„Les Barbares“ im Kino: Die Farce des liberalen Antirassismus

Ein verschlafenes Dorf in der Bretagne bereitet sich auf die Ankunft ukrainischer Geflüchteter vor, muss dann aber eine syrische Familie aufnehmen. Warum „Les Barbares” ein falscher Film zur falschen Zeit ist.
Es ist das Jahr 2022, unter einem Portrait von Macron erklärt der etwas unbeholfene Bürgermeister des bretonischen Dorfes Paimpont stolz, dass seine Gemeinde angesichts der russischen Invasion für die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter gestimmt habe. Die Pointe: Die „Solidarität“ mit den Ukrainer:innen ist so groß, dass es gar keinen Bedarf mehr für die Unterbringung Geflüchteter gibt. Eine engagierte Lehrerin, gespielt von Julie Delpy („2 Tage in Paris“) der Regisseurin des Films, fädelt ein, dass stattdessen Geflüchtete aus Syrien kommen. Nicht allen im Dorf gefällt das, schließlich seien die Syrer:innen ja im Gegensatz zu den Ukrainer:innen, keine Europäer:innen, nicht „wie wir“.
Hier trifft der Film tatsächlich etwas, wenn er die Ungleichbehandlung der Geflüchteten kritisiert. Noch treffender wäre es gewesen, nicht nur die unterschiedliche Wahrnehmung, sondern auch die institutionellen, rechtlichen, ökonomischen Säulen dieser Ungleichbehandlung, ihre Wurzeln in der imperialistischen Außenpolitik, in den Fokus zu nehmen. Zugleich scheint die vom Film vorgebrachte Kritik selbst schon aus der Zeit gefallen: Ukrainische Geflüchtete werden längst nicht mehr „mit offenen Armen“ empfangen. Das wurden sie – insbesondere in Frankreich – nie, doch auch die Rhetorik hat sich mit dem Fortschreiten des Krieges und des Rechtsrucks verändert. In Deutschland wird debattiert, ukrainische Männer in den Tod an der Front abzuschieben, Merz beschuldigte Ukrainer:innen, Deutschen die Zahnarztplätze wegzunehmen, Frankreich stellt kaum noch Wohnungen für ukrainische Geflüchtete zu Verfügung.
Insgesamt scheint „Les Barbares“ einer vergangenen Zeit zu entspringen. In der ein liberaler, vermeintlicher „Antirassismus“ in Teilen der herrschenden Klasse noch en vogue war. In der es einigermaßen glaubhaft erscheint, dass der bürgerliche Staat humanitär agiert, dass die Gesellschaft Schritt für Schritt – und ohne strukturelle Veränderungen – offener und toleranter wird, dass substantieller Fortschritt nicht kollektiv erkämpft werden muss.
Die Doktrin des Films, die uns schon in vielen solcher „Integrationskomödien“ präsentiert wurde, besteht darin, dass sich der Rassismus in der Gesellschaft primär aus individuellen Vorurteilen und Ignoranz speist, dass sich Einheimische und Eingewanderte nur besser kennenlernen müssen, um ihn zu überkommen. Die syrische Familie wird von Teilen der Dorfgemeinschaft mit Feindseligkeiten konfrontiert. Angeführt werden diese von einem verbitterten Klempner, der sich einer faschistischen Gruppe anschließt und eine Petition für den Rauswurf der Geflüchteten startet, der sich zeitweise viele anschließen. Ein Dorffest wird auch von einigen Mitgliedern einer faschistischen Gruppe gestürmt, doch der Film behandelt sie vielmehr als bloße Witzfiguren, denn als reale Bedrohung.
Die Reibereien mit den anfangs verklemmten Dorfbewohner:innen lösen sich jedoch frappierend leicht auf. Ihr Rassismus ist nur eine „Startschwierigkeit“, der schnell überwunden ist, nachdem sie die Geflüchteten kennenlernen und sich einen kleinen Ruck geben. Am Ende des Films herrscht völlige Harmonie: Vom macronistischen Bürgermeister bis zum tölpeligen, aber wohlmeinenden Dorfpolizisten verstehen sich alle blendend, die Geflüchteten sind voll und ganz angekommen und hauchen der Gemeinde neues Leben ein, selbst der Faschist scheint geläutert.
Bezeichnend ist auch, wie die Geflüchtetenfamilie gezeichnet wird. Die Mutter ist Designerin, der Vater Architekt, die Schwester Ärztin. Sie sind hochgebildet, über die Maße freundlich und integrationsbemüht, nicht religiös, arbeitswillig, gesetzestreu. In Syrien waren sie Gegner:innen von Assad und Daesh, in Frankreich ecken sie politisch nicht an. Während sie auf einem Filmscreening über die Assad-Diktatur sprechen, ruft ein alter, verschrobener Kommunist, „wie in Frankreich!“. Man schmunzelt.
