Krankenhäuser im Krieg: Zwischen Zerstörung und Kriegsmaschine

08.10.2025, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Kriegskrankenhaus der Miesauer Bundeswehrkaserne / DoD News (Flickr.com)

Was passiert mit Krankenhäusern und dem Gesundheitssystem im Krieg? Einblick in den Workshop „Gesundheit und Leben statt Krieg und Tod“ aus unserem diesjährigen Herbstcamp 2025. Einige Workshops vom diesjährigen Internationalistischen Herbstcamp werden in den kommenden Wochen und Monaten auf den bekannten Streaming-Plattformen veröffentlicht. Folgt uns dafür auf Spotify und Apple Podcasts, um nichts zu verpassen. 

Wie es um das Gesundheitssystem in Deutschland steht, ist spätestens seit Corona bekannt: Überarbeitetes und unterbezahltes Personal, gleichzeitig Mangel an Fachkräften und zusätzlich ist das Gesundheitswesen auch enorm von Kürzungen betroffen. In München wurde ein Kreißsaal geschlossen, in Bremen wurde die Schließung des Klinikums Links an der Weser beschlossen und in Berlin drohen auch der DRK-Mitte und dem Jüdischen Krankenhaus das Aus. Pflegeheime sind überfüllt, Patient:innen in Krankenhäusern werden wegen des DRG-Systems „abgefertigt“ und die generelle Versorgung wird zunehmend schlechter. Ein Zwei-Klassen-Versicherungssystem verschlimmert die ohnehin schlechten Zustände noch zusätzlich.

Wir können das Gesundheitssystem heute aber nicht mehr einfach im losen Raum erklären, sondern in einem ganz bestimmten Kontext: Krieg und Militarismus. Beim Workshop „Gesundheit und Leben statt Krieg und Tod“ beim diesjährigen Internationalistischen Herbstcamp von Klasse Gegen Klasse erklärte unsere Genossin Baki Devrimkaya, Pflegeazubi aus Berlin und Mitglied bei RIO / Klasse Gegen Klasse, wie die Gesundheitsversorgung in Kriegen in der Regel als Erstes versucht wird, zu zerstören, aber auch, wie Krankenhäuser als Mittel für den Krieg genutzt werden, um die eigene Armee kampffähig zu erhalten.

Krankenhäuser und kritische Infrastruktur als Kriegsziel

Um mit einem ganz konkreten Beispiel zu beginnen: Der Genozid in Gaza ist für die meisten vermutlich sowohl der aktuell bekannteste Krieg neben dem Ukrainekrieg, aber auch der, den wir multimedial jede Sekunde verfolgen können. Wir können jederzeit unsere Handys öffnen und sehen Bilder von toten Kindern, Bilder von Verletzten und Bilder von Flüchtenden. Wir sehen auch Bilder der mittlerweile ausnahmslos komplett zerstörten Landschaft: Wohnhäuser, Schulen, Universitäten – und vor allem Krankenhäuser.

In Gaza ist laut einem Bericht von Ärzte Ohne Grenzen kein einziges Krankenhaus mehr voll funktionsfähig. Von 36 Krankenhäusern sind nur noch ungefähr die Hälfte übrig, die noch irgendwie funktionieren, jedoch kann kein einziges dieser Krankenhäuser mehr eine ausreichende Versorgung leisten. Gleichzeitig werden ihnen medizinische Mittel durch die israelische Blockade von Hilfslieferungen verwehrt. Straßen, die zu Krankenhäusern führen, werden gezielt zerstört und Verletzte, Schwangere und Kranke müssen kilometerweit für eine unzureichende Behandlung laufen. Diese Ziele und Methoden der israelischen Kriegsführung sind nicht wahllos gewählt, wie man etwa daran erkennt, dass das israelische Militär humanitäre und Rettungskonvois beschießt und Rettungskräfte in Gaza vor laufender Kamera tötet.

