Sasha Yaropolskaya: „Die einzig mögliche Antwort auf den Krieg in der Ukraine ist internationalistisch“

Über 2.000 Menschen versammelten sich am 24. Mai 2025 in Paris beim internationalistischen Event von Révolution Permanente und der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale – ein beeindruckendes Zeichen gegen die Militarisierung und die extreme Rechte weltweit. Wir dokumentieren hier die Rede von Sasha Yaropolskaya, Sprecherin von Du Pain et des Roses.
Guten Abend allerseits, ich freue mich, hier zu sein, aber es tut mir leid, ich werde meine Rede mit einer schlechten Nachricht beginnen. Dies ist wahrscheinlich meine letzte Rede auf einem Treffen von Révolution Permanente. Also ja, alle schönen Dinge haben ein Ende, und ich glaube, Sie fragen sich, warum. Aber der Grund ganz einfach: Momentan schaltet man den Fernseher ein und egal auf welchem Kanal wird man auf einen Krieg mit Russland vorbereitet. Alles, was man sieht, ist Putin, Flugzeuge, Kanonen, Putin. Stellen Sie sich nur eine Sekunde lang ein Gedankenexperiment vor. Sie sind eine linksradikale Organisation, die sich bereits Révolution Permanente nennt. Sie sind bereits Zielscheibe von Repressionen, und jetzt haben Sie auch noch die Frechheit, eine russische Sprecherin zu haben. Ich meine, es ist ein bisschen too much. Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. Im letzten Jahr, und das ist eine völlig wahre Geschichte. beschuldigte mich die Macronsche Presse, die Zeitung Franc-Tireur, eine russische Agentin zu sein. In diesem Moment, sagte ich mir: Wow, wenn das wahr ist, dann ist der FSB der wokeste, progressivste Geheimdienst der Welt. Ich meine, Putin inhaftiert queere Menschen. In den drei Jahren seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat er alle LGBT-Rechte verboten, aber sie haben wohl beschlossen, für mich eine Ausnahme zu machen. Sie sagten sich, komm schon, wir schicken sie nach Frankreich, um Anti-Kriegs-Propaganda zu machen. Das ist ideologische Destabilisierung. Das ist hybride Kriegsführung. Tatsächlich ist es das bestgehütete Geheimnis des Kremls. Die USA haben Drohnen der nächsten Generation. Und wir haben trans Geheimagent:innen.
Hören Sie zu. Jenseits von Witzen spreche ich ein sehr ernstes Thema an. Bedeutet die Zugehörigkeit zu einer Nation, dass man die Politik der Regierung unterstützt? Ich selbst bin vor sieben Jahren nach Frankreich eingewandert. Es gab zwei Gründe, warum ich Russland verlassen habe. Zunächst die Morde an LGBT-Personen, aber dann und vor allem die Wehrpflicht. Das war vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine, aber die Militarisierung war bereits überall vorhanden. Putin hatte gerade die Krim annektiert und die Nation schloss sich um ihn zusammen. Und seit ich gegangen bin, sind die Dinge rasend schnell vorangeschritten. Von nun an bringen sie den Kindern bereits in der Mittelstufe bei, wie man ein automatisches Gewehr hält. Ihnen wird Patriotismus beigebracht, die Liebe zur blau-weiß-roten Flagge, der Hass auf Lenin, weil dieser der Ukraine Selbstbestimmung gegeben hat. Und vor allem bringen sie den Kindern bei, die Ukrainer:innen zu hassen. Sie werden heute gelehrt, die Ukrainer:innen zu hassen, um sie morgen in sinnlosen Schlachten Dorf für Dorf, Kilometer für Kilometer um völlig verwüstete Gebiete in der Ostukraine zu töten. Der Nationalismus, der Chauvinismus, wie er von Kindheit an genährt wird, ermöglicht dies, eine Masse von Soldaten zu haben, Hunderttausende, die du zum Sterben in ein Gemetzel in Schützengräben schicken kannst, ohne dass sie sich auflehnen.
