Polarisierte Parteien: Historische Krisen in Konservatismus und Reformismus

Rechts der Union eilt die AfD von Erfolg zu Erfolg. Links gibt es Bewegung mit Linkspartei und BSW. Zur Geschichte einer Zersplitterung.
Die Tendenzen zur organischen Krise des politischen Regimes der Bundesrepublik Deutschland schreiten voran. Dies drückt sich auch in einer gewissen Polarisierung im Parteiensystem aus, wie auch bei der vergangenen Bundestagswahl im Winter 2025 zu beobachten war. Mit der AfD etabliert sich erstmals eine große Kraft rechts der Union aus CDU/CSU und links von der SPD gibt es mit Der Linkspartei und dem BSW erstmals zwei Parteien, die bundespolitische Relevanz haben.
Dieser Artikel hat zum Ziel, über die aktuelle Konjunktur hinaus, diese beginnende Polarisierung aus der Geschichte heraus zu begreifen. In einem ersten Teil geht es hierbei um den „Konservatismus“. Seit Jahrzehnten war dieses Feld von CDU und CSU beherrscht, doch entstand dort vor inzwischen über zehn Jahren als Spaltprodukt auch die AfD. Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem Reformismus, also mit SPD, Linkspartei und BSW.
Union: Stütze der Bourgeoisie und transatlantischer Pfeiler der BRD
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es eine Partei rechts der Union, die fast genau so stark ist wie die Union. In einigen Umfragen kurz nach der Bundestagswahl dieses Jahr lagen Union und AfD fast gleichauf. Dies bedeutet eine nie dagewesene Spaltung des politischen Konservatismus zu Zeiten der Bundesrepublik. Zwar gab es immer wieder Phänomene rechts der Union, wie beispielsweise die aufkommende NPD in den 1970er-Jahren oder die Republikaner Anfang der 1990er-Jahre oder immer wieder auch rechtspopulisitische Phänomene wie die Schill-Partei Anfang der 2000er-Jahre („Partei rechtsstaatlicher Offensive“). Aber keine dieser Gruppierungen kam auch nur annähernd an die Umfragewerte heran, die die AfD heute erzielt.
Die Union ist zudem historisch schwach. Sie hat ihr zweitschlechtestes Wahlergebnis aller Zeiten bei einer Bundestagswahl eingefahren. Hierbei ist es aber zunächst wichtig, die Union als politisches Phänomen möglichst genau zu charakterisieren.
Die Union entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, zu einem Zeitpunkt der totalen Niederlage der deutschen Bourgeoisie, deren Hauptstadt von der Roten Armee besetzt war, eine historische Demütigung. Ihre historischen Ursprünge hat sie unter anderem im sogenannten Zentrum, einer zentralen Partei der Weimarer Republik, die bis kurz vor deren Ende an allen Reichsregierungen beteiligt war und die meisten der Reichskanzler stellte. Sie war ein Partei des katholischen Konservatismus, also tatsächlich rein katholisch. Sie hatte also ihre Hochburgen in den Teilen Deutschlands, die traditionell katholisch waren und in denen die Kirche historisch die weltliche Macht inne hatte (Westen und Mitte, in Bayern gab es als Besonderheit die BVP).
Eine wichtige materielle Stütze fand sie in der katholischen Kirche, deren Sozialethik sie vertrat. Wichtige politische Figur hierfür war beispielsweise Adam Stegerwald als Vorsitzender des christlichen Gewerkschaftsverbandes in der Weimarer Republik. Im Faschismus stimmte das Zentrum für das Ermächtigungsgesetz und löste sich kurz danach auf. Nach dem Krieg nahm vor allem Adam Stegerwald Einfluss auf die Gründung einer neuen christlichen Partei, diesmal aber überkonfessionell – eine Idee, welche er schon Anfang der 1920er-Jahre hatte. Die Basis blieb – neben dem Bürgertum – die Kirche, diesmal jedoch beide Kirchen. Die Entstehung einer bayerischen Partei (CSU) und einer für das übrige (West-)Deutschland war eher ein Unfall, zumindest von Stegerwald nicht gewollt. Stark konservative Kräfte in Bayern, wie Alois Hundhammer zum Beispiel, förderten aber die Entstehung der CSU massiv, um die BP, die Nachfolgepartei der BVP, zu besiegen, was zum Ende der 1950er-Jahre gelang. Diese beiden Parteien (CDU/CSU) wurden zur Stütze der deutschen Bourgeoisie schlechthin.