Die Regisseurin denkt wohl, sie erweise dem Antirassismus einen Dienst, wenn sie die syrische Familie als nahezu tadellose Musterbürger:innen darstellt. In Wahrheit macht sie eine gefährliche Abkürzung und reproduziert einen Nützlichkeitsrassismus. Sie fragt, was man denn gegen solch vorbildliche Menschen haben könnte und lässt offen, wie es dann um die Mehrheit der Migrant:innen gestellt ist, die diesem Bild nicht entspricht, weil sie es gar nicht kann, nicht darf. In einer Schlüsselszene gegen Ende des Films treten bei einer Frau an einem Badesee überraschend die Wehen ein, für die Fahrt ins Krankenhaus bleibt keine Zeit mehr. Entgegen dem Willen des faschistischen Ehemanns eilt die syrische Ärztin zur Hilfe und bringt das Kind sicher auf die Welt. Das Eis ist endgültig gebrochen, indem die Geflüchtete ihre Nützlichkeit unter Beweis gestellt hat.
In der Welt von „Les Barbares“ scheint niemand ökonomische Probleme zu haben. Armut und Perspektivlosigkeit der französischen Dorfbewohner:innen existieren hier nur in den verwirrten Köpfen der Rechten, anstatt dass gezeigt wird, wie die Rechten reale sozioökonomische Probleme und das Fehlen einer linken Antwort für ihre reaktionäre Agenda kanalisieren. Auch der ökonomische Status der Geflüchteten hat mit der rassistischen Lager-Realität wenig zu tun, sie leben von Beginn an in einem großen, gut ausgestatteten Haus, zum Ende ziehen sie sogar in ein selbst renoviertes luxuriöses Domizil um. Der Rassismus scheint in dieser Welt gar keine materielle Grundlage zu haben, kein für das Funktionieren der kapitalistischen Klassengesellschaft integrales Herrschaftsinstrument zu sein, bloßes falsches Bewusstsein ohne Sein.
Die Regisseurin bezeichnet „Les Barbares“ als „linken Wohlfühlfilm„. Besonders links ist dieser Film nicht, wohl aber ein Wohlfühlfilm. Das Publikum kann sich für 1 ½ Stunden auf der Seite der Guten wähnen, mit warmem Gefühl schmunzeln, mitfühlen, wenn der Film seine dramatischeren Höhepunkte erreicht, in dem vollen Wissen, dass sich am Ende ja schon alles gut ausgehen wird.
Doch warum ist der Film nun so aus der Zeit gefallen? Der liberale Antirassismus, den „Les Barbares“ vor sich herträgt, war schon immer verlogen. Doch konnte man 2015, als die bürgerliche Presse noch von „Willkommenskultur“ schrieb, vielleicht noch plausibel daran glauben, haben im Jahr 2025 die realen Entwicklungen in der europäischen Politik diese Lüge unmissverständlich aufgedeckt.
In ganz Europa hat die liberale „Mitte“ die humanitären Phrasen abgelegt und Programm und Rhetorik der extremen Rechten in weiten Teilen übernommen. Mit der Verschärfung des Militarismus und der kapitalistischen Krise wird auch das rassistische Asyl- und Migrationsregime verschärft. Macron wirbt für die Stärkung von Frontex, hetzt unablässig gegen Muslim:innen, und rüstet die rassistische Polizei auf. Marine Le Pen lobte seine Migrationspolitik. Fast ist man versucht, dem Film zugute zu halten, dass er bei dieser Rechtsverschiebung nicht mitgeht und weiterhin für Toleranz und Integration plädiert. Aber eben nur fast, denn diese Haltung ist weder frei von Rassismus, noch hat sie der aktuellen Zuspitzung irgendetwas entgegenzusetzen,
Ken Loach – ein tatsächlicher Linker – veröffentlichte vor etwa einem Jahr mit „The Old Oak“ einen Film zu einem ähnlichen Thema, es geht um die Ankunft syrischer Geflüchteter in einem kleinen britischen Dorf. Auch wenn dieser Film sicherlich seine Schwächen hat, so ist er doch unendlich besser als „Les Barbares“. Er leugnet weder die reale soziale Misere in der ehemaligen Bergbaugemeinde, noch beschönigt er die miserable Behandlung der Geflüchteten. Und vor allem deutet er an, wie dem Rassismus tatsächlich etwas entgegensetzt werden kann. Dass die Spaltung der Ausgebeuteten und Unterdrückten überwunden werden muss. Dass der Sinneswandel nicht individuell, sondern durch Organisierung und Solidarität im gemeinsamen Kampf geschieht.