Lenin sagte damals, dass Russland ein Völkergefängnis sei. Und er hatte Recht. Man muss sich nur ansehen, wer an vorderster Front an die Front geschickt wird. Ja, es gibt Russen, aber es gibt auch und vor allem Tataren, Burjaten und Baschkiren. Ich als Russin bekämpfe den Chauvinismus, in dem ich selbst aufgewachsen bin und der es Russland ermöglicht hat, den Kaukasus, Sibirien und den Ural gewaltsam einzunehmen. Diesen Chauvinismus zu bekämpfen, ist meine politische Pflicht. Die Regierung bietet den russischen Arbeiter:innen heute einen schrecklichen Pakt an Hört gut zu: Militärverträge mit riesigen Gehältern, Millionen von Rubeln im Austausch für ukrainisches Blut. Natürlich ist das eine Falle. Die meisten derjenigen, die unterschreiben, werden fast sofort sterben und ihre Familien erhalten das sogenannte Sarggeld. Hunderttausende Familien, für die die einzige Hoffnung, dem Elend zu entkommen, das Sarggeld ist. Für ihre Brüder, für ihre Ehemänner, für ihre Väter, die an der Front gefallen sind Putin verteilt im Austausch für ukrainisches Blut Krümel, aber erst nachdem er alle natürlichen Ressourcen Russlands gestohlen und geplündert hat. Nachdem er Gas, Öl, Mineralien, Industrie, Transportwesen etc. etc. unter seinen Oligarchenfreunden neu aufgeteilt hatte.
Wenn ich also sage, dass die russischen Arbeiter:innen nicht frei sein werden, solange die ukrainischen Arbeiter:innen nicht frei sind, ist das nicht nur eine moralische Ausschmückung, es ist nicht nur eine marxistische Maxime. Nein, das ist eine objektive Wahrheit. Denn der russische Expansionismus ist eine Illusion, die die Arbeiter:innen davon abhält zu erkennen, dass ihr wahrer Feind nicht in Odessa, nicht in Kiew und nicht auf der anderen Seite des Schützengrabens steht. Nein, er befindet sich in Moskau und erteilt Befehle vom Turm des Kreml aus.
Aber wenn wir das einmal gesagt haben, müssen wir über die Befreiung des ukrainischen Volkes sprechen. Die gleichen Imperialisten, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, die uns sagen, dass sie die Ukraine verteidigen, die uns sagen, dass wir für Demokratie und Menschenrechte eintreten sollen. Sie sagen uns, dass sie gegen die Massaker an Kindern, gegen die Bombardierung von Krankenhäusern und Schulen sind, wenn es um Mariupol, Charkiw geht. Sie unterstützen ihn jedoch, wenn es um Rafah oder die Häuserschluchten im Gazastreifen geht. Sie zerstören die Palästinenser:innen und sie benutzen die Ukrainer:innen. Hinter ihren humanistischen Reden möchten sie die Ukraine ausplündern und ihre seltenen Erden nehmen. Und ich spreche nicht nur von Trump. Nein, auch Sébastien Lecornu, der französische Verteidigungsminister, sagt es bar auf die Hand. „Unsere Waffenhersteller benötigen Ressourcen, und die Ukraine kann sie liefern.“ Die russischen Arbeiter:innen dem Chauvinismus ihrer Regierung zu entreißen, ist ebenso dringend wie die Einsicht, dass die Selbstbestimmung der Ukraine nicht durch die vergiftete Unterstützung der NATO erreicht werden kann. Denn abgesehen von der Ressourcenfrage sind es die westlichen Imperialismen, die die ukrainische Regierung dazu gebracht haben, das Einberufungsalter für die Armee mehrfach zu senken, um den Krieg fortzusetzen.
Ich persönlich möchte, dass Sie sich eine Sekunde und wirklich eine Sekunde Zeit nehmen und auf Menschen schauen, die neben Ihnen sitzen, auf Ihre Nachbar:innen, die in Ihrer Reihe sitzen oder stehen. Stellen Sie sich also vor, dass man uns morgen, nein, nicht einmal morgen, dass man uns heute, am Ausgang dieses Treffens, mit Gewalt in einen Bus verfrachtet, dass man sie an die Front bringt, dass man ihnen die Köpfe rasiert, dass man ihnen Militäruniformen anzieht, dass man ihnen ein Gewehr in die Hand drückt, dass man sie in die Schützengräben schickt, wo sie sofort durch eine Mine oder durch eine Drohne sterben. Das ist die Realität des Krieges in der Ukraine. Hinter den humanistischen Reden ist das die Realität dessen, was an der ukrainischen Front vor sich geht.