Gleichwohl war es in der BRD nicht so, dass es keine Phänomene rechts der Union gegeben hätte. Aber die Union schaffte es stets, diese zu integrieren, wie beispielsweise die DP, auf die sich Adenauer stützte und die ihren Schwerpunkt im sozialdemokratisch geprägten Norddeutschland hatte (Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein; nach 1961 bedeutungslos) oder die bayerische CSU (die ihre Eigenständigkeit behielt, meist jedoch auf Linie mit der CDU blieb) oder aber auch die Südwest-CDU mit ihren Besonderheiten, die sich im Besonderen noch auf eine sehr konservative FDP/DVP stützte oder vor allem auch der BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten), der in den 1950er-Jahren als Partei die durch die Sowjetunion enteigneten Bourgeoisen in den „Ostgebieten“ repräsentierte und als solche auch in der Bundesregierung vertreten war (hier könnte man tatsächlich auch von einer Zweiteilung der Bourgeoisie sprechen, weil der BHE eine echte politische Kraft war und als Basis alle aus den Ostgebieten Geflüchtete hatte bzw. instrumentalisierte unabhängig von ihrer Klasse; doch spätestens mit den Ostverträgen (oder schon früher mit dem Bau der Mauer) war diese Partei bedeutungslos, sie fusionierte später auch mit der DP).
Basis war aber eine Fusion des protestantischen und des katholischen Konservatismus, der in der Weimarer Republik stets gespalten blieb, aber durch die Zerschlagung Preußens und des Verlustes des Gewichts des Protestantismus (die neue Hauptstadt Bonn, die jahrhundertelang Regierungssitz des Kölner Erzbischofs war), wenngleich der Katholizismus die Basis für Adenauer war (er führte das Sonderarbeitsrecht der Kirchen ein und verhalf den Kirchen dazu, mit die größten Unternehmen der BRD zu werden).
Die Union stellte bisher alle Kanzler:innen, sofern sie nicht von der SPD kamen. Basis der Union war also über die Bourgeoisie hinaus die Kirche, beide Kirchen, die als Bindeglied zu der Arbeiter:innenbewegung und ihren reformistischen Organisationen der Arbeiter:innenaristokratie standen (SPD).
Die CDU drückte stets am stärksten das Bündnis mit den USA aus. Das war aber nie ein gewolltes Bündnis. Es war Ausdruck der totalen Niederlage der deutschen Bourgeoisie des Zweiten Weltkrieges. In kaum einem anderen Land spiegelten sich die Folgen des Zweiten Weltkriegs so deutlich wider wie Deutschland: Die Spaltung des Landes markierte zugleich die Teilung der Welt in zwei rivalisierende Machtblöcke – und die Grenze zwischen ihnen verlief mitten durch Deutschland.
Ein Bündnis der deutschen Bourgeoisie war daher zunächst ein Diktat der USA bzw. der zwei neuen Weltmächte. Westdeutschland war militärischer Brückenkopf der USA in Europa, genauso wie es Ostdeutschland für die Sowjetunion war. Das machte Deutschland zum damaligen Zeitpunkt zu einem der am meisten militarisierten Gebiete der Welt.
