Münster: Polizei lässt militante Neonazis marschieren

06.07.2025, Lesezeit 7 Min.
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Foto: KGK

Bekannte Neonazi-Kader durften am Samstag unter massivem Polizeischutz durch Münster marschieren. Doch sie stießen auf entschlossenen Widerstand. Die Polizei reagierte mit Gewalt gegen die Gegendemonstrant:innen.

Für den 5. Juli 2025 hatte der „Freundeskreis Siegfried Borchardt“ eine Demonstration in Münster angekündigt. Dem Aufruf folgten verschiedene Neonazi-Gruppen – darunter Die Heimat (ehemals NPD) – sowie mehrere junge Neonazi-Organisationen aus dem Ruhrgebiet. Ziel war es, den Erhalt des Grabes des verstorbenen Neonazis Siegfried Borchardt, besser bekannt als „SS-Siggi“, zu verteidigen.

Münster als Bühne für Märtyrer-Kult

Borchardt war eine Schlüsselfigur der militanten Neonazi-Szene. Seit den 1980er Jahren war er Funktionär der verbotenen FAP und Anführer der Hooligan-Gruppe „Borussenfront“. In den 2010er Jahren trat er für die Partei Die Rechte auf und saß 2014 kurzzeitig im Dortmunder Stadtrat. Sein Spitzname „SS-Siggi“ verweist auf seine offen nationalsozialistische Haltung. Borchardt selbst bevorzugte die Bezeichnung „SA-Siggi“, um sich als „nationalrevolutionär“, also in der Tradition Ernst Röhms, zu inszenieren. Röhm und die SA standen in den frühen 1930er Jahren für einen völkisch-sozialistischen Flügel des Nationalsozialismus, der mit Gewalt gegen Linke und Gewerkschaften vorging. In diese Tradition stellen sich Neonazis wie Borchardt – bewusst in Abgrenzung zu Hitler, um anschlussfähig zu bleiben und sich rhetorisch von den NS-Verbrechen zu distanzieren.

Bekannte Nazi-Kader als Organisatoren

Seit Borchardts Tod im Jahr 2021 wird über die Grabinschrift vor dem Landgericht Münster verhandelt, um zu verhindern, dass die Grabstätte zum Pilgerort der extremen Rechten wird – nachdem die Stadt Dortmund bereits daran gescheitert ist, den Grabstein selbst zu untersagen.

Die Demonstration in Münster wurde von bekannten Neonazis wie Christian Worch, Alexander Deptolla und Sven Skoda organisiert. Worch gilt als Veteran der Szene, Deptolla ist maßgeblich am rechten Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“ beteiligt, und Skoda wird wegen möglicher rechtsterroristischer Aktivitäten vom Staatsschutz beobachtet. Eine derart gefährliche Konstellation von rechten Führungspersonen war für Münster bisher beispiellos.

Polizei will reibungslosen Ablauf

Die Polizei war mit einem massiven Aufgebot vor Ort: mehrere Hundertschaften, Reiterstaffel, drei Wasserwerfer, Drohnen und ein Helikopter. Die Demoroute wurde mit Hamburger Gittern weiträumig abgesperrt. Es gelang den Antifaschist:innen derweil nicht durch die Absperrungen zu kommen, da die Polizeipräsenz das verhinderte. Es gab Versuche an der Hammer Straße, Herwarthstraße und rund um den Ludgerikreisel, die jedoch erfolglos blieben. Demonstrierende wurden in Kleingruppen bereits in Seitenstraßen eingekesselt. Es kam zu gewaltsamen Übergriffen durch die Polizei, zu mindestens einem Dutzend Gewahrsamnahmen und einer zunehmend gefüllten Gefangenensammelstelle am Friesenring.

Die Gegendemonstrationen vom Bündnis „Keinen Meter“ waren breit und kämpferisch. Bereits am Hauptbahnhof versammelten sich rund 500 Menschen aus linken Gruppen, Gewerkschaften und antifaschistischen Gruppen – viele davon angereist aus anderen Städten. Als die Neonazis gegen 13:30 Uhr eintrafen, wurden sie mit ohrenbetäubendem Protest empfangen, der selbst die polizeilichen Durchsagen zur Räumung der Straße übertönte.

Paramilitärisches Auftreten verzögert Aufmarsch

Der geplante Aufmarsch der Neonazis geriet früh ins Stocken. Aufgrund von Verstößen gegen das Vermummungsverbot und uniformartigem Auftreten verzögerte sich der Start um über eine Stunde. Auch danach kam der Zug kaum voran: In den ersten zwei Stunden legte er nur etwa 500 Meter zurück. Immer wieder sorgten Verstöße gegen die Demo-Auflagen für Stillstand. Die Stimmung unter den Rechten war zunehmend angespannt als der Demozug von der Polizei gestoppt wurde. Kurzzeitig wurden alle Reichsfahnen der Teilnehmer eingesammelt. Mehrere Teilnehmer, darunter bekannte Organisatoren, wurden von der Polizei wegen „paramilitärischem Auftreten“ kurzzeitig abgeführt – einige jedoch später ohne Platzverweise wieder in den Demozug zurückgelassen. 