Ich selbst bin in den Bergen des Kaukasus aufgewachsen. Und jeden Tag, wenn ich aufwachte und zur Schule lief, sah ich in den Regionen die schneebedeckten Küsten von Elbrus. Myriam Bregman verbrachte ihre Kindheit in einem kleinen Dorf in der Nähe von Buenos Aires. Inés in der Industrieregion Ruhrgebiet. Anasse, in einem Vorort von Sarcelles. Julia in Los Angeles. Elsa und Ariane in Frankreich. Daniela in Brasilien. Wir kommen nicht aus demselben Land und bis vor ein paar Jahren haben wir nicht einmal dieselbe Sprache gesprochen. Unsere Lebenswege waren jedoch durch die Politik miteinander verbunden. Seit ich eingewandert bin, wurde ich politisch geschult durch euren Klassenkampf, durch die Gelbwesten, durch das Komitee für Adama, durch militante trans Aktivist:innen, die aus Lateinamerika nach Frankreich gekommen sind, durch Sans-Papiers, die aus Afrika über das Mittelmeer gekommen sind, durch die Eisenbahner:innen und Raffineriearbeiter:innen, die mir die Stärke der Arbeiter:innenklasse gezeigt haben, indem sie die Produktion und den Verkehr zum Stillstand brachten. Mit ihrem Streik.. Wahrscheinlich das schönste Wort, das ich seit meiner Ankunft hier gelernt habe Hier wurde mir klar, was Internationalismus wirklich bedeutet. Ich habe an euren Kämpfen teilgenommen, die zu meinen geworden sind. Ich habe verstanden, dass von euren Siegen auch unsere Siege abhängen und dass eure Niederlagen immer auch Konsequenzen für uns haben werden.
Und hier wurde mir auch nach vielen Jahren des Fragens klar, was der einzige fortschrittliche Ausweg aus dem Krieg in der Ukraine sein wird. Ich spreche nicht vom Frieden, den Trump und Putin schließlich aushandeln werden. Es wird ein imperialistischer Frieden sein, ein Frieden mit Annexionen, ein Frieden der Ausplünderung, ein Frieden, der die totale Unterwerfung der Ukraine bedeuten wird. Nein, was ich meine, ist eine gemeinsame Mobilisierung der russischen Arbeiter:innen gegen Putin, der ukrainischen Arbeiter:innen gegen Selenskyj und die NATO. Nur so können wir der Ukraine und allen Völkern in der Region echte Selbstbestimmung verleihen. Die einzig mögliche Antwort auf den Krieg in der Ukraine ist eine internationalistische Antwort. Krieg dem Krieg. Nein zum Militarismus. Antiimperialistisch und internationalistisch.
Als der Krieg in der Ukraine begann, fühlte ich als Russin eine schreckliche Hilflosigkeit, ein erschreckendes Gefühl der Leere. Es gibt Momente, in denen nicht mehr und nicht weniger als das Schicksal der Menschheit auf dem Spiel steht. Und du als Individuum fühlst dich von der Geschichte erdrückt. Diese Leere haben Frauen und LGBT-Personen angesichts des Widerrufs des Rechts auf Abtreibung in den USA empfunden. Das empfinden trans Menschen auf der ganzen Welt angesichts rechtsextremer Übergriffe Diese Leere empfinden ebenfalls zig Millionen Menschen angesichts des Völkermords in Palästina. Aber ich habe ein Gegenmittel gegen diese Hilflosigkeit gefunden. Man begegnet der kapitalistischen Krise auf internationaler Ebene, mit seinen Staaten, mit seiner Polizei und seinen Armeen. Der Mut des Einzelnen kann dieser Maschine nichts entgegensetzen. Ein lokales Kollektiv ist genauso machtlos. Eine nationale Organisation, die innerhalb ihrer Grenzen bleibt, wird auch nach anfänglichen Erfolgen in letzter Instanz zerschlagen. Aber stellt euch eine revolutionäre Internationale vor, die gleichzeitig in Dutzenden von Ländern agiert, mit der gleichen Strategie, dem gleichen Programm, den gleichen Zielen, die aus jedem Fortschritt, jedem Rückschlag lernt. Eine Organisation, die durch ihre Erfahrungen im Klassenkampf zusammengeschweißt und geformt ist. Eine Organisation aus Zehntausenden von Menschen, die mit der Präzision und Perfektion der perfektesten Maschine, die es je gegeben hat, nach vorne marschieren. Dort beginnt man, über etwas zu sprechen, das nicht nur die Fähigkeit hat, Angriffen standzuhalten, sondern sogar in die Offensive zu gehen.
Was ich also anstelle der Hilflosigkeit wähle, ist, jeden Tag aufzuwachen und zu kämpfen, zu kämpfen, zu kämpfen, entschlossen und unermüdlich zu kämpfen, als ob mein Leben davon abhinge. Denn das ist der Fall. Als ob unser aller Leben davon abhinge. Denn das ist der Fall. Vor einem Jahr haben wir mit Du Pain et des Roses innerhalb von zwei Wochen die größte Mobilisierung für trans Rechte in der Geschichte des Landes initiiert und organisiert. Ein Tag der Mobilisierung reicht jedoch nicht aus. Dies war nur ein erster Schritt. Die extreme Rechte möchte uns auf internationaler Ebene zerschlagen. Ich selbst sehe das als Herausforderung, und deshalb bauen wir nicht nur die Trotzkistische Fraktion für die Vierte Internationale auf, sondern auch die größte internationale revolutionäre feministische Organisation der Welt: Pan y Rosas, Du Pain et des Roses, Bread and Roses in vierzehn Ländern und auf drei Kontinenten, um gleichzeitig gegen Trump, Milei, Macron, Merz und all diesen reaktionären Müll zu bekämpfen.