Zugleich war die Unterordnung der Bundeswehr unter die Kommandogewalt der USA keine freiwillige oder friedliche Angelegenheit, zu der sich die deutsche Bourgeoisie bereitwillig entschlossen hätte. Es war schlicht ebenso Ergebnis der Niederlage, sodass eine verstärkte Kontrolle über das Heer durch die USA ausgeübt wurde (ein eigenes Heer wurde gebilligt, weil man es brauchte zur möglichen Verteidigung gegen die Sowjetunion, aber auch als Warnung an Frankreich; an der Ostflanke Eurasiens gestanden die USA Japan beispielsweise gar keine Armee zu, nur eine Art Reserveeinheit der Selbstverteidigungskräfte und übernahm die Verteidigung komplett durch Besatzung, ein ähnliches Bündnis wie die NATO war nicht nötig; es war ebenso Ergebnis der Niederlage des Zweiten Weltkrieges).
Der „souveränistische“ Block, die alten Eliten der Nazis, überwinterten in der Union, sie hatten nicht die politische Kraft, das objektive Gewicht der totalen Niederlage wog zu stark.
Sogenannte neutralistische Positionen gab es vom Bürgertum bis ins Militär. Sie sind stark vom Stalinismus aus der DDR unterwandert worden, sodass die Union sie ebenso bekämpfte. Das außenpolitische Hauptziel, das sozusagen gar kein außenpolitisches war, war das der nationalen Einheit. Ein Beispiel für eine bürgerliche Partei, die weder für die Ost- noch für die Westbindung gewesen ist, ist die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP), welche maßgeblich vom späteren ersten SPD-Bundespräsidenten, Gustav Heinemann, beeinflusst worden war. Sie lehnte die Wiederbewaffnung der BRD ab, weil dies die Chancen auf eine rasche nationale Einheit verschlechtern würde. Mit derselben Argumentation wurde ein NATO-Beitritt abgelehnt. Nach der Wiederbewaffnung spielte die GVP keine Rolle mehr. Viele gingen in die SPD, wie Heinemann oder aber auch Johannes Rau, der später Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen wurde und ebenso Bundespräsident.
Letztlich ordnete sich neben der Niederlage die deutsche Bourgeoisie der USA deshalb unter, weil die Alternative möglicherweise gewesen wäre, dass es sie nicht mehr gebe. Kurzum: Sie wollte die nationale Einheit auf bürgerlicher Grundlage und musste damit natürlich ein Bündnis mit dem Block der USA eingehen. Ziel war die Restauration in der DDR zur Wiederherstellung der nationalen Einheit.
Die CDU kam hierbei innerhalb der Union die Rolle der stärkeren Westorientierung zu, während die CSU stets verstärkt den Blick nach Osten hatte. Franz Josef Strauß beispielsweise hätte am liebsten selbst die Ostpolitik der SPD gemacht, klagte dann gegen sie, nur um sie bestätigt zu wissen.
Während die Zeit der Restauration bis zur Weltwirtschaftskrise von einer Neuaufstellung geprägt war und großen Umbrüchen im Innern, konnte Deutschland ab den mittleren 2000er-Jahren eine gewisse Hegemonie über den Rest Europas aufbauen und im Rahmen der Schuldenkrise festigen. Auch hier war es die CSU, die noch stärker nach Osten gegangen wäre. Figuren wie Gauweiler hätten beispielsweise eine viel stärkere ökonomische Kooperation mit Russland gewollt, bis hin zu Schnellfahrstrecken von Berlin nach Moskau oder eine Schnellverbindung von Bayern zum Schwarzen Meer.