Krankenhäuser in Gaza werden gezielt bombardiert, um einerseits zu verhindern, dass Verletzte behandelt werden können, und andererseits aber auch, um die Geburtsstätten für neues Leben auszulöschen. Israel greift die Einrichtungen wie Krankenhäuser und Geburtsstätten gezielt an oder zwingt sie, ihren Betrieb einzustellen – wie die direkten Angriffe auf das Al-Shifa- und Al-Nasser-Krankenhaus, mit denen die wichtigsten Entbindungsstationen in Gaza funktionsunfähig wurden oder der Angriff auf die größte Fruchtbarkeitsklinik im Dezember 2023. Der Kriegslogik nach kann Israel den Genozid schneller und aktiver vorantreiben, wenn kein Nachwuchs geboren werden und heranwachsen kann. Diese Grundlage zu nehmen, ist eines der Hauptziele der genozidalen Absichten Israels.

Die Bombardierung von Krankenhäusern und kritischer Infrastruktur ist eine von vielen Kriegswaffen, die aktiv von vor allem imperialistischen Staaten wie Deutschland oder den USA – oder eben ihrem verlängerten Arm wie Israel – benutzt wird, um die Interessen der eigenen Kriegsindustrie und ihrer Profite durchzusetzen. Deutschland unterstützt dabei nicht nur Israel, sondern auch beispielsweise indirekt die RSF (Rapid Support Forces) im Sudan, die gerade gegen die Regierung rebellieren, aber nicht aus einer linken, sondern aus einer rechten Ideologie, also sie wollen die Macht ergreifen und ein dschihadistisch-fundamentalistisches Regime errichten. Auch sie greifen aktiv Krankenhäuser an. Im Jugoslawienkrieg wurde die medizinische Infrastruktur ebenso gezielt mitunter als Erstes bombardiert von der NATO. Dasselbe gilt auch für den Irakkrieg, den Vietnamkrieg und vielen anderen Beispielen von imperialistischen Kriegen und Interventionen.

Deutschland selbst bereitet sich gerade aktiv darauf vor, das eigene Militär in den Krieg zu schicken. Deutschland rüstet ihre Kriegsmaschinerie massiv auf, sowohl mit Waffen als auch mit Personal. Sie bringen den Wehrdienst zurück, bei dem sie sich nur noch nicht final entschieden haben, ob er verpflichtend sein soll oder nicht. Sie stecken Hunderte Milliarden in die eigene Bundeswehr und gleichzeitig 500 Milliarden Euro in die „Infrastruktur“. 

Letzteres fließt in die Krankenhäuser und beispielsweise in das Bahnnetz in Deutschland. Hört sich erstmal gut an, immerhin kämpfen die Streikbewegungen beider Sektoren seit Jahrzehnten, dass das passiert. Aber das Geld, das in die Infrastruktur fließt, fließt nicht rein, um Beschäftigten bessere Löhne oder Patient:innen eine bessere Versorgung zu ermöglichen, sondern um die Krankenhäuser auf einen Kriegszustand vorzubereiten.

Deutschlands Politiker:innen – von rechts bis links – wollen uns verkaufen, dass Russland vor der Haustür steht. Sie führen jahrzehntelang einen Machtkampf mit Russland, um ihren Einfluss in der Welt zu vergrößern, und nutzen die Chance des russischen Kriegs in der Ukraine als Vorwand, um die Bevölkerung in Deutschland auf eine Kriegsgefahr und einen Kriegszustand vorzubereiten. Sie sagen: „Wir müssen uns schützen, wir müssen wehrfähig sein“. Sie schicken Milliarden Euro an Waffen in die Ukraine, aber nicht, weil sie wirklich daran interessiert sind, die Ukraine in die EU und in die NATO aufzunehmen, sondern um die eigenen Kassen füllen zu können und die Ukraine zusätzlich auch noch abhängig vom europäischen Militarismus zu machen. Gleichzeitig beginnt in Deutschland die Debatte, Krankenhäuser „kriegstauglich“ zu machen – und erste Schritte dahin wurden bereits fest geplant und durchgeführt.

Wie soll das aber funktionieren? Wie rüstet man Krankenhäuser auf? 

