff im September im Interview mit dem Münchner Merkur schon in Zusammenhang mit Abschiebungen verwendet: „Das Stadtbild muss sich wieder verändern. Es braucht einfach mehr Rückführungen.“
Einige „Kritiken“ an Merz sind dermaßen giftig, dass sie ihm eigentlich im Kern recht geben. So Martin Hikel (SPD) etwa, Bezirksbürgermeister Berlin-Neukölln, der auf das Thema angesprochen Wohnungsnot in seinem „Stadtbild“ beklagt. Er möchte die Themen Migration und Stadtbild zwar nicht „vermischen“, hält „Rückführungen“ (also Abschiebungen) aber für notwendig. Merz Aussage findet er in der „Verkürzung“ „unwürdig“, aber möchte auf Nachfrage nicht sagen, dass es sich um Rassismus handelt – denn die Abschiebepolitik macht die SPD ja ganz genauso, nur mit einem anderen Wording.
Heuchlerisch wie gewohnt auch die Grünen. In einem offenen Brief nannten Grünenpolitiker:innen Merz‘ Aussage „rassistisch, diskriminierend, verletzend und unanständig“. Das ist richtig, allerdings hatten die Grünen in den drei Jahren vor Merz alle Abschiebegesetze unterschrieben, die Merz genau diesen Rassismus erlauben. Albern also, wenn sich eine Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen) in einem Protest mit der professionellen Selbstdarstellerin Luisa Neubauer vor die CDU-Zentrale stellt und mit ihr gemeinsam behauptet, sie seien die von Merz sexistisch angegriffenen „Töchter“. Währenddessen tweetete Parteikollegin Katrin Göring-Eckardt ein Halloumi-Döner Bild mit Begleittext: „Ich hatte heute Stadtbild„, und bewies einmal mehr, wie weit ihre Partei eigentlich von seriösem Antirassismus entfernt ist. Wie die SPD treten die Grünen lediglich demokratisch für ihr eigenes schrumpfendes Klientel auf, für die Abschiebeziele eines Merz interessieren sie sich nicht oder stimmen ihnen sogar zu. Selbst wenn sie auf Demos gegen Rechts aufrufen, unterstützen SPD und Grüne damit die AfD, dass sie durch ihre Abschiebegesetze und Abschiebe-Durchführungen in in den von ihnen Ländern – teils mit der Linkspartei zusammen – den offenen Rassismus von Union und AfD legitimieren.
Was ist das Neue an der Situation?
Also nichts Neues unter dem Himmel Berlins? Handelt es sich nur um Diskurs, den gleichen Rassismus wie immer? Nein, so einfach ist es nicht.
Die Merz-Aussagen zeigen Migrant:innen und Postmigrant:innen, von denen inzwischen auch viele für mehr Abschiebungen sind, gar nicht wenige auch der CDU/CSU und AfD ihre Stimme geben, dass Merz nicht „nur“ Geflüchtete oder angebliche „Straftäter:innen“ meint. Sondern Merz meint auch nicht-weiße Menschen im Allgemeinen. Ohne einen umfassenderen Rassismus im „Straßenbild“ durch rassistische Polizei und Behörden sind umfassendere Kontrollpläne der Regierungen auf Bundes- und Landesebene gar nicht durchführbar.