AfD: Souveränismus und mögliche Option für die Bourgeoisie
Am Zenit des Modells in der Welt der unipolaren Weltordnung (Epoche der bürgerlichen Restauration) kam 2013 die AfD auf. Natürlich ist das Entstehen der AfD nicht losgelöst vom weltweiten Rechtsruck zu sehen. Hier soll jedoch im Besonderen auf die Entstehung des Phänomens in Deutschland eingegangen werden. Die AfD ist eine Abspaltung der Union nach rechts. Insofern war sie von Anfang an eine bürgerliche Partei, aber nicht von Beginn an eine Partei, auf die das Bürgertum zu setzen bereit war. Das wird sich ändern. Die Hinweise verdichten sich, dass es verschiedene Fraktionen im Bürgertum gibt, bisher insbesondere aus der Nahrungsmittelindustrie, die die AfD unterstützen. Gleichwohl hat die AfD auch einen faschistischen Flügel, der nicht durch eine Abspaltung aus der Union entstanden ist, sondern bewusst in die Partei hineingegangen ist, um sich darin aufzubauen.
Die AfD drückt seit ihrer Gründung souveränistischere Positionen Deutschlands aus und hat in ihrem Innern eine Strömung, die offen für eine (Wieder-) Annäherung an Russland und China ist. Sie repräsentiert dabei zudem den souveränistischen Flügel des „intellektuellen“ Kleinbürgertums/Staates (Polizei, Militär und Justiz), der dies genauso sieht.
Die AfD ist insofern in gewisser Weise auch die Repräsentation des Teils, der sich eine Orientierung nach Osten wünscht, wie es dies in der Geschichte Deutschlands immer wieder gegeben hat (von der Zeit der napoleonischen Kriege bis hin zu illegalen Reichswehr, die in der Sowjetunion aufgebaut worden ist). Insofern ist die AfD wiederum nichts gänzlich Neues, sondern ein wiedererwachter Teil des deutschen Bürgertums, der lange in der Union überwinterte.
Ist diese AfD nun in das Regime integriert? Hierfür wäre zunächst die Frage, was es bedeutet, in das Regime integriert zu sein. Das bedeutet, mitzuregieren, sei es auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene und die Zusammensetzungen der Institutionen des Regimes mit zu bestimmen und es bei entscheidenden Abstimmungen zu stützen. Bisher ist dies nicht der Fall, aber sie hat bereits die ersten Führungsmandate (Landräte, Bürgermeister) auf kommunaler Ebene. Dort regiert sie auch mit.
In gewissen Landesabstimmungen kann sie den Ausschlag geben oder Ergebnisse bewusst beeinflussen. Die Frage, ob die AfD in das Regime integriert wird, ist so zu beantworten: Es geht hier nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie. Durch die Stärke der AfD liegt die Initiative mehr bei ihr als bei den Verfechter:innen der „demokratischen Brandmauer“. Das AfD-Verbot ist gescheitert und auch die letzten Aufstehversuche dieses Unterfangens werden nicht von Erfolg gekrönt sein. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es für das Parteiverbotsverfahren eine entsprechende Mehrheit im Bundestag geben würde. Der Versuch der Disziplinierung der AfD durch das Verbotsverfahren scheint wenig wahrscheinlich, weil die AfD aus einer Position der Stärke agiert.
Kein Spielraum für Die Linke oder den Reformismus?
Während sich rechts die AfD von der Union abspaltete, gibt es auch auf dem linken Spektrum der Parteien eine neue Partei: Das BSW – eine Rechtsabspaltung der Linkspartei mit einem teilweisen Zusammenschluss aus der SPD. Und auch die Linkspartei hat eine Art Wiedergeburt erlebt: Vor der Bundestagswahl zitterte Die Linke um die Fünf-Prozent-Hürde, kam jedoch dann mit fast neun Prozent in den Bundestag.
Im Artikel „Was uns 2025 erwartet: Zehn Thesen zur politischen Lage“ ist unter der These Nr. 9 aufgeführt, dass es keinen Spielraum für Die Linke gebe. Dies scheint zumindest fraglich, ob ihres Wahlergebnisses mit fast neun Prozent. Dieser Abschnitt soll für eine historische Einschätzung der Linkspartei und des BSW dienen, um eine konjunkturelle Einschätzung zu ergänzen und zu argumentieren, warum Die Linke nicht von heute auf morgen verschwinden kann.