Wenn wir schon über reaktionären Abschaum sprechen: In den USA hält Trump Reden, mit denen er Marxist:innen und Kommunist:innen angreift. Und als Antwort darauf gibt es viele Politiker:innen, die in den USA sagen: „Nein, nein, beruhigt euch, wir sind keine Kommunist:innen, wir sind nur links.“ Und in Frankreich? In Frankreich gibt es auch diejenigen, die meinen, man solle nicht mehr von der Arbeiter:innenklasse sprechen, sondern lieber vom Volk, man solle nicht mehr vom Generalstreik sprechen, sondern lieber von der Bürgerrevolution an den Wahlurnen. Nun, hier liegt der Unterschied. Als Révolution Permanente stehen wir dazu. Ja, wir sind der schlimmste Albtraum der extremen Rechten. Ja, wir sind Marxist:innen. Ja, wir sind Trotzkist:innen. Ja, wir sind Kommunist:innen und Revolutionär:innen. Wir stellen uns in die stolze Tradition derjenigen, die den Aufstand der Pariser Kommune gemacht haben, der Arbeiter:innen und Bäuer:innen, die den Zarismus und den Kapitalismus in Russland gestürzt haben, derjenigen, die gegen den Ersten Weltkrieg gekämpft haben, derjenigen, die im Mai 68 auf die Barrikaden gegangen sind, und derjenigen, die gegen die Diktatur Francos, Salazars und Pinochets gekämpft haben. Für uns, für uns ist die Revolution nicht nur eine Theorie, kein abstraktes Konzept, nichts, was auf die Seiten des Buches der Geschichte gehört. Nein, die Revolution ist heute lebensnotwendig, um den Lauf der Geschichte zu ändern. Es ist ein Ziel, aber auch eine Anleitung zum Handeln, um die Menschheit vor einer Katastrophe zu bewahren.
In diesem Moment findet ein Wettlauf gegen die Zeit statt. Wird es uns gelingen, eine Organisation aufzubauen, eine internationale Organisation, die den Ereignissen gewachsen ist? Wenn die Zeit reif ist? Diese Frage stellen sich die Aktivist:innen von Révolution Permanente jeden Tag, und ich würde mir wünschen, dass jede Person in diesem Raum sie sich ebenfalls stellt. Denn was jetzt auf dem Spiel steht, nicht morgen, nicht übermorgen, sondern jetzt, ist die Zukunft Ihrer Kinder, ist die Zukunft Ihrer Angehörigen, an die Sie denken, wenn Sie die Augen schließen. Wenn Sie also der Barbarei des Kapitalismus, dem Völkermord, den Kriegen und der extremen Rechten ein Ende setzen wollen, dann sage ich Ihnen eines: Schließen Sie sich RP und der FT an, schließen Sie sich Du Pain et des Roses an, schließen Sie sich Le Poing Levé an Ihrer Universität an, schließen Sie sich RP im Transportwesen, im Gesundheitswesen, in der Bildung an. Schließen Sie sich uns an. Kämpfen Sie an unserer Seite und seien Sie sich einer Sache sicher: Wir werden nie aufhören. Wir werden niemals kapitulieren. Wir werden bis zum Ende kämpfen, bis zum Sieg.
Ich wollte meine Rede mit einem Zitat von Fred Hampton beenden, einem Schwarzen Revolutionär, der vom FBI getötet wurde, noch bevor er 22 Jahre alt war. Fred Hampton war kein Trotzkist, aber er war einer der mutigsten, Revolutionär:innen des letzten Jahrhunderts, und er hatte keine Illusionen darüber, was der Staat ist. Daher möchte ich ihm eine Botschaft an all jene senden, die uns unterdrücken, an all jene, die uns verfolgen, an all jene, die Krieg gegen uns führen. „Sie können antifaschistische Organisationen auflösen, aber Sie werden niemals den Kampf gegen den Faschismus auflösen. Sie können Organisationen der palästinensischen Sache auflösen, aber Sie werden niemals die Solidaritätsbewegung mit den Palästinensern stoppen. Und Sie können versuchen, Revolutionäre zu stoppen, aber Sie werden niemals erfolgreich die Revolution verhindern.“ Vielen Dank.