Zwei Rostocker Kliniken zeigen es gut auf: Sie haben erst Ende August eine Militärübung auf Klinikgelände durchgeführt. Sie haben „Kriegsverletzte“ vom Rostocker Hafen in zwei Unikliniken in Rostock gebracht. Dabei ging es darum, wie schnell man Personal von A nach B schiffen und bringen kann, wie gut die Kommunikation zwischen Militär und Krankenhaus funktioniert, wie schnell die Unfallchirurgie vor Ort umgestellt werden kann und viele weitere Aspekte. Die Übung sollte eine Kooperation zwischen Bundeswehr und Krankenhäusern plastisch darstellen. Sie soll sie vorbereiten auf den Moment, in dem Deutschland in den Krieg zieht und seine Krankenhäuser auf viele Verletzte in kürzester Zeit auslegen muss. 

Was gerade nur ein Beispiel und eine Übung ist, sieht in der Realität so aus, dass Kriegsverletzte potentiell Vorrang haben sollen zu allen anderen Notfällen eines Klinikums. Und das schreibt die Bundesregierung in ihrem „Umsetzungsplan der Deutschen

Strategie zur Stärkung der Resilienz gegenüber Katastrophen“ so klar, wie man das nur schreiben kann. Egal, ob diese Verletzten mit Militärfahrzeugen, Schiffen oder Helikoptern gebracht werden und egal, ob in der Notaufnahme gerade die alte Nachbarin Gisela mit Folgeproblemen von einem dritten Schlaganfall sitzt und auf eine Untersuchung und Versorgung wartet – die verletzten Soldat:innen haben Vorrang. Und wenn ein Soldat und ein anderer Patient beide in Lebensgefahr schweben und die Kapazitäten nur für eine Person reichen, wird sich ein Arzt entweder für den Soldat entscheiden müssen oder der Regierung Frage und Antwort stehen und im schlimmsten Fall vor Gericht ihre Lizenz verlieren.

Die Bundeswehr selbst soll in Personalmangelfällen zur „Unterstützung“ in den Krankenhäusern eingesetzt werden. Es ist gut, wenn Soldat:innen mal tatsächliche und gesellschaftstaugliche Schwerstarbeit leisten müssen, aber sie machen es nur, weil ihr eigenes Leben auf dem Spiel steht. Soldat:innen sind nichts anderes als Kanonenfutter, egal mit welcher Überzeugung sie in diesen Krieg ziehen. Und dass die Bundeswehr sie als Katastrophenhilfe in Krankenhäusern einsetzen will, dient nur den militärischen Interessen Deutschlands, um verletzte Fußsoldat:innen schnellstmöglich zurück an die Front zu schicken.

Rettungsdienste an taktischen Orten werden besser besetzt, das heißt, in Zeiten der Militarisierung werden Rettungsstellen in der Nähe von See- und Flughäfen, Bahnhöfen und Grenzen zu Kriegsschauplätzen teilweise auch erweitert. Die Unterbesetzung des Pflegepersonals, die das gesamte Gesundheitssystem durchzieht, wird sich dadurch aber nicht auflösen, das heißt, die Belegschaft aus anderen Stationen und Standorten wird dorthin verlagert, wo sie für den Krieg gebraucht werden. Dafür wiederum müssen andere Stationen schließen, oft als aller erstes Geburtsstätten, Pädiatrien und Neonatologien oder auch Geriatrien und Palliativstationen – Also die Orte, die neues Leben schaffen und sie bis zu einem gewissen Alter pflegen, oder die Orte, die die Menschen aufsammeln, die für den Krieg nicht mehr tauglich sind: Alte und im Sterben liegende Personen.

500 Milliarden sollen dafür in die „Infrastruktur“ gepfeffert werden: Für Hubschrauber, für bessere Bahnnetze, damit man nicht nur Kriegsverletzte aus dem Krieg zurück, sondern auch Waffen und neues oder versorgtes Kriegspersonal schneller in den Krieg (zurück) transportieren kann. Und so wird das Krankenhaus, das eigentlich Menschen am Leben erhalten soll, zu einer Institution gemacht, die der Bundeswehr im Kriegsfall auch gesetzlich untersteht, also auch die Entscheidungsgewalt über die Klinikprozesse kann in so einem Fall an die Bundeswehr abgegeben werden.