Der Reformismus im näheren Sinne wird in der BRD von SPD, Die Linke und dem BSW vertreten (mit den Grünen im weiteren Sinne, die eine andere Tradition haben und nicht unmittelbar aus der Arbeiter:innenbewegung kommen, sondern der politische Ausdruck der kleinbürgerlichen Friedens- und Umweltbewegung waren; sie unterhalten zwar Beziehungen zur Arbeiter:innenbewegung, aber es ist kein materieller Standpunkt für sie).
SPD: Historische Stütze des Regimes als proletarisch-reformistische Partei
Die SPD ist eine Stütze des Regimes der BRD schlechthin. Sie stellt den Bundespräsidenten,wählt die Verfassungs- und Bundesrichter mit, sie stellt derzeit sieben Ministerpräsidenten, ist in allen Landtagen und ist in zwölf Landesregierungen vertreten. Sie stellt die Bürgermeister:innen der größten Städte (in über der Hälfte der Großständte gibt es SPD-Bürgermeister:innen) und ist in allen Kommunen vertreten .
Ihre soziale Basis ist die Arbeiter:innenaristokratie und die damit verbundene Gewerkschaftsbürokratie, wie sie vor allem über die DGB-Gewerkschaften zum Ausdruck kommt (die christliche und konservative Gewerkschaftsbürokratie, z.B. der Beamtenbund stützt sich auf die Union oder ist in der katholischen „Dienstgemeinschaft“ aufgegangen, so z.B. die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung). Sie lebt von enormen großbürgerlichen Spenden, wie vom Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie, dem Verband der Chemischen Industrie, von Braunkohlekonzernen usw usf. Das macht sie zu einer durch und durch verbürgerlichten Partei, wenngleich ihre Basis und ihre Geschichte aus der Arbeiter:innenbewegung stammt.
Die SPD herrscht ebenso über ihren Sozialverband, der Arbeiterwohlfahrt, mit, einem der größten Unternehmen des sozialen Bereichs in Deutschland. Darin befinden sich Lokalpolitiker, die Pflegeheime in ihre Kommunen holen. Die Gewerkschaftsbürokrat:innen sitzen in allerlei Aufsichtsräten und kontrollieren ganze kommunale Unternehmen, einmal als Stadtverwalter und als Aufsichts- und Betriebsräte gleichermaßen und machen somit Deals mit sich selbst. Die SPD verfügt über Verlage und ein riesiges Zeitungsnetzwerk, ist Mehrheitseignerin einer der größten deutschen Nachrichtenagenturen, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Darüber hinaus hat sie Stiftungen und zahlreiche Immobilien.
Die Linke: Nur eine kurze Wiedergeburt?
Was ist hingegen der Unterschied der sozialen und materiellen Basis der Linkspartei und des BSW? Alle beide sind sie Fleisch vom selben Fleische und auch Fleisch der SPD. In allen lebt die SPD fort. In beiden Parteien lebt aber vor allem das (reformistische) stalinistische Erbe fort. Sie stammen alle im Sinne des Erbrechts als unmittelbare Abkömmlinge von einander ab, kommen wieder zusammen und trennen sich.
In besonderem Maße lebt in der Trennung zwischen SPD und der Linkspartei die historische Trennung der SPD und der KPD, als Abspaltung der SPD, fort. Die Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands in Bezug auf die Linkspartei ist, im Unterschied zu ihrem Schicksal in vergleichbaren europäischen Staaten, nicht von der Existenz der DDR zu trennen. Nachdem im Faschismus beide Parteien verboten waren, existierte die SPD am Ende in England und den USA im Exil, die KPD in Moskau im Exil (die Führungen).
