Lieferando-Fahrer:innen streiken gegen Outsourcing und Entlassungen

24.10.2025
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Foto: KGK

Massenentlassungen, schlechte Bezahlung und prekäre Arbeitsbedingungen, besonders von migrantischen Beschäftigten: Die Beschäftigten bei Lieferando wehren sich.

++ English below ++

Am Donnerstag, den 23.Oktober 2025 streikten die Essensausliefer:innen der Firma Lieferando in Berlin. Lieferando kündigte im Juli 2025 den Abbau von rund 2000 Stellen bundesweit an. Dies wären etwa 20 Prozent der aktuell besetzten Stellen.

Das Problem an dem Stellenabbau: Den gekündigten Kolleg:innen droht anschließend die Beschäftigung in zwielichtigen Subunternehmen. Es gibt Berichte, dass Kolleg:innen nach Kündigungen Anrufe aus dem Nichts für illegale Jobangebote erhalten haben, beispielsweise von der Firma Fleetlery. Viele der oftmals migrantischen Kolleg:innen sind darauf angewiesen, diese anzunehmen. Bei Fleetlery  erhalten die Beschäftigten keine Arbeitsverträge und werden pro Auslieferung bezahlt; die Neuanstellungen werden durch intransparente Whatsapp-Kontakte vermittelt. Es gäbe keine klaren Regelungen für Mindestlohn oder Pausenzeiten. Deshalb fordern die Streikenden nicht nur eine Rücknahme der Kündigungen, sondern auch legalisierte, geregelte Arbeitsverhältnisse. 

Nicht nur Feetlery ist für seine illegalen Praktiken bekannt: Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) kritisiert bei vielen Lieferdiensten Arbeitszeitverstöße und Bezahlung unterhalb des Mindestlohns. Betroffen von dem Stellenabbau bei Lieferando seien außerdem besonders Standorte mit soliden Betriebsratsstrukturen, denn organisierte Beschäftigte sind dem Management ein Dorn im Auge. 

Samee, Mitglied des Lieferando Workers Collective, beschreibt die Lebensrealität für ihn und seine Kolleg:innen: Die erste Grenze sei die deutsche Grenze. Viele mussten viel Geld für Visa- und inoffizielle Vermittlungsprozesse zahlen, um überhaupt nach Deutschland zu kommen. Dann wartet die Ausbeutung durch Firmen wie Lieferando. Mit der unsicheren Beschäftigung bei Subunternehmen geht auch Unsicherheit des Aufenthalts der Kolleg:innen einher. So nutzt der Konzern die wirtschaftliche und rechtliche Situation der Arbeiter:innen gezielt aus.  

Die Streikenden kritisieren auch die unrealistischen Lieferzeiten, die sie unter gefährlichen Bedingungen einhalten sollen. Sie sind Wind, Regen und Kälte auf ihren Fahrrädern schutzlos ausgeliefert. Gefordert wird ein Tarifvertrag, den die NGG derzeit mit Lieferando verhandelt. Unter anderem soll dieser ein Einstiegsgehalt von 15 Euro pro Stunde vorsehen. Schließlich ergab eine Recherche von Fairwork im Jahr 2025, dass viele Lieferunternehmen, unter anderem auch Lieferando, ihren Beschäftigten noch nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn von 12,82 Euro auszahlen. 

In diesem Kontext ist der Redeauftritt Cansel Kiziltepes, der Berliner Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung im CDU-SPD-Senat, zu kritisieren. Die SPD-Politikerin versprach, als Land Berlin gegen die Illegalisierung der Arbeit und das Subunternehmertum vorgehen zu wollen. Doch gerade ihre eigene Partei hat mehrfach Outsourcing-Prozesse im öffentlichen Sektor mitgetragen – etwa in den landeseigenen Krankenhäusern und Dienstleistungsbetrieben. Die SPD war in Berlin eine aktive Architektin der Ausgliederungspolitik im öffentlichen Dienst. Unter dem von SPD und Linkspartei geführten Senat wurden in den 2000er-Jahren im Zuge der Haushaltskonsolidierung weitreichende Outsourcing-Maßnahmen beschlossen. Bis heute sind hunderte Beschäftigte in ausgegliederten Tochterfirmen tätig – mit schlechterer Bezahlung und unsicheren Verträgen. Kiziltepe verspricht damit, die Folgen einer Politik zu bekämpfen, die ihre Partei selbst maßgeblich mitgestaltet hat und in Senat und Bundesregierung auch heute noch mitträgt.