Der Anfang 2024 von correctiv offengelegte „Geheimplan“ aus AfD-Kreisen, gegen den Millionen auf die Straße gingen, kommt nun im Kanzleramt an. Denn eine äußerliche Unterscheidung zwischen „ins Stadtbild passenden“ und „nicht ins Stadtbild passenden“ Menschen ist ja ausschließlich durch rassistische Merkmale möglich, nicht durch den Pass allein – diese rassistische Definition des Volksbegriffs ist eben gerade die taktische Diskussion innerhalb der AfD. Welchen Volksbegriff sie verwendet, daran wurde eben das Verbot festgemacht. Denn ein „völkischer“ (rassistischer) Volksbegriff von „deutsch“ ist ein offener Verstoß gegen Artikel 3 und Artikel 116 des Grundgesetzes, die Nichtdiskriminierung aufgrund der „Rasse“ vorschreiben sowie als deutsch festlegen, wer eine deutsche Staatsbürgerschaft hat. Der „Extremismus“ der AfD sickert also in die Mitte ein und damit weichen sich die ohnehin verschwommenen Grenzen auf. Die Grenzen des „Verfassungsdemokratismus“ werden deutlich, die AfD nur mit dem Grundgesetz aufzuhalten, wenn der Kanzler selbst demokratische Inhalte des Grundgesetzes in Frage stellt. Es wird uns nicht schützen.
Der Anti-Geflüchteten-Rassismus war nie nur auf Geflüchtete beschränkt, denn ihn zu etablieren bedeutet immer einen allgemeinen Rassismus zu schüren, der sich auch gegen „integrierte“ Menschen richtet. Die „Integration“ von nicht-weißen und migrantischen Menschen war also nie ein Ziel, das vor Rassismus schützt, sondern nur Unterwerfung bedeutete. Rassismus beruht auf Ungleichheit in der Gesellschaft – so lange nicht alle Menschen die gleichen Rechte haben, gibt es Boden für Rassismus, daran werden wir erinnert. Wer sich an Merz‘ Rassismus berechtigterweise stößt, sollte also auch für und mit Geflüchteten gegen Abschiebung und für Bleiberecht sowie für volle Staatsbürgerschaftsrechte auf die Straße gehen – gegen die Ungleichheit.
Die Staatsbürgerschaft stand auch schon unter der Ampelkoalition unter Beschuss. War sie es doch, die die Einbürgerung an die Frage nach dem „Existenzrecht“ Israels und damit an die deutsche „Staatsräson“ knüpfte. So kann bei der Einbürgerung seit 2024 als antisemitisch ausgelegt werden, zu behaupten, „die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen“, also einen Apartheidsstaat nicht zu unterstützen – und dies kann dazu führen, dass die Einbürgerung abgelehnt wird. Auch hier gilt: Die Heuchelei des liberalen „Antirassismus“ muss enden. Antirassismus gilt nicht nur für „manche“. Über das Einfallstor Palästina wurde staatliche Diskriminierung in Bezug auf die Staatsbürgerschaft geöffnet, jetzt wird sie von Union und AfD fortgesetzt.
Das gilt auch für einen Kampf um einen antirassistischen, antiimperialistischen und antikapitalistischen Feminismus. Merz‘ Versuch, Frauen („Töchter“) gegen Migrant:innen auszuspielen, funktioniert etwas weniger gut als sein offener Rassismus, weil Merz selbst seit Jahrzehnten als ausgemachter Sexist bekannt ist. Stimmte er doch noch 1997 gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe und rückte inhaltlich nie von der Frauenunterdrückung ab. Mit den Demos gegen ihn gibt es Anzeichen, dass er mit diesem „noch eins drauflegen“ etwas „über das Ziel hinausgeschossen“ haben könnte – insofern die feministischen Mobilisierungen es schaffen, sich gegen Abschiebungen und jegliche Form der Unterdrückung zu positionieren und gegen den kapitalistischen Inhalt der Regierung kämpfen, anstatt für einen „demokratischeren“ Kapitalismus. Es bedeutet auch mit dem Imperialismus zu brechen, mit der Idee in einer Welt voller Unterdrückung, Genozid, Hochrüstung und Ausbeutung anderer Länder in Frieden demokratisch leben zu können, ohne sich selbst gegen eben diese Unterdrückung aufzulehnen. Kurzum, es wird Zeit für neue Bündnisse der Unterdrückten und der Arbeiter:innen!