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen beide zurück, die SPD und KPD in Ostdeutschland vereinigten sich auf Druck Moskaus und wurden zur SED. In Westdeutschland existierten SPD und KPD nebeneinander, wobei 1956 die KPD verboten wurde (in Westberlin, das nicht formal Teil der BRD war, gab es eine Sondersituation, und auch hier gab es die SED, die ab Anfang der 1960er-Jahre in die SEW überging). Die KPD war in Deutschland außenpolitisches Instrument der DDR (und der Sowjetunion). Nach dem Verbot floh die Führung nach Ostdeutschland. Doch die Intervention der DDR blieb bestehen: Sie gründete 1956 die Deutsche Friedens-Union (bzw. ihre Vorläufer, 1960 konstituierte sich die Partei, maßgeblich wurde sie bestimmt von den Redakteuren der Blätter für deutsche und internationale Politik, die es heute noch gibt, wenngleich ab 1990 unter anderer Führung, aber bis dahin blieb die Zeitschrift ein Medium für die Propaganda der DDR-Bürokratie).
Sie erhielt bei den Bundestagswahlen 1960 1,9 Prozent und 1965 1,3 Prozent (heute ist sie kaum noch bekannt, erst in den 1980er-Jahren wurde sie aufgelöst, politischer Inhalt war die Verhinderung der Wiederbewaffnung und atomaren Aufrüstung der BRD als Ziel der DDR-Bürokratie, wobei sie eine Volksfront war mit Teilen des Militärs, Adels, der Kirche und Teilen der Bourgeoisie; die KPD rief auf, sie zu wählen).
Nachdem 1968 die Kommunistische Partei als DKP „wieder“ zugelassen worden war, war das Projekt DFU für die DDR mehr oder weniger bedeutungslos. Die DKP war außenpolitisches Instrument der DDR-Bürokratie. Sie hatte sich mit Hilfe der Geldmittel der DDR an einigen Hochschulen Positionen errungen (Marburger Schule) oder auch in der Gewerkschaftsbürokratie.
Mit der bürgerlichen Restauration 1990 wurde die SED zur PDS. Die DKP blieb bestehen, ist heute aber bedeutungslos und keine eigenständige Kraft mehr neben der Linkspartei, von der sie teils auch aufgesogen wurde, bzw. der sie sich politisch unterordnet (ihre Verlage und ihr gesamter Apparat sind bankrott, weil die Finanzierung eingebrochen ist; einige Verlage konnten sich aber noch in heute anderer Form in gewisser Weise retten).
Von der SPD spaltete sich im Zuge der Agenda 2010 Anfang der 2000er-Jahre die WASG ab, eine Abspaltung der linken Gewerkschaftsbürokratie mit Schwerpunkt in Westdeutschland. Diese fusionierte wieder mit der PDS zur Linkspartei (2007). 2023 spaltete sich ein Teil dieser Bürokratie (Klaus Ernst u.a.) unter Führung von Wagenknecht ab und bildete das BSW. Fleisch vom selben Fleische.
Die PDS war in ihren Anfangsjahren die Partei der alten DDR-Bürokraten schlechthin. Ihre materielle Basis war das ehemalige Vermögen der SED und des ersten Arbeiter:innenstaates in Deutschland. Ihr Ziel war in materieller Hinsicht die Rettung dieses Vermögens für Teile der Bürokratie. Es ging um Geldvermögen, Immobilienvermögen und Zeitungen. Gleichzeitig versuchte die deutsche Bourgeoisie zu verhindern, dass aus der Ost-Bürokratie eine neue Bourgeoisie wird, weswegen sie die PDS bekämpfen musste, obwohl sie (in Form der CDU) bereits in den 1990er-Jahren auf kommunaler Ebene mit ihr kollaborierte.