Zudem hat die SPD bereits als führende Kraft der Ampelregierung und auch jetzt auf Bundes- und Landesebene das unmenschlichste Asyl- und Migrationsregime der letzten Jahrzehnte aufgebaut. Damit hat die SPD-Politik selbst die Bedingungen geschaffen, unter denen migrantische Arbeiter:innen besonders verwundbar für Ausbeutung sind. Wir sollten ihre Rede also nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten messen. 

„Es ist ganz einfach“, sagte ein Kollege vor der Versammlung, „ihr stellt uns an – ihr bezahlt uns. Wir brauchen kein Subcontracting.“

Zahlreiche Organisationen und solidarische Einzelpersonen unterstützten die Streikdemonstration der Fahrer:innen. Auch Kolleg:innen aus Dänemark und Österreich waren vor Ort. Sie berichteten, dass die gleichen Ausbeutungsmuster in vielen Ländern vorkommen: Nach erfolgreichen Arbeitskämpfen werden Beschäftigte entlassen und durch Subunternehmen ersetzt, um gewerkschaftlich errungene Abmachungen auszuhebeln. Sie ermutigten die Berliner Beschäftigten, weiter zu kämpfen, denn nur so ließen sich ihre Rechte verteidigen.

Am Donnerstag, den 30. Oktober 2025 organisiert das Lieferando Workers Collective eine offene Versammlung zum Streik. Kommt vorbei und unterstützt die Riders! 

English version

On Tuesday, Lieferando drivers in Berlin went on strike against planned mass layoffs, poor pay, and dangerous working conditions. Their protest is also directed against the increasing outsourcing of jobs to subcontractors and the precarious situation of migrant workers due to legal regulations.

On Tuesday, no Lieferando drivers rode through the streets of Berlin: the riders went on strike. The reason: In July 2025, the company announced the elimination of around 2,000 jobs nationwide.This would represent approximately 20 percent of the currently filled positions.

In some cities, dismissed workers later received unexpected phone calls from shady subcontractors  – such as Fleetlery  – offering illegal jobs, though this has not yet occurred in Berlin. Fleetlery is notorious for its illegal practices: the Food, Beverages and Catering Union NGG has repeatedly criticized violations of working-time regulations and pay below the legal minimum wage. Reports of bogus self-employment among riders are also circulating. The job cuts especially target sites with combative works council structures. After all, organised workers are a thorn in management’s side.

Many of the often-migrant delivery workers at Lieferando and similar companies not only have to fight the corporations but also face repression from the government bureaucracy. Through these mass layoffs, many of our co-workers are being pushed into informal and illegal work.

Hence, the workers are demanding not only that the layoffs be reversed, but also that all riders be granted legal, regulated employment contracts.

Samee, a member of the Lieferando Workers Collective, describes the daily reality for himself and his co-workers: The first border is the German border. Many of his colleagues were forced to pay a lot of money just to be allowed into the country. Then comes the next stage of exploitation by companies like Lieferando.

Precarious subcontracted employment correlates with precarious residence status. The economic and legal vulnerability of the workers plays directly into the hands of corporate management.

In this context, Cansel Kiziltepe – Berlin’s Senator for Labor, Social Affairs, Equality, Integration, Diversity and Anti-Discrimination in the CDU-SPD Senate – holding a speech deserves criticism. The SPD politician promised that the city of Berlin would take action against illegal work and against subcontracting. Yet her own party, as a leading force in the former and current federal govrenment coalition and in Berlin’s Senate, has built one of the most inhumane asylum and migration regimes of the past decades. Kiziltepe’s party has made life significantly harder for many Lieferando workers and created the conditions for the bosses’ exploitative tactics.

Beyond the subcontracting practices, the strikers also denounce the unrealistic delivery times they are expected to meet, often under dangerous conditions. Riders are exposed to wind, rain, and cold on their bicycles without proper protection. They are fighting for a collective agreement currently being negotiated between Lieferando and the NGG union. Among other things, it demands a starting wage of 15 euros per hour.

A 2025 Fairwork report revealed that many delivery companies – including Lieferando –  still fail to pay even the legal minimum wage.

“It’s very simple,” said one worker at the rally.  “You hire us, you pay us. We don’t need subcontracting.”

Numerous organisations and individuals showed solidarity with the striking riders. Colleagues from Denmark and Austria also joined and reported that the same exploitative patterns appear everywhere: after workers win improvements such as higher wages, companies fire them and rehire through subcontractors to undermine those union gains. They encouraged the riders to keep fighting – because only through struggle can they defend their rights. 

On Thursday, October 30, 2025, the Lieferando Workers Collective is organising an open assembly on the strike. Come by and support the riders!

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