Und während all das passiert, sieht es für die Arbeit und die Gehälter von Klinikbeschäftigten wiederum mau aus. Die Lebenskosten steigen in Kriegszuständen drastisch, alles wird im Kriegsfall rasend teurer, wie wir auch am Beispiel des Ukrainekriegs gemerkt haben. Während aber alles teurer wird, steigen die Löhne nicht schnell genug und vor allem stark genug an. Überbelastung, Unterbesetzung, gesundheitliche Folgen, etc. kommen zu all dem zusätzlich dazu.

Uns muss klar sein, denn es ist faktisch genau so belegbar: Jeder Cent, den diese Regierung in diese Kriegsvorbereitung steckt, fehlt in unseren Taschen. Wir sehen das an massiven Kürzungen in unserem Leben: Jugendlichen werden die Jugendclubs vor der Nase geschlossen, queere Menschen haben immer weniger Möglichkeiten auf eine gute spezifische Versorgung, gebärende Menschen haben immer mehr Probleme, einen guten Geburtsort für ihre Kinder zu finden, weil Kreißsäle geschlossen werden.

Männer in den Krieg, Frauen noch tiefer in die Care-Arbeit

Uns muss auch eine weitere Sache bewusst werden: Die Wehrpflicht kommt. Und wenn sie kommt, wird sie die nächsten Generationen an jungen Männern ins Militär ziehen – ob sie wollen oder nicht. Wenn es ihnen nicht reicht, locken sie auch migrantische Männer mit Versprechungen für deutsche Pässe in den Krieg. Und wenn all diese Männer eingezogen werden: Wer genau bleibt eigentlich übrig, wer pflegt eigentlich die Menschen in Krankenhäusern und Pflegeheimen? Wer erzieht unsere Kinder, wer unterrichtet unsere Schüler:innen und Studierenden? Wer hält diese Einrichtungen sauber, steril und hygienisch? Wer verkauft uns Lebensmittel in Supermärkten? 

Dort, wo jetzt schon ohnehin mehrheitlich Frauen und migrantische Menschen arbeiten, dort werden die Sektoren noch weiter feminisiert und migrantisiert, also es werden fast nur noch Frauen und Migrant:innen dort arbeiten – oder aber auch Männer und Queers, die für die Kriegstreiber ohnehin „nicht für den Krieg taugen“. Die Care-Arbeit, also die Pflege, die Erziehung und die Bildung, wird noch viel weiter in die Verantwortung der Frau geschoben – sowohl in der Lohnarbeit, als auch in den eigenen vier Wänden.

All das sind Auswirkungen, die eine Aufrüstung für einen Kriegszustand bereits jetzt schon mit sich führen, in Kriegszeiten werden sie zusätzlich noch verschlimmert. Und das wird Menschen treffen, die keinen deutschen Pass haben und im Krankenhaus arbeiten, aber auch Menschen, die diese Krankenhäuser sauber machen müssen, Menschen, die die gesamte psychische Belastung auch von Dauerkriegszuständen therapieren müssen. Es wird Mütter treffen, die ihre Kinder regelrecht zum Sterben als Kanonenfutter heranwachsen lassen müssen, es wird Jugendliche treffen, die in der Blütezeit ihres Lebens sind.

Dabei sind Krieg und Gesundheit ein absoluter Widerspruch in sich. Und an dieser Stelle wollen wir Baki zitieren, die beim Workshop auch eine radikalhumanistische Perspektive auf diesen Widerspruch aufgezeigt hat:

Für mich als Gesundheitspersonal, insbesondere für mich als Krankenhausbeschäftigte, muss eine Sache ganz deutlich sein: Ich will nicht in einer Welt leben, in der es Kriege geben darf und auch keine Welt, in der die Gesundheitsversorgung am absoluten Minimum existieren muss. Ich habe mich für diese Arbeit entschieden, weil ich eine Gesellschaft so lange wie möglich am Leben erhalten will. Weil ich von meinen Genoss:innen, die Hebammen sind, von den schönsten und wundervollsten und anstrengendsten und krassesten Geburten hören möchte, weil ich in meinem Alltag Menschen spielen, lachen und leben sehen möchte. Weil das Leben wirklich verdammt schön ist und das will und darf ich mir als Gesundheitspersonal, als Marxistin, als Feministin und als Kommunistin nie und nimmer nehmen lassen – erst recht nicht für imperialistische Kriege!

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