Die PDS konnte in Westdeutschland daher nie Fuß fassen. Sie war also eine reformistische Partei, die auch Übung hatte den Staat zu verwalten, jedoch hatte man ihren Staat von heute auf morgen zerstört. Letztlich war der ganze Kampf der PDS ein Kampf um Anerkennung durch die Bourgeoisie, ein Kampf, der durch niemanden so verkörpert wurde (und wird), wie durch Gregor Gysi. Ende der 1990er-Jahre wurde die PDS im Osten dann auch auf Landesebene zur Stütze des Regimes und konnte Mitglied in einigen Landesregierungen werden. Sie stützte sich auf alte Seilschaften und ging in eine Teil-Mitverwaltung der BRD (des Ostens) über. Ihre Basis war nie die Arbeiter:innenaristokratie oder die Gewerkschaftsbürokratie. Das gab es vereinzelt, aber ihr Fundament war die DDR. Erst mit der Fusion mit der WASG konnte die dann entstandene Linkspartei auch im Westen Fuß fassen und schaffte es ab 2007 in einige westdeutsche Landesparlamente. Die Partei zehrte im Osten immer noch von der Verwaltung der DDR und im Westen war ihre materielle Basis die Gewerkschaftsbürokratie. Im Osten war das Pfand der DDR langsam aufgebraucht. Die Partei flog wieder aus allen westdeutschen Landesparlamenten, außer Bremen und Hamburg. Letztes Jahr schaffte sie es nicht einmal mehr in den brandenburgischen Landtag, das erste Mal in einem ostdeutschen Bundesland. Die Linke hat heute ihre soziale Basis in den Großstädten, unabhängig ob in Ost oder West. Ihre Hochburgen sind dabei insbesondere Unistädte oder Städte, in die viele junge, linke Leute ziehen (Berlin, Leipzig). Das entscheidende Moment für den Erfolg bei der Wahl (eines der schlechtesten Wahlergebnisse der Linken seit ihrer Fusion) waren die Mobilisierungen gegen rechts, der Beweis, dass es politischen Spielraum für Die Linke gibt. Die Linke hat noch materielle Kräfte, die sich nicht so schnell zum Erliegen bringen werden. Sie ist in fast allen Großstädten in den Kommunen und größeren Landkreisen vertreten. Sie verwaltet hier den Staat mit. Für ihre kleinen, linkeren Gewerkschaftsbürokraten ist das als politischer Arm in aller Regel ausreichend, auch wenn man immer mehr haben kann. Die Partei behält ihre Stiftung und einen gewissen Einfluss auf Zeitungen (junge Welt, nd, wobei die Bindung früher größer war) oder auch über Jacobin. Ihr ökonomistischer Kurs ist nicht nur eine Taktik. Er ist vor allem Ausdruck auf die Einengung der materiellen Basis der Partei auf die linken Teile der Gewerkschaftsbürokratie. Zudem gibt es Verbindungen zu bestimmten Sozialverbänden. So ist der Einfluss der Linken auf den Paritätischen Wohlfahrtsverband (Katja Kipping hat hier z.B. ihren Platz gefunden, Ulrich Schneider war langjähriger Vorsitzender) groß, aber auch auf den spezifisch ostdeutschen Sozialverband Volkssolidarität, den Die Linke zusammen mit der CDU beherrscht. Daraus folgt, dass die Partei nicht von heute auf morgen völlig weg sein kann, solange diese materielle Basis nicht verschwunden ist.
Was ist das BSW?
Während wir im letzten Magazin, unserer Ausgabe Nummer 24, vor allem ausführlich auf die souveränistischen Position des BSW eingegangen sind, soll hier – wie bereits erwähnt – eine geschichtliche Beschreibung des BSW vorgenommen werden.
Das BSW ist auch eine reformistische Partei. Es ist eine linke Partei. Sie ist sehr chauvinistisch, kommt aber geschichtlich aus einer linken Tradition und hat umfassende soziale Forderungen. Der Chauvinismus steht dem nicht entgegen, das ist gerade seine historische Bestimmung, beim BSW ist er schärfer als bei der Linkspartei. Aber das BSW unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht im Wesentlichen von der SPD.