Zeitweise versuchten Gruppen eine Umleitung des rechten Aufmarschs zu verhindern, die allerdings nie im Raum stand und offensichtlich durch die Absperrung der Polizei nie vorgesehen war. Immer wieder griff die Polizei brutal ein: Menschen wurden geschlagen, festgesetzt, ihre Personalien notiert oder direkt in Gewahrsam genommen.

Ein Kilometer den Nazis

Gegen 17:45 Uhr setzte sich der verbliebene Neonazi-Zug erneut in Bewegung. Die Reichsfahnen durften erneut ausgerollt werden, allerdings in reduzierter Anzahl. Um 17:54 Uhr erreichte der Demozug seinen Zielort – einen Parkplatz zwischen Hafenstraße und Schorlemerstraße. Auch dort wurde die Abschlusskundgebung von lautem Gegenprotest begleitet und war kaum verständlich. Einzelne rechte Gruppen zogen später selbstständig durch die Innenstadt oder versuchten über den Hauptbahnhof zu entkommen. In einem rechten Livestream kündigte unter anderem Stefan Worch weitere Aktionen in Münster an. Zudem wurden gezielt linke Aktivist:innen bedroht und geoutet.

Lautstarker Gegenprotest begleitete die Neonazis auf ihrem Rückweg über die Hafenstraße bis zum Hauptbahnhof. Ihre Abschlusskundgebung versank im Lärm des Gegenprotests. Aktivist:innen hielten bis zum Ende durch, dokumentierten, filmten und konfrontierten die Faschist:innen auch in Kleingruppen auf dem Rückweg. Gleichzeitig setzte der Staat seine Repression fort. Die antifaschistische Kundgebung am Bahnhof wurde unter Androhung einer Anzeige zwangsweise aufgelöst, während Neonazis ungestört filmten und Einzelpersonen einschüchterten.

Es bleibt dabei: Auf den Staat ist kein Verlass!

Die Ereignisse vom 5. Juli zeigen einmal mehr: Der bürgerliche Staat ist nicht neutral im Kampf gegen Rechts. Während der Aufmarsch militant organisierter Neonazis unter massivem Polizeischutz durchgesetzt wurde, richtete sich die staatliche Repression fast ausschließlich gegen die antifaschistische Gegenbewegung. Die Polizei verteidigte mit Gewalt das Demonstrationsrecht für eine Szene, deren Ideologie auf Vernichtung und Gewalt beruht. Dabei kriminalisierte die Polizei gleichzeitig jene, die sich dieser Bedrohung entschlossen in den Weg stellten.

Gleichzeitig wurde deutlich, welches Potenzial antifaschistische Mobilisierung entfalten kann. Hunderte Menschen aus Münster und anderen Städten stellten sich den Neonazis mit Mut, Entschlossenheit und Kreativität entgegen. 

Antifa in die Offensive – Antifa an die Betriebe!

Doch Antifaschismus darf nicht allein defensiv bleiben. Die militante Rechte vernetzt sich zunehmend europaweit, professionalisiert sich und erhält strukturelle Rückendeckung durch staatliche Toleranz und institutionellen Rassismus. Gerade die Politik der Merz-Regierung in Bezug auf die Verschärfung von Grenzkontrollen und die Schikane gegen Geflüchtete schürt den Rassismus und bereitet faschistischen Gruppen den Weg. Die Antwort darauf muss eine offensive, klassenkämpferische Bewegung sein die organisch mit der Arbeiter:innenklasse, den Unterdrückten und der Jugend verbunden ist: in Betrieb und Gewerkschaft verankert, antikapitalistisch, antirassistisch und internationalistisch. Nur so können wir die Grundlagen für eine Welt schaffen, in der Faschismus und seine Wegbereiter keinen Platz mehr haben.

Die Ereignisse haben erneut gezeigt: Auf den Staat ist im Kampf gegen Nazis kein Verlass. Bei dieser Aktion hat sich die Polizei einmal mehr als Kettenhund der Faschist:innen erwiesen – sie tat ihr Bestes, um einen reibungslosen Ablauf des NS-Propaganda-Marsches zu gewährleisten.

Die antifaschistische Bewegung in Münster konnte an diesem Tag zwar erneut unter Beweis stellen, dass sie zahlreich und entschlossen genug ist, sich den Faschist:innen entgegenzustellen. Doch es besteht eine deutliche Inbalance zwischen den Mitteln, die der Staat anwendet, um die Nazis zu schützen, und den Mitteln, die uns derzeit zur Verfügung stehen, um die Nazis aufzuhalten. Wenn wir unsere antifaschistischen Leuchttürme frei von Nazis halten wollen, muss sich die Bewegung verbreitern, vertiefen und besser koordinieren: besser als die Polizei.

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