Gemeinsam streiken gegen Rassismus, Sexismus und Kürzungen
Der Rassismus von Merz und Co. erfüllt eine Klassenfunktion. Die Merz-Regierung möchte kürzen, so sehr wie seit der Agenda-Politik 2003 unter Gerhard Schröder (SPD) nicht mehr. Das Bürgergeld steht unter Beschuss, die Pflege, die Arbeitszeit. Um solche Angriffe durchsetzen zu können, setzt die Regierung unter anderem auf Rassismus und Sexismus.
Daraus leitet sich ab, dass die Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse nicht nur „ökonomisch“ zurückgeschlagen werden können. Die Regierung versucht, uns zu spalten, anhand von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität. Die falsche Schlussfolgerung wäre nun gerade ein „Ökonomismus“, der behauptet, das sei alles nur Ablenkung und man müsse sich auf „die wichtigen Fragen“ der Arbeit und Wirtschaft konzentrieren. Im Gegenteil ist es gar nicht möglich, die Arbeiter:innenklasse gegen Kürzungen zu mobilisieren und organisieren, ohne sie auch in den Kampf gegen Unterdrückung anzuführen, die sie gegen ihre eigenen Interessen spaltet. Die Gewerkschaften dürfen nicht dulden, dass hier eine offen rassische Einteilung gemacht wird und die Spitzen müssen in ihrer Nibelungentreue zur SPD konfrontiert werden, die diesen rassistischen Kanzler trägt.
Die Themen soziale Rechte und Antirassismus gehören im Inneren zusammen: Alle sollen unter der Merz-Groko mehr schuften, Schuld sollen Geflüchtete sein, die besonders prekäre Arbeit wird „rassifiziert“ und mit Migrant:innen unterschichtet. Die „Stadtbild“-Debatte ist auch eine Hetze gegen Menschen in Armut, die vom Kapitalismus in Armut gezwungen wurden, während die Kapitalist:innen Milliarden mit Kürzungen und Ausbeutung machen. Auch dass Jugendliche in Zukunft zum Sterben an die Front gehen sollen, wird mit Nationalismus begründet, der mit dem offeneren Rassismus gestärkt wird. Vorhandene Kämpfe müssen also zusammengeführt werden, um Erfolge zu haben. Daran wird sich auch die Linkspartei messen lassen müssen, die viele Positionen in Gewerkschaften belegt und dort unmittelbar für Aktionspläne und Versammlungen in Schulen, Betrieben und Unis zu politischen Streiks aufrufen kann.
Yasmin Fahimi, die DGB-Vorsitzende, deutete vor wenigen Wochen bereits die Möglichkeit von Streiks gegen Kürzungen an – zunächst nur, um Druck von der Basis abzulassen, nicht mit einem ernsthaften Kampfplan. Wir forderten daraufhin aber bereits, dass die Mitgliedsgewerkschaften Versammlungen für die konkrete Planung von politischen Streiks organisieren. Nun, wo die rassistischen Angriffe noch weiter zunehmen, und mit ihnen auch antirassistischer Protest stattfindet, sollte ein Kampfplan sowohl gegen den Rechtsruck und die Militarisierung als auch gegen die Kürzungen mit Kolleg:innen in Betrieben, Schulen und Unis diskutiert werden.
Dazu müssen unsere Gewerkschaften aufrufen – wir können aber nicht darauf warten, dass sie es tun, denn über die „Sozialpartnerschaft“ und die Verbindung zu Regierungsparteien wird die Bürokratie in den Gewerkschaften erstmal alles tun, um eine dynamische Situation zu verhindern und den Antirassismus auf Symbolik beschränken, die Streiks im Winter (etwa TV-L für die Länder) routinistisch abzuwickeln versuchen. Daher müssen wir selbst bereits jetzt Basis-Initiativen starten, etwa durch Betriebsversammlungen oder Bildungsstreiks, die dann zu weiteren Teilen der Arbeiter:innenklasse gehen – gegen rassistische Ungleichheit, gegen Militarisierung und Polizeistaat, gegen jegliche Kürzungen. Für die Einheit der Arbeiter:innen und allen Unterdrückten!