Offener Brief an Kshama Sawant: Keine Unterstützung für die Polizei!

28.08.2018, Lesezeit 6 Min.
Übersetzung:
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Kshama Sawant, eine sozialistische Abgeordnete im Stadtrat von Seattle, hat kürzlich für die Ernennung der neuen Polizeichefin gestimmt. Das war ein Fehler, weil die Polizei den Kapitalismus verteidigt. Sozialist*innen sollten über die Rolle der Polizei im Klassenkampf reden.

Photo: Von links nach rechts, Polizeichefin von Seattle, Carmen Best; Kshama Sawant

Liebe Kshama,

mit Enttäuschung haben wir von Deiner Entscheidung während der Sitzung des Stadtrats von Seattle am 13. August erfahren. Carmen Best wurde dort zur Polizeichefin ernannt – einstimmig mit 8 zu 0 Stimmen. Das bedeutet, dass Du, als einzige Sozialistin im Stadtrat, ebenfalls für die Ernennung der Polizeichefin gestimmt hast.

Die Zeitung The Seattle Times berichtete über deine Begründung für die Abstimmung: „Sawant sagte, sie würde für Best stimmen […] in Solidarität mit Teilen der schwarzen Community, die gerne eine afro-amerikanische Polizeichefin in Seattle hätten und mich darum baten, nicht dagegen zu stimmen.“

Sozialist*innen sind gegen die Polizei

Kshama, Du bist die derzeit berühmteste sozialistische Abgeordnete in den Vereinigten Staaten. Du hast eine Wahl gewonnen, ohne der Demokratischen Partei beizutreten und Du bist Mitglied der trotzkistischen Organisation Socialist Alternative (SAlt, US-Schwesterorganisation der SAV in Deutschland). Als solche trägst Du die unglaubliche Verantwortung gegenüber einer neuen Generation, die gerade nach einer Alternative zum Kapitalismus sucht, die sozialistische Idee zu vertreten.

Sozialist*innen standen der Polizei seit der Zeit von Karl Marx schon immer unversöhnlich gegenüber, weil die Polizei ein „Hauptwerkzeug der Gewaltausübung der Staatsmacht“ ist, wie Lenin ausführt. Als Sozialist*innen sind wir der Überzeugung, dass der Staat existiert, um die Privilegien der herrschenden Klasse zu verteidigen. Marx erklärte, dass die Arbeiter*innen den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen müssen, wenn sie sich selbst befreien wollen. Das ist nicht möglich, ohne die Polizei ebenfalls zu zerschlagen.

Jede erfolgreiche Revolution hat Arbeiter*innen hervorgebracht, die sich erhoben haben und erfolgreich gegen die Polizei kämpften. Das ist während der Pariser Kommune 1871 so gewesen und während der Unruhen auf dem Tahrir-Platz 2011. Bei jedem erfolgreichen Massenaufstand musste die Polizei sich ergeben und die Waffen niederlegen.

Die Polizei von heute

Mehr und mehr Menschen in den Vereinigten Staaten realisieren, dass die Polizei als Institution für gewaltsame Unterdrückung verantwortlich ist. Sie ermorden nicht-weiße Menschen, während sie vor Strafverfolgung geschützt sind, zudem greifen sie linke Demostrant*innen an und beschützen regelmäßig Neo-Nazis. Das bedeutet, dass die klassische marxistische Forderung – Bruch mit der Polizei und Aufbau demokratischer Organe zur Selbstverteidigung, kontrolliert durch die Arbeiter*innen – eine größere Zahl von Menschen erreichen kann, als jemals zuvor.

Du hast richtigerweise gesagt, dass die Polizei von Seattle als gesamte Organisation verdorben ist, nicht nur einzelne Elemente. Aber das Problem mit der Polizei geht über die Führung eines einzelnen Polizeireviers hinaus. Die Polizei existiert allein, um das Privatvermögen einer winzigen Minderheit von Kapitalist*innen zu schützen, und dafür wird sie jede Form der Unterdrückung verwenden.