Das Kernelement der Abspaltung war auch nicht die Frage des Chauvinismus, sondern unterschiedliche außenpolitische Orientierungen, wo Die Linke für die NATO und eine Westorientierung steht und das BSW für ein Bündnis mit dem Osten (Russland, China; deswegen sind für das BSW auch die Grünen „Hauptfeinde“, weil sie die Inkarnation des Transatlantizismus sind). Deswegen kam die Spaltung dann auch erst mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges.
Ihre materielle Basis ist noch unklar. Sie ist schwach. Das macht die Schwäche des BSW aus. Daher ist der Spielraum im Sinne eines Überlebens ungleich schwerer für das BSW als die Linkspartei. Das BSW lebt derzeit hauptsächlich von Spenden, dort auch von Unternehmer:innen. Das BSW hat Teile der sich im Wege der WASG abgespaltenen Gewerkschaftsbürokratie wieder herausgeholt (Dunstkreis um Klaus Ernst, aber auch Alexander Ulrich oder Sabine Zimmermann), eine rechtere Bürokratie, die sich mehr auf die IG-Metall stützt, weniger auf ver.di, die linker ist, und für die das Programm eher ist, gemeinsam mit den Bossen das Konzept der Standortsicherheit durchzusetzen (das BSW hat mit Ralph Suikat einen Millionär und Unternehmer als Schatzmeister, eine größere Millionenspende bekam sie von den beiden Bourgeoisen Lotte Salingré und Thomas Stanger). Gleichzeitig hat das BSW teilweise die Mitverwaltungsrolle der Linkspartei im Osten bereits übernommen, regiert in zwei Landesregierungen mit und duldet eine. Viele Bürokrat:innen sind aber auf den letzten Drücker zur Linkspartei zurück, als sie vor der Wahl sahen, dass das BSW doch schwach werden würde. Es gab an Klaus Ernst und seinen Dunstkreis von der IGM einen Aufruf, aus der Gewerkschaft herauszugehen, da man das BSW nicht dulde. Hier wollte man die Schwäche ausnutzen, um sich Konkurrenz vom Leib zu halten. Das BSW ist im Gegensatz zur Linkspartei bei Älteren auf dem Land stärker (Linkspartei bei der Jugend und in der Stadt). Es hat den Kampf gegen die AfD nicht aufgenommen und mit der Union gestimmt, sodass es wegen der Mobilisierungen nicht in den Bundestag kam.
Insgesamt ist das Ergebnis aber in Anbetracht der Geschichte für eine so junge Partei für die BRD recht gut. Das Ergebnis wird also unterschätzt, weil das BSW den Einzug nicht schaffte. Insgesamt ist der gesamte Reformismus links von der SPD stärker als früher. Die Linke bekam als ihr bestes Ergebnis 2009 11,9 Prozent, BSW und Die Linke zusammen nun 13,77 Prozent, was aber aufgrund der sehr hohen Wahlbeteiligung viel mehr Menschen repräsentiert, also über 6,8 Millionen Menschen (2009 waren es 5,1 Millionen).
Insgesamt wird der Spielraum des Reformismus somit nicht kleiner. Er ist anders. Es deutet sich also eine Polarisierung nach links an (im Sinne von links von der SPD), zu der auch das BSW gehört. Der Ausdruck ist sehr chauvinistisch, aber für das zweitgrößte imperialistische Land der Welt ist das nicht besonders überraschend. Die weltweite konvulsive Lage wird die beschriebenen Polarisierungstendenzen noch verschärfen. Das Element des Klassenkampfes ist in Deutschland derzeit noch schwach ausgeprägt. Diese werden zeigen, inwiefern der Reformismus links der SPD auf die Probe gestellt wird – und so auch zu einer Stärkung revolutionär-marxistischer Strömungen führen kann.