Zusätzlich zu ihrer Hauptfunktion, das Eigentum der Kapitalist*innen zu schützen, ist die Polizei eine unglaublich rassistische, sexistische und homophobe Einrichtung. Es ist kein Problem von „bösen Bullen“ – selbst wenn „gute Leute“ Bullen werden, nehme sie diese unterdrückerischen Funktion ein. Beispiele dafür sehen wir überall; es macht keinen Unterschied ob nicht-weiße Frauen oder Männer Polizeichef*in werden, der US-Kapitalismus ist durch die Wahl des ersten schwarzen Präsidenten auch nicht weniger rassistisch geworden.

Das Polizeirevier von Seattle ist keine Ausnahme. Nur um ein Beispiel zu nennen, Oscar Perez-Giron wurde von einem Officer des Seattle Police Department erschossen, nachdem er ursprünglich wegen Schwarzfahren festgehalten wurde. Als er zu flüchten versuchte, wurde er vom Officer erschossen. Natürlich gab es keine weiteren Konsequenzen für den Officer und erst recht nicht für das Police Department. Ein anderer Fall mörderischer Polizeigewalt in Deinem US-Bundesstaat war der von Antonio Zambrano-Montes, der von der Polizei von Pasco (eine Stadt im Süden des US-Bundesstaats Washington) erschossen wurde, während er sich bereits ergeben hatte und seine Arme in die Luft gestreckt hielt, wie der Webseite von Socialist Alternative zu entnehmen ist. Und das ist genau das, wozu die Polizei da ist: um Arbeiter*inne zu disziplinieren. Dabei wird auch die Tötung von Personen billigend in Kauf genommen.

Eine Alternative

Für eine*n Polizeichef*in zu stimmen, weil einige nicht-weiße Menschen gerne eine*n afro-amerikanische*n Polizeichef*in hätten, ist eine gefährliche Logik. Dieser Logik zu folgen, würde bedeuten, Wahlwerbung für Barack Obama zu machen, der zur Zeit seiner Wahl noch viel mehr Unterstützung von Anführer*innen der afro-amerikanischen Community bekam. Seine achtjährige Präsidentschaft hat klar gemacht, dass er nichts anderes getan hat, als dem zutiefst rassistischen System einen Deckmantel zu geben. Das ist der Grund, weshalb alle sozialistischen Organisationen, inklusive Deiner eigenen, sich von Anfang an gegen Obama gestellt haben.

Wir fordern Dich auf, Deine Position zu überdenken und Dich entschieden gegen die kapitalistische Polizei auszusprechen. Wir rufen alle Genoss*innen von Socialist Alternative und deren Internationale, dem Committee Workers’ International (CWI), auf, darüber zu diskutieren.

Leider hat das CWI eine gewisse Tradition der Unterstützung der Polizei in verschiedenen Zusammenhängen. Dazu gehört die Unterstützung von Bemühungen von Polizist*innen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, was lediglich dazu dient, die Umstände zu verbessern, unter denen sie Arbeiter*innen angreifen, insbesondere People of Color. In Großbritannien ging die Socialist Party (CWI) soweit, dass sie den Vorsitzenden der Gefängniswärter*innen“gewerkschaft“ als Parteimitglied aufnahm. Wie wir bereits sagten, widerspricht dies den Analysen und Zielen der sozialistischen Bewegung.

Wir denken, dass Sozialist*innen in den Vereinigten Staaten unter keinen Umständen die Polizei unterstützen sollten. Ein Ziel der sozialistischen Revolution wird die Entwaffung und Abschaffung des rassistischen Polizeiapparats sein, an dessen Stelle demokratische Organe der Selbstverteidigung von Arbeiter*innen, People of Color, der Jugend und LGBTI treten sollen. Deine Organisation könnte in solch einer Kampagne eine wichtige Rolle spielen, die dabei helfen würde, die Reihen der sozialistischen Bewegung mit den am meisten unterdrückten Sektoren der USA zu schließen.

Die Front der Linken und der Arbeiter*innen (FIT) in Argentinien hat ein Programm, dass sich kompromisslos gegen die Polizei richtet und bei der letzten Wahl mehr als eine Millionen Stimmen bekam. Beim aktuellen politischen Klima in den USA, mit einem wachsenden Interesse für den Sozialismus, müssen wir mehr als jemals zuvor deutlich machen, welche Position Sozialist*innen gegenüber der Polizei einnehmen.

Solidarische Grüße
Wladek
Left Voice/Klasse Gegen Klasse

Dieser Offene Brief erschien zuerst auf unserer Schwesterseite Left Voice.

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